Professor Eichenberger
Besser als schlechte Dorfkönige: «Gemeinden sollen Auswärtige als Ammänner importieren»

Mehr Entschädigungen für Ammänner und Gemeinderäte sollen das Rekrutierungsproblem entschärfen. Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger will noch einen Schritt weiter gehen. Um das Milizsystem zu retten, müsse man auch Auswärtige zulassen. Die seien auch weniger verbandelt als einheimische Dorfkönige.

Rolf Cavalli
Drucken
Reiner Eichenberger, Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg.

Reiner Eichenberger, Wirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg.

Susi Bodmer

Herr Eichenberger, was halten Sie von der Forderung, Gemeindeammänner und Gemeinderäte markant besser zu entschädigen?

Reiner Eichenberger: Das Prinzip einer anständigen Bezahlung ist richtig, aber zur Lösung der Rekrutierungs- und Qualitätsprobleme bei Gemeindepolitikern braucht es mehr. Man muss Auswärtige als Kandidaten zulassen. Es ist doch absurd: Normale Gemeindeangestellte werden in der Regel wenigstens marktüblich entlöhnt und können von überall kommen, aber ausgerechnet ihre Chefs sollen für ein Butterbrot arbeiten und aus der Gemeinde kommen.

Kritiker warnen, mit höheren Entschädigungen werde die Gemeinde zum Selbstbedienungsladen für Politiker.

Im Gegenteil. Im alten System ist die Gefahr grösser, dass sich ein Ammann bedient. Zum sogenannten Gotteslohn arbeiten ist das eine. Aber ein Ammann kann seine Position anderweitig ummünzen. Manche gebärden sich als Dorfkönige, haben alle Fäden in der Hand und fällen Entscheide, die ihnen oder ihrer Klientel dienen.

Besteht diese Gefahr nicht auch bei einem gut bezahlten Politiker von extern?

Weit weniger. Er ist nicht verbandelt im Dorf, nicht mit jedem zweiten per Du. Er besitzt zumeist kein Land und keine Firma im Dorf, so dass er neutraler ist und keine Eigeninteressen hat. Dank einem guten Lohn ist er auch finanziell unabhängiger. Zudem bringt die Marktöffnung einen grösseren Wettbewerbsdruck. Schlechte Dorfkönige würden oft von Auswärtigen verdrängt. Schliesslich schafft die Möglichkeit von Politikern, dank guter Leistung in andere grössere Gemeinden zu wechseln, hervorragende Leistungsanreize.

Wo funktioniert das Modell mit Auswärtigen Ihrer Ansicht nach?

Baden-Württemberg hat jahrzehntelange Erfahrungen damit. 80 Prozent der Bürgermeister kommen dort von ausserhalb, von irgendwo aus Deutschland, aber zumeist aus der engeren Umgebung. Und die Menschen sind hochzufrieden mit diesem Modell. Denn die Bürgermeister sind enorm bürgernah und kompetent – im positiven Sinne professionell. Das sieht man zuweilen, wenn süddeutsche Bürgermeister mit Schweizer Kollegen über Fluglärm etc. verhandeln...

Deutsche Politik mit unserer zu vergleichen ist immer etwas schwierig.

Dann schauen wir halt in die Schweiz. Es gibt Kantone, welche schon erfolgreich Gemeindepräsidenten von aussen rekrutieren, insbesondere St. Gallen und Thurgau. Kandidaten von aussen beleben die Konkurrenz. Als Jona mit Rapperswil fusionierte, hat sich der überzählige Gemeindevizepräsident von Rapperswil in Arbon beworben und sich prompt gegen einheimische Kandidaten durchgesetzt. Der neue Stadtpräsident von Rapperswil-Jona war zuvor Präsident in Wesen und Sargans. Wichtig ist, dass das Stimmvolk entscheiden kann. Und je grösser der Markt, desto besser.

Ökonom Reiner Eichenberger fordert eine Marktöffnung für Gemeinderatskandidaten "Auswärtige sind nicht verbandelt im Dorf, haben keine Eigeninteressen und sind damit neutraler."

Ökonom Reiner Eichenberger fordert eine Marktöffnung für Gemeinderatskandidaten "Auswärtige sind nicht verbandelt im Dorf, haben keine Eigeninteressen und sind damit neutraler."

HO

Kann man Politik wirklich mit Marktgesetzen steuern?

In diesem Fall ja. Die Gemeinden werden mit einer Öffnung bei der Kandidatensuche für Gemeinderatsämter viel flexibler. Gemeinden mit vielen guten Politikern können Politiker exportieren. Umgekehrt können Gemeinden, die zuwenige haben, gute Politiker importieren. Stellen Sie sich vor, Novartis dürfte nur Leute in Chefpositionen anstellen, die bereits in Basel wohnen. Die Firma wäre tot! Unser Milizsystem ist ebenfalls bald tot, wenn man keine Mobilität für Gemeindepolitiker zulässt.

Müsste ein Gemeindeammann wenigstens nach seiner Wahl in die Gemeinde ziehen, die er regiert?

Nicht zwingend. Beispiel Schwyz. Dort muss der Kandidierende aus dem eigenen Kanton kommen, dann aber nicht unbedingt in die Gemeinde ziehen, die er führt.

Verstehen Leute aus der eigenen Gemeinde nicht besser, wie ihr Dorf tickt?

Nein. Jede Gemeinde bräuchte ja einen Spezialisten für Finanzen, Soziales, Bildung, etc., um ihre Ämter optimal zu besetzen. Im Aargau bräuchte man das also theoretisch 213 mal für jedes Amt. Das ist illusorisch. Ich gehe deshalb einen Schritt weiter und finde, man muss es einem Gemeinderat ermöglichen in verschiedenen Gemeinden gleichzeitig sein Amt auszuüben. Entscheidend ist, dass dieser die kantonalen Gesetze und Gegebenheiten fundiert kennt. Wenn jemand zum Beispiel das Sozialdossier in mehreren Gemeinden betreut, sagen wir je in einem 20-Prozent-Pensum, hat er eine viel höhere Fachkenntnis. Das wiederum führt zu besseren Ergebnissen für die Gemeinden. Im aktuellen System mit Wohnsitzpflicht ist ein Exekutivpolitiker verdammt dazu, nur einen Kunden zu haben. So würde die Privatwirtschaft niemals funktionieren.

Ist eine solche Professionalisierung auf Gemeindeebene nicht das Ende unseres Milizsystems?

Ich bin ein Anhänger des Milizsystems und für die Bewahrung kleiner Strukturen. Aber dazu müssen wir den Markt für Exekutivpolitiker öffnen. Das Problem sind notabene nicht professionellere Exekutivpolitiker. Es würde niemandem in den Sinn kommen, unprofessionelle Regierungsräte zu fordern. Das Problem ist wenn schon, dass unsere Volksvertreter, die Parlamentarier, zunehmend ihre Politikerposten zum Beruf machen.

Was passiert, wenn man die Rekrutierung von Gemeindepolitikern nicht öffnet für Auswärtige?

Dann bleibt für die kleinen und mittleren nur die Fusion. Fusion heisst aber immer, dass eine Gemeinde einen gewichtigen Teil ihrer Politiker importieren muss, und zwar ausschliesslich vom Fusionspartner Da ist es doch besser, wenn die Gemeinden selbständig bleiben, dafür aber den Personalmarkt öffnen. So können die Stimmbürger selber entscheiden, ob und woher sie einen Auswärtigen als Ammann wollen.