Energie
Ein Jahrhundertwerk im Glarner Kalk – so entstand das Kraftwerk in den Bergen

Das Pumpspeicherwerk Limmern im Glarnerland kostete 2 Milliarden Franken. Weil sich die Stromwelt gewandelt hat, rechnet es sich nicht. Jetzt schon zeigt ein neues Buch des Aargauers Rudolf Hug die Entstehungsgeschichte des Kraftwerks.

Mathias Küng
Drucken
Pumpwerk Limmern
3 Bilder
Im Herbst 2014 wurde der letzte Kübel Beton für die Staumauer verbaut.
Die Tunnelbohrmaschine «Heidi» holte 204'000 Kubikmeter Fels aus dem Berg.

Pumpwerk Limmern

Rudolf Hug

Zuhinterst im Glarnerland, hoch über Linthal, produziert das Wasserkraftwerk Linth-Limmern seit 1964 Strom. Möglich wurde dies dank dem Bau einer Staumauer, die den Limmernsee aufstaut. Noch weiter oben, auf fast 2500 Metern über Meer, wurde damals der deutlich kleinere Muttsee als Oberbecken mit einbezogen.

Das ist aber kein Vergleich mit den Dimensionen, die das Kraftwerk heute aufweist. Mit dem Projekt «Linthal 2015» wurde nämlich das bestehende Werk mit einem leistungsfähigen unterirdisch angelegten Pumpspeicherkraftwerk ergänzt. Der Muttsee wurde aufgestaut und verfügt heute mit über 1000 Metern über die längste Staumauer in der Schweiz, und über die höchstgelegene in Europa.

33 Stunden Volllast-Betrieb, wenn der See ganz gefüllt ist

So funktioniert es: Wasser wird aus dem Limmernsee in den mehr als 600 Meter höher gelegenen Muttsee gepumpt und bei Bedarf zur Stromproduktion genutzt. Das neue Werk weist eine Leistung von 1000 Megawatt auf, was etwa der Leistung des AKW Gösgen entspricht. Damit hat sich die Leistung der Kraftwerke Linth-Limmern von zuvor rund 520 auf 1520 Megawatt verdreifacht.

Buchautor und Fotograf Rudolf Hug.

Buchautor und Fotograf Rudolf Hug.

ZVG

Bei vollständig gefülltem Muttsee kann das Pumpspeicherwerk Limmern während 33 Stunden im Volllastbetrieb laufen. Im Gespräch war das Kraftwerk in den letzten Jahren angesichts europaweit rekordtiefer Strompreise allerdings meist wegen seiner Kosten. Dessen Bau verschlang 2 Milliarden Franken, was der Axpo als Hauptaktionärin in den letzten Jahren sehr zu schaffen machte (vergleiche Interview mit Axpo-Verwaltungsratspräsident Thomas Sieber).

Anzufügen ist aber auch, dass das Budget beim Bau voll eingehalten werden konnte.
Bereits vor der vollständigen Inbetriebnahme der Anlage nahm die Axpo (85 Prozent des Kraftwerks gehören ihr, 15 Prozent dem Kanton Glarus) wegen des niedrigen Grosshandels-Strompreises vorsichtshalber eine Abschreibung auf diese Investition vor. In den letzten Jahren konnte das Kraftwerk noch nicht gewinnbringend betrieben werden.

Gigantische Batterie für die Versorgungssicherheit

Doch was genau bringt dieses Pumpspeicherwerk? Man kann es sich als gigantische Batterie vorstellen. Sie speichert den Strom in Form von Wasser. Wenn viel Spitzenenergie gebraucht wird oder wenn ein oder gar mehrere andere grössere Kraftwerke kurzzeitig ausfallen, kann Linth-Limmern einspringen. Der Aargauer Unternehmer Rudolf Hug, bis vor kurzem Vize-Verwaltungsratspräsident der Axpo, sagt: «Das Kraftwerk kann während rund eineinhalb Tagen einen Viertel der Schweiz mit Strom versorgen, falls zum Beispiel gleich mehrere Kraftwerke ausfallen.»

Wenn die Anlage am Wochenende (wenn Stromverbrauch und Preis tief sind) Wasser hochpumpt, aber plötzlich eine Verknappung eintritt, könne dieser Vorgang innerhalb von drei Minuten auf die volle Stromproduktion umgestellt werden, so Hug. Das «Herz» der Anlage ist in einer riesigen Kaverne untergebracht, grösser als die Bahnhofshalle Zürich.

