Diskussion
Der Wirtschaftsmann, der an den Kanton denkt und die SP-Frau, die von asozialen Steuerabzügen spricht: So lief das kontroverse Steuergesetz-Podium

In gut zwei Wochen wird im Aargau über Steuersenkungen für Firmen und höhere Abzüge für Versicherungsprämien abgestimmt. Bei einem Podium in Aarau prallten die Positionen von Wirtschaftsmann Peter Gehler und Mitte-Grossrätin Maya Bally sowie Gewerkschafter Reto Wyss und SP-Grossrätin Carol Demarmels aufeinander.

Fabian Hägler
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Schon nach wenigen Minuten wurde heftig diskutiert auf dem Podium mit Carol Demarmels (SP), Reto Wyss (Gewerkschaftsbund), Moderator Mathias Küng, Maya Bally (Mitte) und Peter Gehler (Handelskammer, von links).

Schon nach wenigen Minuten wurde heftig diskutiert auf dem Podium mit Carol Demarmels (SP), Reto Wyss (Gewerkschaftsbund), Moderator Mathias Küng, Maya Bally (Mitte) und Peter Gehler (Handelskammer, von links).

Chris Iseli

«Bei dieser Frage werden wir uns nicht einig.» Das sagte AZ-Politikchef und Moderator Mathias Küng bei der Podiumsdiskussion zum neuen Steuergesetz im Kultur- und Kongresshaus Aarau, die vom Gewerkschafts- Dachverband Arbeit Aargau organisiert wurde, gleich mehrfach. Tatsächlich brachten die Ja-Seite mit Peter Gehler (Vizepräsident der Aargauischen Industrie- und Handelskammer und des Verwaltungsrats beim Pharmazulieferer Siegfried in Zofingen) und Mitte-Grossrätin Maya Bally sowie die Nein-Seite mit SP-Grossrätin Carol Demarmels und Reto Wyss (Zentralsekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds) ihre Argumente deutlich vor, fanden aber kaum Übereinstimmungen.

Braucht es die Senkung der Gewinnsteuern für Firmen überhaupt?

Die Lieblingsgrafik von Peter Gehler: Der Wirtschaftsmann zeigte immer wieder eine Tabelle, die den Aargau auf dem drittletzten Rang bei der Steuerbelastung für Firmen zeigt.

Die Lieblingsgrafik von Peter Gehler: Der Wirtschaftsmann zeigte immer wieder eine Tabelle, die den Aargau auf dem drittletzten Rang bei der Steuerbelastung für Firmen zeigt.

Chris Iseli

Das begann schon bei der Grundsatzfrage, ob es eine Senkung der Gewinnsteuern von 18,6 auf 15,1 Prozent für Firmen, die mehr als 250'000 Franken Gewinn machen, überhaupt brauche. Natürlich, fand Gehler, und zeigte mehrfach eine Grafik der Steuerbelastung in den Kantonen, die den Aargau auf dem drittletzten Platz aufführt. Dies sei im Standortwettbewerb ein Nachteil, sagte der Wirtschaftsmann und hielt fest: «Jetzt ist der richtige Zeitpunkt für diese Steuersenkung, die Kantonskasse überläuft fast, die Gemeinden schreiben reihenweise hervorragende Abschlüsse.»

SP-Grossrätin und Finanzmathematikerin Demarmels konterte und kritisierte das bürgerliche Vorgehen als Salamitaktik. «Man schneidet bei den Gewinnsteuern Scheibe für Scheibe ab und es profitieren dieselben Firmen, die 2019 bei der nationalen Reform schon Millionen an Steuergeschenken erhalten haben.» Demarmels betonte, im Aargau würden nur 5 Prozent aller Unternehmen vom neuen Steuergesetz profitieren, die 95 anderen nicht. Zudem machten die Firmensteuern nur rund 15 Prozent der gesamten Steuereinnahmen des Kantons aus.

Mitte-Grossrätin Bally sagte, auch kleine und mittlere Unternehmen und Gewerbebetriebe im Aargau würden als Zulieferer profitieren, wenn die Grossfirmen entlastet würden und im Kanton investierten. Sie ergänzte, die Steuerbelastung zähle bei Standortenscheiden zu den fünf wichtigsten Faktoren. «Bei anderen Faktoren sind wir gut dran, gehen wir jetzt mit den Steuern runter, dann stimmt das ganze Paket.» Dies sei heute möglich, bei der Umsetzung der nationalen Steuerreform seien die Aargauer Kantonsfinanzen noch nicht im Lot gewesen, sagte Bally.

Gewerkschafter Reto Wyss sagte, gemäss Umfrage der Handelskammer sei die Steuerbelastung nur für jede zehnte Aargauer Firma zu hoch.

Gewerkschafter Reto Wyss sagte, gemäss Umfrage der Handelskammer sei die Steuerbelastung nur für jede zehnte Aargauer Firma zu hoch.

Chris Iseli

Das mochte Gewerkschafter Wyss nicht gelten lassen: Er sagte, der Schuh drücke bei den Firmen im Aargau nicht bei der Steuerbelastung. Die letzte Wirtschaftsumfrage der Handelskammer habe gezeigt, dass nur 10 Prozent der Firmen der Meinung seien, die Steuern seien zu hoch. «Unternehmen sind auf einen Mix der Standortfaktoren angewiesen, der Tunnelblick auf die Steuern ist falsch», sagte Wyss. Der Aargau stehe bei Erreichbarkeit, Produktionsflächen, Innovation, Büromieten sehr gut da. Wenn man die Steuern jetzt radikal senke, nehme man dem Kanton den Spielraum.

