Ständeratswahlen-Podium
CVP-Präsidentin Binder wirbt an Podium für Rentenalter 67 - auch Klima und EU heiss diskutiert

Das grosse Ständeratspodium von Radio Argovia, SRF-«Regionaljournal» und Aargauer Zeitung in Baden bringt eine unerwartete Forderung: CVP-Präsidentin Marianne Binder schlägt vor, das Rentenalter für Männer und Frauen auf 67 Jahre anzuheben. Mit flankierenden Massnahmen.

Fabian Hägler
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Marianne Binder, CVP «Natürlich will ich als Frau gewählt werden, als was denn sonst?»
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Hansjörg Knecht, SVP «Ich habe grundsätzlich dasselbe Ziel wie die Klimaaktivisten.»
Cédric Wermuth, SP «Klimapolitik ist nichts, das nur Engel machen dürfen.»
Thierry Burkart, FDP «Wir sollten das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln.»
Ruth Müri, Grüne «Neben dem Grün haben wir auch Magenta im Parteilogo.»
Beat Flach, GLP «Wir sollten nicht zu lange warten und an den Samichlaus glauben.»
Maya Bally, BDP «Flüchtlinge, die nicht integriert sind, kosten uns viel Geld.»
Roland Frauchiger, EVP «Ich fahre im Zug nach Zürich, das hat Rot-Grün erreicht.»
Podium mit den Aargauer Ständeratskandidaten vom 19.9. in Baden – EU und Migration Mit Hansjörg Knecht (SVP), Cédric Wermuth (SP), Marianne Binder (CVP) und Beat Flach (GLP) – Moderation: Maurice Velati, SRF
Podium mit den Aargauer Ständeratskandidaten vom 19.9. in Baden – AHV und Altersvorsorge Mit Hansjörg Knecht (SVP), Thierry Burkart (FDP), Marianne Binder (CVP) und Ruth Müri (Grüne) – Moderation: Rolf Cavalli, Chefredaktor Aargauer Zeitung
Podium mit den Aargauer Ständeratskandidaten vom 19.9. in Baden – Gleichberechtigung Mit Maya Bally (BDP), Thierry Burkart (FDP), Marianne Binder (CVP) und Cédric Wermuth (SP) – Moderation: Maurice Velati, SRF
Podium mit den Aargauer Ständeratskandidaten vom 19.9. in Baden – die Klimadebatte Mit Hansjörg Knecht (SVP), Thierry Burkart (FDP), Cédric Wermuth (SP) und Roland Frauchiger (EVP) – Moderation: Rolf Cavalli, Chefredaktor Aargauer Zeitung
Podium zu den Ständeratswahlen Aargau, 19.9., Trafo Baden 5 Die Kandidaten: Thierry Burkart (FDP), Cédric Wermuth (SP), Hansjörg Knecht (SVP), Ruth Müri (Grüne), Marianne Binder (CVP), Beat Flach (GLP), Maya Bally (BDP) und Roland Frauchiger (EVP) Moderation: Moderation Rolf Cavalli (AZ), Maurice Velati (SRF), Urs Hofstetter (Radio Argovia)

Marianne Binder, CVP «Natürlich will ich als Frau gewählt werden, als was denn sonst?»

Michael Würtenberg

Gleichberechtigung und AHV: Rentenalter 67, gemischtes Duo und Entwicklungsgelder

Marianne Binder (CVP) sagt, sie wolle als Frau in den Ständerat gewählt werden – «als was denn sonst?». Binder ist gegen Frauenquoten und sagt, die Frauen hätten es mit einer stärkeren Wahlbeteiligung selber in der Hand, für eine bessere Vertretung in der Politik zu sorgen.

Binder ist für ein einheitliches Rentenalter 67 für beide Geschlechter – eine Forderung, die nicht auf der Parteilinie liegt. Es sei nicht realistisch, das heutige Rentenalter von 65 Jahren beizubehalten, weil im Jahr 2030 in der AHV über 40 Milliarden Franken fehlen.

