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Kanton Aargau
Der umstrittene Versuch des Schulleiters der Kreisschule Mutschellen, mithilfe der Eltern mehr Geld vom Kanton für zusätzliche Stunden zu erhalten, löst bei Bildungspolitikern heftige Reaktionen aus. Nicht nur Bürgerliche finden das Vorgehen fragwürdig, auch Grünen-Grossrätin Ruth Müri äussert sich kritisch.
Louis Isenmann, Gesamtschulleiter an der Kreisschule Mutschellen, forderte alle Eltern der Sek- und Realschüler auf, ihre Kinder für das Wahlfach Ethik und Religionen anzumelden. Mit diesem Trick wollte Isenmann erreichen, dass der Kanton der Schule mehr Geld zuspricht. Die zusätzliche Lektion sollte als Klassenstunde genutzt werden, doch der Plan misslang: Der Elternbrief wurde letzte Woche publik, die kantonale Schulaufsicht schritt ein und das Bildungsdepartement bezeichnete das gescheiterte «Buebetrickli» von Isenmann als Versuch, geltendes Recht zu umgehen.
SP-Grossrat Thomas Leitch, selber Sekundarlehrer auf dem Mutschellen, widerspricht dieser Einschätzung des Bildungsdepartements. «Es geht überhaupt nicht um eine Rechtsumgehung, sondern um das achtbare Anliegen der Schulleitung, innerhalb des legalen Rahmens für die Schülerinnen und Schüler das Optimum herauszuholen.»
Der Lehrplan definiere für den Fachbereich Ethik und Religionen die beiden Themenschwerpunkte Religionen und Kulturen sowie Lebensgestaltung und Gemeinschaft, sagt Leitch: «Nur wenn alle Schüler das Wahlfach belegen, können diese für die Klassengemeinschaft wichtigen Themen mit der ganzen Klasse behandelt werden.»
CVP-Grossrätin Theres Lepori, die selber aus Berikon stammt, wo die Kreisschule ihren Standort hat, sieht das Vorgehen des Schulleiters als Hilfeschrei, «um dem Spardruck und den Kürzungen zu entgehen». Lepori, die in der Bildungskommission des Grossen Rates sitzt, erachtet die Klassenstunde «als sehr wichtiges Gefäss, um bereits brodelnde oder sich anbahnende Konflikte schon beim Entstehen und im Keim zu behandeln». Die Kompetenz der Konfliktfähigkeit müsse gelernt und geübt werden, findet Lepori. «Dies sind durchaus Themen, die Religionen und Ethik betreffen. Daher denke ich, das eine schliesst das andere nicht aus.»
Lepori findet, das Bildungsdepartement müsse sich Gedanken machen, ob die heutige Regelung zeitgemäss ist. Dass andere Schulen ähnliche Tricks angewendet hätten, zeigt für die CVP-Grossrätin, dass ein Bedürfnis besteht. Lepori: «Unterrichtsinhalte und –ziele können angepasst werden und sind nicht in Stein gemeisselt, nun sollte hier die Diskussion geführt werden.»
Das sagen Aargauer Politiker zum Buebetrickli:
Thomas Leitch hält fest, die Schule müsse neben dem eigentlihcen Unterricht immer mehr Erziehungsaufgaben übernehmen, ohne dass zusätzliche Ressourcen zur Verfügung gestellt würden. «Die Themen reichen von Umgang mit anderen über Konfliktlösung bis zu Konsumerziehung, nicht zu vergessen Gewalt- und Suchtprävention», zählt er auf. Genau diese Inhalte seien im Lehrplan für Religion und Ethik aufgeführt. «Und gerade deshalb macht es Sinn, wenn alle Schüler dieses Wahlfach wählen. Die Politik sollte genügend Ressourcen zur Verfügung stellen, statt kreative Lösungen zu verhindern.»