Was passiert mit dem eingesparten Steuergeld – oder wo könnte es fehlen?

SP-Grossrätin Demarmels kritisierte, auch bei einer Senkung der Gewinnsteuern im Aargau würden keine Unternehmen zuziehen, die lokale Zulieferer berücksichtigen. Statt die Steuern zu senken, müsse der Kanton beim Fachkräftemangel ansetzen, flächendeckend Tagesschulen einrichten und die hohe Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen. «Doch das Geld dafür wird uns fehlen, wir entlasten reiche Grossfirmen, ganz viel Geld fliesst als Dividende ins Ausland», kritisierte sie.

Handelskammer-Vizepräsident Gehler bezeichnete ihre Aussagen als «völligen Käse» und sagte, bei Siegfried gehe die Dividende nicht ins Ausland. «Wir haben in den letzten Jahren über 200 Millionen investiert, mehr als 50 Prozent ging ans lokale Gewerbe», hielt er fest. Von der Steuersenkung würden Unternehmen profitieren, die Standorte in diversen Kantonen haben. Diese hätten die Möglichkeit, ihre Gewinne zum Teil dort zu versteuern, wo die Ansätze niedrig seien. Damit drohten dem Aargau Einnahmen zu entgehen – «ich denke an den Kanton», versicherte Gehler.

Mitte-Grossrätin Maya Bally sagte, der Kanton könne sich Investitionen auch mit der Steuersenkung für die Firmen weiterhin leisten.

Mitte-Grossrätin Maya Bally sagte, der Kanton könne sich Investitionen auch mit der Steuersenkung für die Firmen weiterhin leisten.

Chris Iseli

Mitte-Grossrätin Bally sagte, mit den geplanten 15,1 Prozent würde der Aargau auch mit Blick auf eine mögliche globale Mindeststeuer goldrichtig liegen. Sie wies darauf hin, dass im Aargau die Löhne für die Lehrpersonen erhöht worden seien, zudem werde auch für die frühkindliche Förderung etwas getan. «Wir investieren und wir können uns das weiterhin leisten, auch wenn wir die Steuern senken», argumentierte Bally.

Gewerkschaftssekretär Wyss konterte, der Wohlstand in der Schweiz werde primär von den Arbeiterinnen und Arbeitern geschaffen. Die Schere zwischen Dividenden und Kapitalgewinnen einerseits sowie den Löhnen der Angestellten andererseits gehe immer mehr auseinander. Mit tieferen Gewinnsteuern fehle Geld im Kantonsbudget und damit für Investitionen, «denn die Kantone sind für die Hälfte der öffentlichen Ausgaben in der Schweiz verantwortlich», sagte Wyss.

Versicherungsabzug bei Steuern erhöhen – oder mehr Prämienverbilligung?

SP-Grossrätin Carole Demarmels warb für mehr Prämienverbilligung statt höhere Versicherungsabzüge bei den Steuern.

SP-Grossrätin Carole Demarmels warb für mehr Prämienverbilligung statt höhere Versicherungsabzüge bei den Steuern.

Chris Iseli

Auch beim zweiten Teil der Vorlage – den höheren Abzügen für Versicherungsprämien bei den Steuern – gingen die Meinungen weit auseinander. SP-Grossrätin Demarmels kritisierte, vom Abzug profitiere ein gut verdienendes Ehepaar stark, eine alleinerziehende Mutter jedoch viel weniger. Zudem seien die Abzüge gar noch geringer, wenn man Kinder habe, was eine asoziale Regelung sei. «Es wäre viel besser, dieses Geld für individuelle Prämienverbilligungen zu investieren, statt mit der Giesskanne für Gutverdienende auszuschütten», sagte sie.

Mitte-Grossrätin Bally sagte, der obere Mittelstand profitiere in Franken mehr, nicht aber in Prozent. Sie wies darauf hin, dass die Steuerabzüge für Versicherungsprämien seit 21 Jahren nicht angepasst worden seien. Balls sagte weiter, für Alleinerziehende mit tiefen Löhnen sei die Steuerbelastung im Aargau relativ niedrig. Und sie forderte: «Man kann nicht immer nur für die Geringverdiener etwas tun, auch der Mittelstand soll mehr abziehen dürfen.»

Gewerkschafter Wyss bezeichnete dies als pseudosoziale Familienpolitik der Mitte, dabei würden eigentlich die Leute für blöd verkauft. «Steuerabzüge nützen den Reichen am meisten, die Leute leben von Franken, nicht von Prozenten», sagte er. Nun für Gutbetuchte höhere Abzüge zu gewähren, sei Geld aus dem Fenster geworfen. Eine stärkere Prämienverbilligung – hier sei der Aargau unterdurchschnittlich – sei am effizientesten, hielt der Gewerkschafter fest.

Wirtschaftsmann Gehler verteidigte die Verknüpfung von Steuersenkung für Firmen und Versicherungsabzug für Private. Dies in einer Vorlage an die Urne zu bringen, sei legitim, sagte der Handelskammer-Vize. Zudem hielt auch er fest, man müsse den Mittelstand entlasten, was mit den höheren Steuerabzügen geschehe.