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Kanton Aargau
Die Aargauer Wasserfassungen werden auf einen neuen Abbaustoff des Pestizids Chlorothalonil untersucht. Eine Gefährdung wird ausgeschlossen.
Über Jahrzehnte hinweg haben Bauern das Pflanzenschutzmittel Chlorothalonil auf ihre Felder gesprüht. Dem lästigen Pilzbefall sollte damit beigekommen werden. Tonnen über Tonnen versickerten im Boden, Abbauprodukte landeten in Grund- und Trinkwasser. Lange galt der Stoff als unbedenklich, der breiten Öffentlichkeit war er nicht einmal ein Begriff – bis zum letzten Sommer. Plötzlich war das Wort Chlorothalonil, eigentlich ein Zungenbrecher, in aller Munde.
Was war passiert? Der Bund beurteilte den Stoff neu und kam zum Schluss: Das Pestizid ist wahrscheinlich krebserregend. Man legte einen neuen Höchstwert fest. Das Fungizid durfte nur noch in einer Konzentration von 0,1 Mikrogramm pro Liter im Trinkwasser vorkommen. Im Aargau überschritt jede achte Gemeinde den angepassten Grenzwert, wie Untersuchungen zeigten. Vorsorglich wurden mehrere Wasserfassungen vom Netz genommen.
Im Dezember schliesslich folgte ein schweizweites Verbot. Das Bundesamt für Landwirtschaft entschied, dass Pflanzenschutzmittel mit dem Wirkstoff Chlorothalonil ab diesem Jahr weder verkauft noch eingesetzt werden dürfen. Für die Aargauer Behörden ist das Thema allerdings noch nicht vom Tisch. Gestern informierte das Departement Gesundheit und Soziales (DGS). Man vermutet ein zweites Abbauprodukt von Chlorothalonil im Trinkwasser.
R471811 lautet der sperrige Fachbegriff für das neue Abbauprodukt. «Wir gehen davon aus, dass zwei Drittel der Trinkwasserfassungen damit belastet sind», sagt Alda Breitenmoser vom Amt für Verbraucherschutz. Sie empfiehlt aber, Ruhe zu bewahren. «Einerseits ist der Grenzwert sehr tief angesetzt, zum anderen wird der Stoff nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht als krebserregend eingeschätzt.» Dies im Gegensatz zur Chlorothalonilsulfonsäure, dem anderen Abbauprodukt des Pestizids, das im letzten Jahr so häufig im Grundwasser nachgewiesen wurde. Dieses kann in grösseren Mengen gefährlich sein.
Bis anhin hatte man Chlorothalonil nur auf die Sulfonsäure in den Wasserfassungen untersucht. Dass die Überprüfung jetzt ausgeweitet wird, hat mit dem Chlorothalonil-Verbot zu tun. Wie das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen den Kantonen vor ein paar Tagen mitteilte, gelten neu sämtliche Abbaustoffe überall als untersuchungsrelevant.
Die Wasserversorger sind nun gefordert. Gemeinsam mit dem Amt für Verbraucherschutz werden sie in den kommenden Monaten Wasserproben untersuchen. Bei erhöhten Werten müssten sie «Massnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserqualität prüfen», wie das DGS in der Mitteilung schreibt. «Es kann zum Beispiel Wasser aus einer unbelasteten Quelle beigemischt werden», erklärt Breitenmoser. Die Amtsleiterin befürwortet auch überregionale Lösungen. Rund 1800 Quellwasserfassungen und 300 Grundwasserfassungen gibt es im Kanton. Breitenmoser schlägt vor, dass sich einige Grundwasserpumpwerke gegenseitig mit sauberem Wasser aushelfen könnten. «Wenn in Zukunft die Sommer immer trockener werden und Starkniederschläge zunehmen, wird das so oder so zum Thema.»
Ralf Bucher, Geschäftsführer des Bauernverbands Aargau, findet es nachvollziehbar, dass man die Entwicklung von Chlorothalonil-Rückständen im Grundwasser weiterhin nachverfolgt. Bereits im August hatte sich der Bauer und CVP-Grossrat dafür starkgemacht, dass das Pestizid verboten wird. Damit man endlich Klarheit habe, was erlaubt sei und was nicht, argumentierte Bucher damals. Heute sagt er: «Wir wollen aus dem Verbot die richtigen Schlüsse ziehen.» Generell würden Bauern im Aargau immer weniger Pflanzenschutzmittel verwenden. Man versuche, den Einsatz auch weiterhin zu reduzieren. «Falls auch andere Pestizide künftig verboten werden sollten, können wir dadurch rechtzeitig auf Alternativen umsteigen», sagt Bucher.
Hansjörg Wittwer, Grossrat der Grünen, überrascht es nicht, dass nun auch ein weiteres Abbauprodukt von Chlorothalonil im Trinkwasser vermutet wird, wie er auf Anfrage sagt. Letztes Jahr reichte Wittwer im Grossen Rat eine Motion zum Thema ein. Er wollte die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in Trinkwasserschutzzonen und Grundwasserschutzarealen vollständig verbieten. An dieser Forderung hält er weiterhin fest. «Pestizide und deren Rückstände sind überall. Es wird immer schwieriger werden, gesundes Trinkwasser bereitstellen zu können», sagt er. Laut Alda Breitenmoser bräuchten sich die Aargauer aber keine Sorgen zu machen: «Die Verbraucher können das Wasser weiterhin uneingeschränkt trinken.»