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Mit 5000 Bäuerinnen und Bauern wären die Organisatoren der grossen Bauerndemo glücklich gewesen. Doch die Zahlungskürzung treibt kurzfristig doppelt so viele Landwirte auf den Bundesplatz. Auch viele Aargauer.
Es ist 7.30 Uhr. Ich kämpfe, um meine Augen offen zu halten. Doch unter keinen Umständen darf ich mich hier, im Reisecar von Muri nach Bern, beklagen: Die meisten Bäuerinnen und Bauern um mich herum, die «purlimunter» plaudern, sind seit Stunden auf und haben ihre Tiere versorgt, lange bevor ich meinen Wecker erstmals auf stumm geschaltet habe. «Die Leute haben immer das Gefühl, alle Bauern gehörten zur SVP!»
Der Gesprächsfetzen drängt sich in mein Bewusstsein. Doch die Bauern im Bus sind bereits beim nächsten Thema. Sie reden über ihre grossen Treicheln, mit denen sie sich vor dem Bundeshaus Gehör verschaffen wollen. Und übers Plackenstechen.
Als ich meinen Sitznachbarn frage, warum er nach Bern fahre, wird es für einen Moment still um uns. Das wollen alle hören. Doch seine Antwort, dass die Regierung dazu gebracht werden müsse, ihre Versprechen einzuhalten, scheint den Nerv der anderen Bauern zu treffen.
Bald schon reden alle über Direktzahlungen und überflüssige Programme, die sie mitmachen müssten. «Und dann haben die in Bern das Gefühl, weil wir überall dabei sind, seien ihre Programme ein grosser Erfolg», erklärt mir Bauer Hans Rudolf Hunziker aus Kirchleerau. «Dabei werden wir ja dazu gezwungen, sonst bekommen wir kein Geld.» Die immer lauter werdenden Diskussionen wecken mich vollständig auf.
Was für ein Spektakel
In der Hauptstadt nahe des Bärengrabens angekommen, gesellen sich die Aargauer zu ihren Mitstreitern aus der ganzen Schweiz. Was für ein Spektakel: Auf der Website des Verbandes ist von 10'000 Bauern die Rede, die in Bern einmarschieren. Ralf Bucher, Geschäftsführer des Bauernverbands Aargau, sagt sogar, es seien noch mehr. Darunter 400 Aargauer.
«Es ist genial! Ich bin überwältigt von dem Aufmarsch», jubelt Bucher und macht Handyfotos zum Beweis. Die Bauernverbände haben zur Kundgebung aufgerufen, weil der Bundesrat Kürzungen des landwirtschaftlichen Zahlungsrahmens 2018–21 in der Höhe von rund 800 Millionen Franken angekündigt hat.
Vor 20 Jahren: Tränengas
Über 10'000 Bauern marschieren mit Fahnen und Treicheln statt Trompeten in die Hauptstadt ein. Und zwar friedlich und geordnet. Nicht wie vor fast 20 Jahren: Am 23. Oktober 1996 wurde eine Demonstration von 15'000 Bauern auf dem Bundesplatz von Polizeigrenadieren gesprengt. Damals erlitten mehrere Personen gravierende Verbrennungen, weil Reizgas in die Wasserwerfer gemischt worden war.
Auch Ralf Buchers Vater, der mit einer Gruppe Freiämtern nach Bern gezogen war, bekam seine Ladung Tränengas ab. «Sie wollten nie wieder nach Bern», erinnert sich Bucher. Und trotzdem wurde vor zehn Jahren wieder friedlich demonstriert. Diesmal ebenso. Im Weissen Quartier nahe der Nydeggbrücke stehen drei junge Polizisten am Strassenrand. Mit breitem, fröhlichem Grinsen grüssen sie die Bauern und schauen dem Treiben interessiert statt alarmiert zu.
Zwei ältere Arbeiter im blauen Übergwändli tun es ihnen gleich und stützen sich auf ihre Besen, ein Pöstler parkiert seinen Töff samt Wagen in einer Seitengasse, um besser sehen zu können – und weil ihm die Demonstranten den Weg versperren –, während eine Gruppe asiatischer Touristen Fotos von dem nicht enden wollenden Tatzelwurm von Bauern schiessen, der sich Richtung Bundesplatz schlängelt.
Aargauer als Besenwagen
Doch tatsächlich hat der Umzug ein Ende, das folgt direkt auf die Aargauer. Denn der Ordnung halber stürmen die Kantonsverbände die Stadt natürlich alphabetisch geordnet, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, sodass die Zürcher die Vorhut und der Aargau quasi den Besenwagen bilden. Doch das stört die Aargauer nicht.
Angeführt von Ueli Wiederkehr aus Gontenschwil mit seiner grossen Aargauer Flagge und einer Gruppe von Treichlern marschieren sie gut gelaunt ihren Bauernkameraden aus den anderen Kantonen nach. Helene Zbinden, eine ältere Dame am Strassenrand, streckt den Vorüberziehenden ihren erhobenen Daumen entgegen. «Die machen das richtig. Es ist nämlich nicht fair, dass sie so viel für uns alle arbeiten und dafür so wenig Geld bekommen», feuert sie die Bauern weiter an.
Harte Arbeit ist nicht gratis
Ähnlich wird es auch bei der Kundgebung selbst ausgedrückt: «Wir sind weiterhin bereit, hart zu arbeiten! Aber wir sind nicht bereit, umsonst zu arbeiten!», so die Parole. Das haben die Bauern klargemacht, findet Bucher. «Ich hatte Bedenken, dass viele so kurzfristig wegen der Arbeit nicht kommen können. Aber sie haben es möglich gemacht. Das ist ein starkes Zeichen.» Er könne sich nicht vorstellen, dass das im Parlament ungehört bleibe nach so einem Aufmarsch. «Auch der Bundesrat», ist der oberste Aargauer Bauer zuversichtlich, «muss jetzt über die Bücher.»