«Es ist klar, dass Menschen, die körperlich hart gearbeitet haben oder psychisch stark belastet sind, früher in Pension gehen sollen», relativiert sie. Zudem brauche es flankierende Massnahmen, damit ältere Angestellte bessere Chancen hätten im Arbeitsmarkt.

Hansjörg Knecht (SVP) ist auch für das gleiche Rentenalter von Mann und Frau. Er stellt sich aber entschieden dagegen, die AHV-Sanierung über weitere Lohnabzüge oder eine höhere Mehrwertsteuer zu finanzieren.

Stattdessen schlägt er vor, Gelder für die Sanierung der AHV einzusetzen, die in die Entwicklungshilfe oder als Kohäsionsmilliarde in wirtschaftlich schwächere EU-Länder fliessen. «Bevor wir über die Anhebung des Rentenalters diskutieren, sollten wir solche Massnahmen ergreifen, um unser wichtigstes Sozialwerk zu finanzieren», sagt Knecht.

Thierry Burkart (FDP) sagt, die Umleitung von Geldern aus Entwicklungshilfe und EU-Kohäsionsmilliarde würde bei weitem nicht reichen. Bei der Einführung der AHV im Jahr 1948 sei das Rentenalter 65 festgelegt worden.

«Seither hat die Lebenserwartung um 16 Jahre zugenommen, da liegt es auf der Hand, dass Änderungen nötig sind.» Es brauche eine Flexibilisierung, wobei das Referenz-Rentenalter vorerst auf 66 oder 67 Jahre festgelegt werden sollte. «Längerfristig sollten wir das Rentenalter an die Lebenserwartung koppeln und damit entpolitisieren», schlägt er vor.

Ruth Müri (Grüne) sagt, man dürfe erst über die Erhöhung des Frauenrentenalters diskutieren, wenn andere Ziele in der Gleichstellung erreicht seien. «Frauen verdienen heute bei gleicher Ausbildung, gleichem Job und gleicher Erfahrung immer noch acht Prozent weniger, das schlägt sich später in tieferen Renten nieder», gibt sie ein Beispiel.

Die vom Bundesrat vorgesehene Abfederung von 700 Millionen Franken reicht Müri nicht. «Wer einen kreativen Job ausübt, Freude an der Arbeit hat, gesund und fit ist, könnte auch über das ordentliche Rentenalter hinaus arbeiten.»

Maya Bally (BDP) ist der Meinung, dass der Aargau im Ständerat weiterhin durch eine Frau und einen Mann vertreten sein sollte. Bei der Gleichstellung im Alltag, nicht in der Politik, zeige sich, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer noch sehr schwierig sei.

«Da appelliere ich an unsere Väter, dass sie mehr Familienzeit fordern», sagt Bally. So könnten die Frauen im Beruf bleiben, was für die Wirtschaft auch Vorteile bringe. «Das muss nicht gratis und vollständig vom Staat bezahlt sein, aber es darf nicht so teuer sein, dass der ganze Lohn durch die Kita-Kosten wieder aufgefressen wird», sagt Bally.

Cédric Wermuth (SP) wehrt sich gegen den Vorwurf, er verhindere mit seiner Kandidatur eine Frau – Yvonne Feri, die bei der Nomination parteiintern unterlag. Die SP betreibe seit langem eine 50:50-Politik, 60 Prozent ihrer Nationalratsmitglieder seien weiblich, vier von sieben Frauen im Ständerat seien in der SP. «Deshalb kann jetzt nach Pascale Bruderer auch ein Mann antreten», sagt Wermuth.

Roland Frauchiger (EVP) äussert sich zu einer anderen Gleichberechtigungs- Frage. Über die Ehe für alle, die von der Reformierten Landeskirche Aargau unterstützt wird, sagt der EVP-Kandidat: «Ich nehme die Zustimmung zur Kenntnis, die Haltung des Kirchenrats muss aber nicht meiner Meinung entsprechen.»

