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Kanton Aargau
Oft tagte der Grosse Rat dieses Jahr nicht. Es fehlt Geld für grosse Würfe. Der Rat brachte ein ausgeglichenes Budget zustande – und einiges mehr, wie der Rückblick in 13 Schlaglichtern auf 2017 zeigt.
Das frankenmässig voluminöseste Geschäft betraf natürlich das Budget 2018. Der Kanton hat mittlerweile ein Budget von über 5 Milliarden Franken. Das grösste Einzelgeschäft betraf jedoch den Globalbetrag des Aargaus an die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) für die nächsten drei Jahre. Dafür sprach der Rat 240,7 Millionen Franken.
Dass zunehmend junge Frauen ins Kantonsparlament gewählt werden, hat den schönen Effekt, dass der Ratspräsident nicht nur Vätern, sondern auch frischgebackenen Müttern direkt zur Geburt eines Kindes gratulieren durfte: Dieses Jahr Lea Schmidmeister (SP) zu Sohn Tim, Kim Schweri (Grüne) zu Sohn Noé Henri, Maya Meier (SVP) zu Sohn Fynn, und schliesslich Hansjörg Erne (SVP) zur Geburt eines Sohnes.
Wie lange eine Debatte über ein Geschäft dauert, ist oft nur schwer abzuschätzen. Wenn die Regierung aber einen Beitrag an ein Hilfswerk kürzen will, sind epische Debatten programmiert. So war es auch in der diesjährigen Budgetberatung. Zur beabsichtigten Einsparung von 30 000 Franken bei der «Dargebotenen Hand» wurde so viel geredet, dass Grossrat Silvan Hilfiker schliesslich seufzend twitterte: «Die Diskussion vernichtet die Einsparung wohl wieder.» Wobei anzufügen ist, dass der Rat die Einsparung schliesslich ablehnte.
Den Beginn von Grossratssitzungen nutzen Komitees gern für die Übergabe von Petitionen. So zum Beispiel für eine Petition gegen die befürchtete Abschaffung der Fachstelle Gleichstellung oder für eine grosszügigere Stipendienregelung. Im Bild übergibt Aurel Gautschi (rechts) die Unterschriften an Ratspräsident Giezendanner. Genützt hat es in beiden Fällen nichts. Während die Kürzung bei der Fachstelle im Rahmen des Budgets 2018 schliesslich geschluckt werden musste, ergriff die Ratslinke mit weiteren Grossrätinnen und Grossräten gegen die neue Stipendienregelung das Referendum: So hat hier der Souverän im Frühling an der Urne das letzte Wort.
In einem Milizparlament gibt es viele Wechsel, im ersten Jahr bereits acht: Bei der CVP folgte Harry Lütolf (Wohlen) auf Marco Beng (Berikon). Für Martin Steinacher (Gansingen) kam Werner Müller (Wittnau) zurück in den Rat. Auch die SP hat mit Florian Vock (Baden) einen Rückkehrer. Der Gewerkschaftspräsident folgte auf Jürg Caflisch, der als Grossrat zurücktrat. Und David Burgherr (Lengnau) rückte für Monika Stadelmann (Bad Zurzach) nach. Bei der FDP löste Claudia Hauser(Döttingen) Erwin Baumgartner (Tegerfelden) ab.
Bei der SVP kam es zu zwei Wechseln. In der letzten Ratssitzung gab Max Härri (Birrwil) seinen Rücktritt bekannt. Für ihn rückt Franz Vogt (Leimbach) nach – auch er ein Rückkehrer. Auf den nicht ganz freiwilligen Rücktritt von Dominik Riner (Schinznach) wegen einer Finanzaffäre folgte Doris Iten (Birr). Auch der neue grüne Grossrat Maurus Kaufmann (Seon) hat sein Amt aufgrund eines Negativereignisses abgegeben. Jonas Fricker gab nach einem untragbaren Holocaust-Vergleich sein Nationalratsmandat ab. Seinen Sitz erbte Irène Kälin (Lenzburg). Ihren Grossratssitz wiederum übernimmt Maurus Kaufmann.
Herbert H. Scholl (FDP) aus Zofingen ist seit 1981 Mitglied des Aargauer Grossen Rates, also seit 37 Jahren. Er ist damit unbestritten der Amtsälteste. Scholl präsidierte früher auch die FDP Aargau und war Grossratspräsident. Berühmt ist der Anwalt, der im kommenden Jahr 70 wird, für seine «drei Punkte», die er bei jeder Vorlage herausschält. Die Amtsjüngsten sind beide Rückkehrer: Werner Müller (CVP) und Franz Vogt (SVP, Leimbach). Sie werden am 9. Januar in Pflicht genommen.
Für das Grossratspräsidium nominieren die Parteien manchmal junge Hoffnungsträger (wie im Fall von Benjamin Giezendanner), denen dies für ihre politische Karriere zusätzlichen Schub geben soll. Manchmal ist es eine Belohnung für grossen und langen politischen Einsatz. Letzteres trifft beim designierten neuen Grossratspräsidenten Bernhard Scholl (FDP) aus Möhlin zu. Die Wahl findet übrigens am 9. Januar statt. Nebst Scholl nominiert ist Renata Siegrist-Bachmann (GLP) aus Zofingen als erste Vizepräsidentin. Sie wird als Vertreterin einer Nichtregierungspartei – was sehr selten ist – in einem Jahr Ratspräsidentin. Als zweite Vizepräsidentin nominiert ist CVP-Grossrätin Edith Saner aus Birmenstorf.