Pumpleistung: doppelte Menge wie die Limmat

Um sich eine Vorstellung der Leistung zu machen: Im Kraftwerk Limmern können pro Sekunde 160 Kubikmeter Wasser hinaufgepumpt werden. Das ist doppelt so viel wie zurzeit durch die Limmat fliesst. Limmern dient der sicheren Stromversorgung. Bei der Axpo ist man überzeugt, dass sich das über kurz oder lang auch finanziell rechnet.

Dies auch, weil gerade in Deutschland immer mehr Solar- und Windenergie produziert wird, die vorab tagsüber und mehrheitlich im Sommer anfällt. Doch dieser Strom kommt unregelmässig. Am meisten Strom braucht man im Winter. Die Schweiz ist bereits heute im Winter immer wieder auf Stromimporte angewiesen.

Damit das Stromnetz stabil bleibt und kein Blackout droht, muss immer gleich viel Strom produziert werden, wie verbraucht wird. Das ist nicht einfach. Allein im Juni sei in Deutschland das Netz dreimal fast zusammengebrochen, sagt Hug. Die Netzstabilität kann man mit Pumpspeicherkraftwerken wie Limmern sicherstellen, die punktgenau eingeschaltet werden können, wenn zum Beispiel der Wind abflaut, und wieder abgeschaltet werden, wenn die Solaranlagen unter höchster Sonneneinstrahlung viel Strom ins Netz einspeisen.

«Kommt dazu», sagt Rudolf Hug, «dass Deutschland in den nächsten Jahren gleich mehrere Kohlekraftwerke abschaltet und aus der Kernenergie aussteigt. Dann hat der stark bevölkerte sowie industrie- und dienstleistungsstarke süddeutsche Raum zu wenig Strom. Da kann Limmern eine wichtige Rolle auch für die Versorgungssicherheit in Süddeutschland spielen», prognostiziert Hug.

Bildband zeigt Entstehung des 2-Milliarden-Werks

Jahrhundertwerk im Glarner Kalk Erhältlich hier und in Buchhandlungen, 39.50 Franken.

Jahrhundertwerk im Glarner Kalk Erhältlich hier und in Buchhandlungen, 39.50 Franken.

Rudolf Hug

Rudolf Hug war von den ersten Diskussionen über den Bauentscheid, den Bau und bis über die Inbetriebnahme 2016 hinaus im Axpo-Verwaltungsrat, kennt die Anlage also in- und auswendig. Er war während der Bauphase unzählige Male auf dem Bauplatz. Als begeisterter Fotograf dokumentierte er die Entstehung dieses Mammutwerks fotografisch.

Das Ergebnis liegt jetzt in Form eines reich bebilderten Buches vor. Das spricht am Bau Beteiligte und Mitarbeitende an, Technikfans, Ingenieure, sowie generell an der Wasserkraft und an eindrücklichen Bildern Interessierte.

Die Vorstellung des Buchs «Jahrhundertwerk im Glarner Kalk» in Anwesenheit von Axpo-Verwaltungsratspräsident Thomas Sieber und seines Vorgängers Robert Lombardini war denn auch Anlass für eine Begehung des Kraftwerks. Da konnte man sich von dessen Dimensionen ein Bild machen. Nur ein Beispiel dafür: Um vom längsten Stollen in den nächsten zu kommen, stehen tief im Berg doch tatsächlich Kleinbusse bereit, mit denen man dann minutenlang unterwegs ist.

Riesige Leistung der Arbeiter unter extremen Bedingungen

Von den enormen Dimensionen des Werks kann man sich wohl erst ein richtiges Bild machen, wenn man es selbst gesehen hat. Da und beim Betrachten der Bilder aus der Bauzeit kann man sich auch vorstellen, welche enorme Leistung die Ingenieure und die Hunderten von Mitarbeitenden unter zum Teil extremsten Witterungs- und auch sonst schwierigen Bedingungen erbracht haben.

Für eine Besichtigung empfiehlt sich allerdings, genügend Zeit mitzubringen – und gutes Schuhwerk. Das Kraftwerk bietet öffentliche Führungen an. Der Start ist jeweils in Tierfehd, bei einer kleinen Schwebebahn, ganz hinten im Glarnerland. Hier hört das Tal auf. Ein mythischer Ort, den man durchaus als das Ende der Welt bezeichnen kann. Aus Stromsicht fängt es aber hier erst an.