EU/Migration: Redeverbot, Verhandlungen, Lohnschutz und der Samichlaus

Marianne Binder findet, SVP-Kandidat Hansjörg Knecht habe gar kein Recht, über das EU-Rahmenabkommen zu diskutieren. Dies, weil seine Partei mit der Begrenzungs- und Kündigungsinitiative die Personenfreizügigkeit beenden wolle.

Damit wären die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU nicht mehr existent. «Das wäre ein riesiges Problem, wir verdienen zwei von drei Franken im Handel mit der EU, unsere Wirtschaft würde zusammenbrechen.»

Binder ist allerdings auch gegen das Rahmenabkommen in der aktuellen Form. Es gebe Fragezeichen beim Lohnschutz, bei der Unionsbürgerrichtlinie und der Einwanderung in die Sozialwerke, sagt sie.

Hansjörg Knecht diskutiert trotzdem mit und sagt, das Rahmenabkommen enthalte Kröten, die man niemals schlucken dürfe. Das Hauptproblem für ihn sei die dynamische Rechtsübernahme durch die Schweiz. «Wir sind nicht Mitglied der EU, sondern ein souveräner Staat, wir können das nicht akzeptieren.»

Bei der Personenfreizügigkeit brauche es zwingend Nachverhandlungen mit Brüssel. Knecht sieht auch die Zuwanderung von Wirtschaftsflüchtlingen als Problem. «Für zwei Drittel davon gibt es keine Arbeit in der Schweiz, statt hier viel Geld für die schwierige Integration auszugeben, sollte man besser mehr Mittel vor Ort einsetzen.»

Maya Bally (BDP) entgegnet, die Integration von Flüchtlingen, die in der Schweiz bleiben dürften, müsse vorangetrieben werden. «Wenn wir sie nicht in den Arbeitsmarkt integrieren, kosten sie uns viel zu viel Geld.»

Integration erfolge über Beschäftigung, dabei hätten 50 bis 70 Prozent der Flüchtlinge in der Schweiz das Potenzial, hier zu arbeiten. Bally schlägt vor, weniger ausländische Arbeitskräfte in die Schweiz zu holen und stattdessen stärker darauf zu setzen, schon hier lebende Flüchtlinge für diese Jobs fit zu machen.

Cédric Wermuth räumt ein, dass die EU durchaus Anstrengungen für mehr Lohnschutz unternehme, allerdings sei dieser nie auf dem Schweizer Niveau. «Wenn der Gipser, Schreiner oder Plättlileger aus der Region Zofingen mit Firmen aus Polen konkurrieren muss, die Lohndumping betreiben, dann haben die Schweizer KMU schlicht keine Chance.»

Die grosse Auseinandersetzung sieht Wermuth nicht beim EU-Rahmenabkommen, sondern bei der Kündigungsinitiative der SVP. «Wer sich für dieses Anliegen einsetzt, riskiert den Untergang des Forschungs-, Industrie- und Entwicklungsstandorts Aargau.»

Beat Flach (GLP) sagt, auch heute kämen Montage-Trupps in die Schweiz, hier werde ihnen angeblich der richtige Lohn bezahlt, «wenn sie wieder im Heimatland sind, müssen sie dort vier Monate gratis arbeiten».

Solche Probleme könne die Schweiz nur zusammen mit der EU und mit einem Rahmenabkommen lösen. «Wenn wir noch lange zuwarten, an Nachverhandlungen und den Samichlaus glauben, dann diskutieren die Linken am Ende über den Lohnschutz von Jobs, die gar nicht mehr bei uns sind, sondern ausgelagert wurden.»