Kommt es bei einer Abstimmung zu einem Unentschieden, gibt die Stimme des Grossratspräsidenten den Ausschlag. Benjamin Giezendanners Vorgänger Marco Hardmeier konnte gleich in seiner ersten Sitzung den Stichentscheid fällen – und dies bei einem wichtigen Thema. Er rettete mit seiner Stimme das Krippengesetz vor dem Absturz. Die Frage, ob und wie der Kanton Aargau die familienergänzende Kinderbetreuung regeln muss, spaltete das Parlament. Hardmeiers sechs Stichentscheide sind Rekord. Benjamin Giezendanner durfte nur viermal das Zünglein an der Waage spielen – und dies bei etwas weniger weitreichenden Entscheiden.
192 Vorstösse wurden dieses Jahr eingereicht: 115 Interpellationen, 42 Motionen und 35 Postulate. Die Vielfalt der Themen lässt erahnen, wie unterschiedlich die Interessen der 140 Grossratsmitglieder sind. Eine Auswahl: Kantonspolizeiposten im Freiamt; schnellere Route für Velofahrer im Suhrental; Flugzeugabsturz in Würenlingen vom 21. Februar 1970; Chancen und Risiken des Klimawandels; Frauenanteil bei der Kantonspolizei Aargau; Wirkung der Kampagne 50+; Verhinderung von Radarfallen auf Kantonsstrassen. Besonders aktiv waren die Fraktionen der Grünen und der SP: sie reichten 9 bzw. 10 Interpellationen ein. Bei den einzelnen Ratsmitgliedern stellte Edith Saner (CVP) dem Regierungsrat die meisten Fragen.
Der Titel klingt durchaus vernünftig: «Interpellation betreffend Kantonsschul-Abschluss in 14 anstatt 15 Jahren». Doch der Vorstoss, den die GLP-Grossräte Dominik Peter und Renata Siegrist am 16. Mai einreichten, löst Kopfschütteln aus. Genau dies, eine Verkürzung der Schulzeit bis zur Matur, ist eines der längerfristigen Reformprojekte der Regierung im Rahmen der Haushaltsanierung. Und die Pläne dafür hatte die Regierung allen Fraktionen schon eine Woche vorher präsentiert. Der GLP-Vorstoss, dessen Beantwortung 1494 Franken kostete, for-derte also etwas, das die Regierung schon plante.
Wer beim Kanton arbeitet, muss seit 2016 fürs Parkieren zahlen. Das soll dem Kanton bis zu eine Million Franken einbringen. Verschont bleiben dabei auch die Grossratsmitglieder nicht. Aus ihren Reihen wurde Kritik laut, die ihnen zugewiesenen Plätze seien oftmals bereits besetzt. Eine Erhebung zeigte nun aber: Nur 65 von 105 reservierten Parkplätzen werden auch benutzt. Ob die Gebühren den einen oder anderen Politiker dazu verleitet haben, das Auto an den Sitzungstagen daheim zu lassen? Sparerprobt sind die Grossräte nach den Budgetdebatten der letzten Jahre jedenfalls.
Aargauer Zeitung, Blick, Schweizer Fernsehen, Schweizer Illustrierte, Sonntagsblick, Tages-Anzeiger, Tele M1, Weltwoche: Kaum ein Schweizer Medium, das dieses Jahr nicht über die SVP-Grossrätin aus dem Wynental berichtet hat. Für Schlagzeilen sorgte neben ihrer politischen Arbeit auch ihr Privatleben. Von der Hochzeit über Freizeittipps im Aargau bis hin zu einer Fernsehanfrage als Bachelorette – Stoff für Schlagzeilen lieferte die Unternehmerin genug. Wer in der Schweizer Mediendatenbank «Karin Bertschi» und «SVP» eingibt, erhält über 70 Treffer. Zum Vergleich: Bei SP-Fraktionspräsidentin Kathrin Scholl sind es im gleichen Zeitraum rund achtmal weniger. Und auch im nächsten Jahr steht Bertschi ein grosser Medienauftritt bevor: Das SRF widmet ihr eine «Reporter»-Sendung, die Dreharbeiten sind inzwischen abgeschlossen, der Ausstrahlungstermin steht noch nicht fest.
Das Geschehen im Kantonsparlament lässt sich in den sozialen Medien verfolgen. CVP-Präsidentin Marianne Binder zählt zu den fleissigen Twitter-Nutzern. Als in der Budgetdebatte besonders lange über die Kürzung von 30 000 Franken beim Sorgentelefon 143 diskutiert wurde, schrieb sie leicht verzweifelt: «Ich rufe nun die Dargebotene Hand an, wann wir endlich abstimmen dürfen. Ok?»
Ein kritischer Beobachter ist auch Gabriel Lüthy. Der FDP-Grossrat sah dabei auch den Regierungsvertretern auf die Finger, über Gesundheitsdirektorin Franziska Roth twitterte er: «Es findet eine Diskussion über das Leitbild statt. Grosses Problem: Gesundheitskosten... Regierungsrätin Roth tippt auf dem Smartphone rum...» Doch die Ratsdebatte wird längst nicht nur von Politikern verfolgt, wie das Kantonsspital Aarau (KSA) bewies. Als man sich dort über die Äusserungen des SVP-Fraktionschefs ärgerte, folgte die Reaktion prompt: «Einladung für Jean-Pierre Gallati ins Prominenten-Praktikum anlässlich #130JahreKSA zwecks Vertiefung der Sachkenntnisse.»