Der Grosse Rat hat das neue aargauische Polizeigesetz in erster Lesung beschlossen. Zuvor waren alle Fraktionen darauf eingetreten. Es bringt Antworten auf vermummte Fussballfans, häusliche Gewalt, Stalking und weiteres mehr.
Das geltende aargauische Polizeigesetz stammt aus dem Jahr 2007. Zwar hat es sich in der Praxis grundsätzlich bewährt, doch sind in einigen Bereichen die Voraussetzungen für polizeiliches Handeln zu wenig klar geregelt. In dieser Einschätzung waren sich gestern an der Grossratssitzung in Spreitenbach Regierung und Parlament einig. Zudem bestand Handlungsbedarf auch aufgrund des übergeordneten Rechts, höchstrichterlicher Rechtsprechung sowie von parlamentarischen Vorstössen im Grossen Rat selbst. Das Gesetz wurde in erster Lesung mit 118: 6 Stimmen gutgeheissen. Die zweite Lesung dürfte im vierten Quartal 2020 erfolgen.
Die Inkraftsetzung ist auf 1. Juli 2021 geplant, sofern das Gesetz eine allfällige Referendumsabstimmung übersteht. So oder so wird es erst nach dem Ende der Amtszeit des amtierenden Justiz- und Polizeidirektors Urs Hofmann in Kraft treten. Er tritt altershalber bekanntlich im Herbst nicht mehr zu den Regierungsratswahlen an.
Im Kanton gibt es ein Vermummungsverbot an Versammlungen und Demonstrationen oder bei sonstigen Menschenansammlungen auf öffentlichem Grund. Damit nimmt der Aargau auch die Problematik von vermummten Fans rund um Fussballspiele auf. Wer sich auf diese Weise unkenntlich macht, um sich der Strafverfolgung zu entziehen, riskiert eine Busse bis zu 5000 Franken. Die SVP wollte zusätzlich prüfen lassen, wie die Vermummung von Personen, «die sich zum Zweck der Begehung von Straftaten ohne an bewilligungspflichtigen Versammlungen oder Menschenansammlungen teilzunehmen», bestraft werden kann. Das lehnte der Rat ab.
In den letzten Jahren ist der Umgang mit sogenannten Gefährderinnen und Gefährdern sowohl in der polizeilichen Arbeit als auch in der politischen Diskussion in den Fokus geraten. Im Rahmen der Polizeigesetzänderung werden die polizeilichen Handlungsinstrumente im Bereich des Bedrohungsmanagements verbessert. Dafür wurde etwa die bislang im Gesundheitsdepartement angesiedelte Fachstelle Personalsicherheit bereits organisatorisch in das Departement Volkswirtschaft und Inneres (Kantonspolizei) integriert. Künftig kann die Kantonspolizei bei Vorliegen einer konkreten Bedrohungslage die notwendigen beratenden und präventiven Massnahmen zum Schutz der bedrohten Person ergreifen.
Neu kann ein Kontakt- oder Annäherungsverbot ausgesprochen werden, wenn eine Person einer anderen wiederholt nachstellt, sie belästigt oder bedroht. Dies kann insbesondere in Fällen von häuslicher Gewalt oder bei Stalking zum Schutz der betroffenen Person erforderlich sein. Aber auch bei weiteren Fällen von Drohungen, die nicht direkt damit in Verbindung stehen, kann man ein Kontakt- und Annäherungsverbot aussprechen. Eine Person, die eine Drohung ausspricht, kann künftig von der Polizei zum Gespräch auf den Stützpunkt vorgeladen werden.
Die Schweizerische Strafprozessordnung sieht unter anderem verdeckte Ermittlungsmassnahmen vor. Als solche gelten die Observation, die verdeckte Fahndung sowie die verdeckte Ermittlung. Dass solche Massnahmen auch zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung sich anbahnender Straftaten und zur Gefahrenabwehr zulässig sind, ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts, heisst es in der Vorlage. Insbesondere die verdeckte Fahndung und die verdeckte Ermittlung sollen der Polizei dienen, um in ansonsten schwer zugänglichen Milieus unerkannt ermitteln zu können. Neu kann die Kantonspolizei zur Verhinderung und Erkennung von Verbrechen und Vergehen sowie zur Gefahrenabwehr Personen an öffentlichen oder allgemein zugänglichen Orten präventiv observieren, wenn ernsthafte Anzeichen bestehen, dass Verbrechen oder Vergehen vor der Ausführung stehen, und andere polizeiliche Massnahmen weniger Erfolg versprechen oder erschwert wären.
Zur Verhinderung und Erkennung von Verbrechen und schweren Vergehen kann die Kantonspolizei bei der präventiven Observation technische Hilfsmittel einsetzen. Die präventive Observation von Vorgängen und Einrichtungen, die der geschützten Privatsphäre zuzurechnen sind, ist aber nicht zulässig. Bild- und Tonaufnahmen, die der geschützten Privatsphäre zuzurechnen sind, aus technischen Gründen aber nicht verhindert werden können, müssen umgehend vernichtet werden.
Eine Bestimmung im Gesetz sieht finanzielle Unterstützung von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen vor (gemeint sind etwa Synagogen). Der Regierungsrat kann auf Gesuch zur Gewährleistung der Sicherheit von Minderheiten mit besonderen Schutzbedürfnissen finanzielle Unterstützung für Massnahmen zur Verhinderung von Straftaten leisten. Die SVP lehnte dies ab. Der SP-Sprecher antwortete, bei einer Bedrohungslage würden nicht einfach bedrohte muslimische oder jüdische Einrichtungen geschützt, sondern auch christliche. Der Rat hiess die Bestimmung gut, zumal Justizdirektor Urs Hofmann betonte, man schaffe damit keinen Anspruch auf Gelder, aber der Regierungsrat bekomme so die Möglichkeit zur Unterstützung.