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Der Bullmastiff «Rock», der vor einem Monat auf dem Unterentfelder Pausenplatz zugebissen hatte, flog vor kurzem beim Veterinäramt des Kantons Aargau durch den Wesenstest. Das dürfte womöglich sein Todesurteil gewesen sein – nun kommt Kritik am Test auf.
In einem Beitrag auf Tele M1 bezeichnete der Aargauer Hundetrainer Roman Huber den Wesenstest für Hunde im Fall von Rock als «hirnlos». Umgekehrt sagte die für den Fall «Rock» beim Kanton Aargau zuständige Veterinärin Alda Breitenmoser: Die Tests hätten sich in der Praxis bewährt.
Mitte März hatte Bullmastiff «Rock» auf dem Pausenplatz in Unterentfelden eine Mutter und Primarschüler gebissen. Sie mussten medizinisch behandelt werden. Der Hund war seinen Besitzern davongelaufen. Sie selbst sagen über ihr Haustier: «Rock ist kein aggressiver Hund.» Das sehen nicht alle so.
Hundetrainer Roman Huber hingegen hält nichts vom Wesenstest, der zurzeit im Zentrum der Debatte steht und über Leben und Tod des Hundes entscheidet.
Für ihn ist klar: «Grundsätzlich ist es normal, wenn ein Hund bei Situationen, die für ihn bedrohlich erscheinen, Aggressionsverhalten aufzeigt, denn dieses gehört zum natürlichen Sozialverhalten und zum Überlebenstrieb, der allen Instinkten übergeordnet ist. Hunde, die darum bellen oder knurren, darf man nicht einfach als gefährlich einstufen.» Und genau das geschehe bei Wesenstests. Es handle sich um verschiedene Konfrontationen, bei denen der Hund Reizquellen ausgesetzt werde, damit man sein Aggressionsverhalten beurteilen könne. Wesenstests seien weder normiert noch geschützt. Laut Huber sind sie nur sinnvoll und berechtigt, wenn überprüft werden muss, ob ein Hund ohne jegliche Vorwarnung in den Angriff geht oder zubeisst.
Die Aufgaben eines Wesenstest reichten vom Passieren eines Velofahrers bis zur Bedrohung eines aggressiv schreienden und entgegentretenden Mannes.
«Über den Sinn oder Unsinn solcher Wesenstests streiten sich Fachleute seit längerem», so Roman Huber. Seine Kritik: «Während Biologen und Verhaltensmediziner an der Aussagekraft und an den Aufgaben wie an der Gestaltung und Bewertung der Wesenstests grösste Zweifel anbringen, halten Veterinärämter daran fest.»
Der Wesenstest dient der Legitimation, um nach Beissvorfällen die Gefährlichkeit von Hunden abzuklären. Aufgrund des Tests entscheiden Behörden Massnahmen, die von Leinenzwang bis zum Einschläfern reichen können.
Aber: Der Wesenstest könne auch in Konflikt mit dem geltenden Tierschutz-Gesetz geraten, so Roman Huber. Artikel 3 und 4 halte fest, dass Tiere nicht unnötig in Angst versetzt werden dürften. Bullmastiff «Rock» hingegen sei von fremden Personen in eine Bedrohungssituation mit schreienden Menschen und Kindern geführt worden, in der er mehrmals zubiss.
Hundetrainer Huber stellt fest: «Das heisst, dass Rock im Widerspruch zum Tierschutzgesetz in Angst versetzt wurde, wofür keine Notwendigkeit bestanden hatte.»
Dieser Test mit Rock war gemäss Huber aus mehreren Gründen unsinnig: Erstens sei «Rock» mit knapp 10 Monaten ein pubertierender Junghund. Verhaltensbiologen seien der Meinung, dass Wesenstests mit Junghunden unsinnig und Testresultate mit nicht erwachsenen Hunden wertlos seien. Im Falle von «Rock» seien mit diesem Test sogar das Ablegen der Beisshemmung trainiert und damit gefestigt, sodass sich aufgrund des vorliegenden negativen Ergebnisses das Einschläfern aufdrängen dürfte, weil es schlicht zu gefährlich würde, wenn «Rock» wieder in den Alltag entlassen würde. Huber: «Vielleicht bleibt ihm die Maulkorbpflicht – eine Auflage, die für Hunde unangenehm ist.»
Schliesslich kritisiert Huber: «Bei Wesenstests werden meistens auch wichtige Faktoren nicht berücksichtigt wie die Tagesform des Hundes, Schmerzen, Krankheit, Hormonstatus und anderes.» Vielfach würden solche Tests durchgeführt bei einem Hund, der beschlagnahmt und damit aus seinem heimischen Umfeld herausgenommen worden sei. Das heisse, dass der Hund bereits ohne Test unter hohem Stress leide.
In solchen Situationen durchgeführte Tests ergeben gemäss Huber keine verlässlichen Resultate, denn ein Hund könne unter Stress sowohl «zumachen» und gar nicht reagieren als auch hyperreaktiv sein. Dies zeige die Sinn- und Nutzlosigkeit gewisser Tests auf. Laut dem bekannten Biologen Udo Ganslosser gebe es darum «keine sinnvollen Testverfahren», und er fordere auf, diese Wesenstests sofort zu überdenken.
Die Situation ist für den knapp jährigen Bullmastiff derzeit also brenzlig. Er könnte eingeschläfert werden. Was mit «Rock» passiert, will Alda Breitenmoser nicht bekannt geben. Auf Nachfrage der az Aargauer Zeitung sagte sie nur: «Ich kann Ihnen nur eines sagen: Es ist ein laufendes Verfahren und ich kann keine Auskunft geben.»