Klimawandel: Bergwanderer, Ägypten-Flieger, Busfahrer und Wasserstoff-Fans

Thierry Burkart ist im Wahlkampf mit einem alten VW-Bus unterwegs – von links kam rasch der Vorwurf, dies sei eine Dreckschleuder, der Bus verbrauche sehr viel Benzin. «Ich habe den CO2-Verbrauch überkompensiert, aus Versehen sogar zweimal bezahlt. Die Kritik der Aargauer SP-Präsidentin hat mir genützt, mein Bus mit Jahrgang 1974 ist wohl das bekannteste Fahrzeug im Wahlkampf.»

Burkart sagte im Nationalrat Nein zur Flugticketabgabe, weil diese keine Lenkungswirkung habe, sondern eine reine Abgabe sei: «Wegen 30 Franken fliegt niemand weniger.» Er sei aber für höhere Abgaben auf Benzin und Diesel, weil der Ertrag in die CO2-Kompensation investiert werde.

Cédric Wermuth flog letztes Jahr nach Ägypten in die Ferien – das verursachte rund eine Tonne CO2. Damit könnte man mit einem VW-Bus ziemlich weit durch den Aargau fahren.

«Ich habe selber Verbesserungspotenzial bei meinem ökologischen Fussabdruck, aber nicht nur Engel dürfen Klimapolitik machen. Es ist keine Frage des individuellen Handelns, es geht darum, dass die Gesellschaft künftig weniger Ressourcen verbraucht.»

Wermuth ist für eine Flugticketabgabe, sagt aber auch, dass man den Leuten nicht verbieten könne, mit dem Flugzeug nach Berlin zu reisen, wenn die Bahnverbindungen als Alternative nicht besser seien.

Roland Frauchiger sagt, zur Schöpfung Sorge tragen, heisse vernünftig sein, nicht radikal. Er ist für die Flugticketabgabe, glaubt aber nicht, dass sie eine grosse Lenkungswirkung haben werde. Der ehemalige Amag-Chef ist dagegen, den Verbrennungsmotor für Autos ab 2030 zu verbieten.

Man müsse überlegen, welchen Treibstoff man verwende: «Ich sehe grosses Potenzial bei Wasserstoff und synthetisch produziertem Methan.» Sein nächstes Auto werde aber einen Elektroantrieb haben. «Und nach Zürich fahre ich mit dem Zug, das haben die Rot-Grünen erreicht.»

Hansjörg Knecht sagt, er verfolge grundsätzlich dasselbe Ziel wie die Klimaaktivisten: «CO2 null.» Er verglich den Weg dorthin mit einer Bergtour. Im Unterschied zur Klimajugend wolle er den Gipfel nicht mit Steigeisen, Seilen und auf dem steilsten Weg erreichen.

«Ich wähle eine andere Route, eine Wanderung, die für alle machbar ist.» Wenn beide Gruppen mit zehn Personen starten, würden bei den Klimaaktivisten neun auf der Strecke bleiben, bei ihm hingegen alle zehn ankommen, sagte Knecht.

Ruth Müri betont, für ihre Partei sei Klimapolitik nicht erst seit Greta Thunberg und den Schulstreiks ein Thema. «Wir haben neben dem Grün auch Magenta im Logo, Gleichstellung in unserer DNA, soziale Sicherheit und eine solidarische Gesellschaft sind für uns auch sehr wichtig.»

Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft müssten gleichberechtigt behandelt werden, sagt Müri. Die Flugticketabgabe begrüsst die Grüne, sie findet aber, diese müsste gerade für lange Flüge höher sein – bis zu 500 Franken.

Beat Flach sagt, eine nachhaltige grüne Zukunft für den Planeten und die Gesellschaft sei nur mit der, nicht gegen die Wirtschaft zu erreichen. «Wir sehen in der Technologie viele Möglichkeiten, um den Wohlstand zu erhalten und eine nachhaltige Entwicklung zu schaffen, damit nicht alle Rohstoffe unseres Planeten verbrannt werden.»

Bei der Flugticketabgabe, die Flach begrüsst, macht er darauf aufmerksam, dass der Anstoss dafür eine Motion des GLP-Schweiz-Präsidenten Urs Grossen gewesen sei.