Ganz anders sieht SVP-Grossrätin Tanja Primault-Suter den Versuch von Louis Isenmann, mithilfe der Eltern der Sek- und Realschüler zusätzliche Lektionen zu erhalten. «Das Vorgehen der Kreisschule Mutschellen ist inakzeptabel, weil sie die Eltern mit Unwahrheiten von einer zusätzlichen Lektion überzeugen wollte.» Die Bildungspolitikerin der SVP hält fest, bisher hätten weder eine Klassenlektion noch Berufskunde als Schulstunden existiert. «Wir leben in einem Rechtsstaat, da kann nicht jeder tun, was er will», sagt Primault-Suter. Die SVP werde noch entscheiden, ob sie einen Vorstoss einreicht. Die SVP-Bildungsexpertin räumt ein, auch an Real-und Sekundarschulen werde zum Teil im Fachlehrersystem unterrichtet, deshalb habe der Klassenlehrer möglicherweise nur wenige Lektionen mit seiner Klasse. Statt einen zweifelhaften Elternbrief zu schreiben, hätte der Schulleiter aber besser das Gespräch mit dem Bildungsdepartement und der Politik gesucht.
Maya Bally, BDP-Grossrätin und Präsidentin der Schulpflege Hendschiken, bezeichnet das Vorgehen des Schulleiters als inkorrekt. «Es verstösst gegen gültige Reglemente und man könnte es zusätzlich auch als Instrumentalisierung der Eltern betrachten.» Ein Freifach solle zu einem Pflichtfach gemacht werden, wobei das Fach dann inhaltlich nicht gemäss Lernzielen unterrichtet werde – «schon sehr kreativ», urteilt Bally. Das misslungene «Buebetrickli» zeige aber auch die Problematik an den Schulen auf. «Ich hoffe, dies findet dann Berücksichtigung bei der Erarbeitung des neuen Aargauer Lehrplans und sensibilisiert alle Politiker dafür, hinzuschauen und hinzuhören.»
FDP-Bildungsexpertin Sabina Freiermuth findet das Vorgehen des Schulleiters auf dem Mutschellen fragwürdig, «zumal die Aussage, dass in der Stundentafel Lektionen gestrichen worden seien, schlicht falsch ist». Bereits im Vorfeld der grossen Lehrerdemo im letzten Herbst hätten einige Schulleitungen in Elternbriefen mit Halbwahrheiten operiert und so unbegründete Ängste vor Kürzungen geschürt, fügt sie an. Freiermuth betont: «Gerade von den Verantwortungsträgern der Schulen erwarte ich diesbezüglich ein spezielles Mass an Sorgfalt und Korrektheit.»
Freiermuth ist der Meinung, dass ein Schulleiter die Klassenstunde innerhalb der normalen Lektionen unterbringen kann. «Es vergeht an den Schulen kein Monat ohne Projektunterricht, Spezialstundenplan oder sonstige besondere Aktivitäten, da lässt sich auch eine Klassenstunde einbauen.» Wenn in einer Klasse tatsächlich Not bestehe, könnten Zusatz- oder Assistenzlektionen beantragt werden, sagt Freiermuth. «Dafür hätte der Schulleiter das Problem dem Bildungsdepartement aber offen kommunizieren müssen», ergänzt sie.
Ganz ähnlich wie die FDP-Grossrätin äussert sich erstaunlicherweise ihre grüne Ratskollegin Ruth Müri. «Das Vorgehen ist nicht korrekt, ein Freifach als Ersatz für eine Klassenstunde einzusetzen, scheint mir fragwürdig», sagt Müri, die in Baden als Stadträtin für das Bildungsressort verantwortlich ist. Die Grünen-Grossrätin hält fest: «Der Brief der Schulleitung an die Eltern ist irreführend, auch wenn der Schulleiter in guter Absicht gehandelt hat, um für die Schülerinnen und Schüler eine offenbar notwendige Stunde zu erhalten.»
Themen wie Sozialkompetenz, Konfliktbewältigung oder auch verbindliche Regeln innerhalb einer Klasse seien wichtig, sagt Ruth Müri. «Das muss aber innerhalb der normalen Lektionen Platz finden, auch wenn gewisse Aspekte durchaus zu den Inhalten des Fachs Ethik und Religionen passen.» Mehr Geld zu verlangen sei unter den aktuellen Rahmenbedingung kaum der richtige Ansatz, schliesslich habe es bei der Stundentafel ja keine Kürzungen gegeben. «Ich würde eher auf mehr Flexibilität und Kompetenz der Schulleitungen setzen», nennt Müri ihr Rezept. Grundsätzlich habe jede Schule ihre Besonderheiten und Bedürfnisse und müsste die Mittel auch entsprechend etwas flexibler einsetzen können, dies natürlich im Rahmen des Lehrplans.