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Kanton Aargau
Der Aargauer Standesweibel verrät zur Pensionierung, wie Ghackets und Hörnli zum heimlichen Regierungsmenü wurden und warum er schon mal für Tabak-Nachschub sorgen musste.
Am Dienstag wurde im Grossen Rat Staatsweibel Hans Stirnemann in die Pensionierung verabschiedet. Seit 1998 war er für Regierung und Parlament im Einsatz. Er arbeitete viel im Hintergrund, erledigte Verwaltungspost, arbeitete für das Zwischenarchiv der Staatskanzlei, betreute den Staatskeller usw. Den Leuten sticht ein Staatsweibel jeweils bei offiziellen Anlässen in seiner schmucken schwarz-blauen Standesuniform ins Auge. So begleitete er letzten Freitag den Staatsempfang für den österreichischen Kanzler Werner Faymann mit Landammann Roland Brogli.
Stirnemann erinnert sich, dass er bei offiziellen Anlässen anfänglich sehr nervös war. Das hat sich etwas gelegt. Doch jeder Auftritt ist anders. So hatte er auch an seinem letzten offiziellen Auftritt in Aarau «ein mulmiges Bauchgefühl». Sicherheitsaufgaben hat er zwar keine. Regierungsrat bzw. Grossratspräsident und Staatsweibel repräsentieren aber bei solchen Anlässen den Kanton Aargau.
Das ist ihm sehr bewusst und eine hohe Verantwortung. Deshalb erinnert er sich nur ungern an jenen Tag, an dem er einmal trotz Grippe als Weibel amtete: «Ich war zu wenig konzentriert – und verpasste prompt meinen Einsatz. Die Gäste mussten warten, bis ich bereit war, ‹meinen› Regierungsrat ans Rednerpult zu begleiten. Das ist mir nie wieder passiert.»
Wenn am Mittwoch Regierungssitzung ist, hat der Staatsweibel Hochbetrieb. Er bereitet das Sitzungszimmer vor, legt die Unterlagen auf, stellt Kaffee, Tee und Gebäck sowie einen kleinen Früchteteller bereit. Stirnemann kennt die persönlichen Vorlieben der Regierungsräte, auch welchen Tee sie trinken. Dauert eine Sitzung länger und ist keine Zeit für ein richtiges Mittagessen, stellt der Weibel Sandwiches bereit. Stirnemann: «Da aber niemand ständig Sandwiches essen mag, hat sich nach und nach ein richtiges Regierungsmenü eingebürgert: Ghackets mit Hörnli und Apfelmus.» Ein wahrhaft nicht opulenter Zmittag, wie es sich für den sparsamen Aargau gehört. So hat auch nicht etwa jeder Regierungsrat einen eigenen Weibel. Hans Stirnemann war für alle zuständig.
Bei längeren Klausursitzungen in Rheinfelden oder Baden kam es früher schon mal vor, dass der Staatsweibel in einem Raucherwarengeschäft «Tabak-Nachschub» besorgen musste. Es gab Zeiten, da rauchten vier von fünf Regierungsmitgliedern. Heute keines mehr. Und noch etwas hat sich geändert. Einst war man sehr förmlich per Sie, heute ist Stirnemann mit allen Regierungsräten per Du.
An Parlamentssitzungen verteilt der Staatsweibel beispielsweise Unterlagen für die Parlamentarier, bringt den Journalisten die neusten Vorstösse und schaut, dass Zuschauer auf der Tribüne keine Transparente entfalten. Stirnemann musste in all den Jahren nur ein-, zweimal einschreiten. Zwar fällt schon mal von der Tribüne das Handy eines unaufmerksamen Zuschauers in den Ratssaal runter. Beim Aufprall erschrecken manche. Sobald die Ursache geklärt ist, herrscht aber jeweils Heiterkeit im Saal.
Die Ratsherren und -damen hat Stirnemann so gesittet erlebt wie die Zuschauer auf der Tribüne. So hat nie jemand aus den Ratsbänken versucht, ihn als Postillon d’amour einzusetzen. Wenn im Hochsommer mal ein Grossrat in kurzen Hosen zur Sitzung kommt, dann ist es am Ratspräsidenten, die Kleiderordnung in Erinnerung zu rufen.
Als besonderes Highlight bleibt Stirnemann der Tag der Bundesratswahl von Doris Leuthard 2006 in Erinnerung. Damals fuhr die ganze Regierung mit den SBB nach Bern und mit der frisch gekürten Bundesrätin sowie einer grossen Festgemeinde wieder zurück in den Aargau und zur Feier nach Merenschwand.
Seit Anfang November arbeitet Stirnemann seinen Nachfolger in die Geheimnisse der Weibel-Tätigkeit ein, damit ab 1. Dezember, wenn er in den Ruhestand wechselt, alles reibungslos weiter funktioniert. Stirnemann und seine Frau freuen sich, bald mehr Zeit füreinander zu haben. Sie werden mit dem grossen alten Haus und dem Garten genug zu tun haben. Zusätzlich schwingen sie sich jetzt öfter auf ihr 650er-Suzuki-Motorrad, um damit auch mal die Alpen zu erkunden.