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Kanton Aargau
Wie sieht die künftige Stromversorgung aus? Ist die Strategie des Bundes, über die das Volk am 21. Mai abstimmt, der richtige Weg oder führt er in die falsche Richtung? Die grossen Wirtschaftsverbände sind uneinig. Die Industrie- und Handelskammer sagt klar Nein, im Gewerbeverband könnte ein Ja resultieren.
Der Aargau ist der Energiekanton der Schweiz. In keinem anderen Kanton wird so viel Strom produziert. Zur Energiestrategie 2050 gehört, dass die AKW, wenn sie dereinst abgeschaltet werden, mit Sparen, Effizienzgewinnen, mehr Wasserkraft, erneuerbaren Energien und verbesserter Speicherung kompensiert werden sollen.
Für den Aargau, wo drei der fünf Schweizer AKW stehen, eine besondere Herausforderung. Die Energiedebatte verläuft hier denn auch anders als in anderen Kantonen. Zwar wird wie auf nationaler auch auf kantonaler Ebene ein Ja von SP, Grünen, EVP, GLP, BDP und CVP resultieren. Die Gewerkschaften sind klar dafür. Die SVP behandelt die Energiegesetz-Vorlage am Parteitag vom 26. April kontradiktorisch. Das klare Nein ist aber absehbar. Bereits deutlich Nein hat die FDP am Donnerstagabend gesagt.
Doch die Skepsis, ob die Energiewende funktioniert, ist hier grösser als anderswo. Das spürt man in der Aargauischen Industrie- und Handelskammer (AIHK) besonders deutlich. Der schweizerische Wirtschafts-Dachverband Economiesuisse verzichtete zutiefst uneinig auf eine Parole.
Jetzt entschied der Vorstand der AIHK nach längerer Diskussion zwar nicht einstimmig, aber klar gegen die Vorlage, so Präsident Daniel Knecht: «Das Nein basiert hauptsächlich auf ordnungspolitischen Überlegungen. Die Vorlage enthält gewiss auch positive Punkte. Doch wir wollen keine flächendeckenden Subventionen, keine staatlich durchregulierte Energieversorgung. Wir wollen kein Technologieverbot, dafür unsere Versorgungsautonomie erhalten.»
Der Regierungsrat empfiehlt, die Vorlage zum Energiegesetz anzunehmen. Drei der fünf Schweizer Kernkraftwerke stehen auf Aargauer Kantonsgebiet und decken rund 35 Prozent des Schweizer Strombedarfs. Die Regierung verweist in ihrer Stellungnahme auf die vom Grossen Rat verabschiedete kantonale Energiestrategie energieAARGAU. Diese basiere auf der Energiestrategie 2050 des Bundes. Die wiederum ziele mit dem ersten Massnahmenpaket in die richtige Richtung. Der Aargau sehe die Energiezukunft als Chance und wolle sie aktiv mitgestalten, so die Regierung weiter. Mit seinen vielen Energieforschungsinstituten und -unternehmen habe er die besten Voraussetzungen dazu. (MKU)
Aber wie will dies die AIHK machen? Mit neuen AKW, wenn die bisherigen sukzessive vom Netz gehen? Knecht winkt ab: «Dass ein neues AKW, wie wir sie heute kennen, in der Schweiz keine Chance mehr hätte, ist uns klar. In der Energiebranche ist heute aber sehr viel im Umbruch. Auch deshalb darf es kein Technologieverbot geben. Wir müssen offen sein für neue Möglichkeiten, doch dabei muss der freie Markt spielen können.»
Spannend wird die Delegiertenversammlung des Aargauischen Gewerbeverbandes (AGV) am 27. April in Wettingen. Zwar hat der Vorstand des Schweizerischen Gewerbeverbandes im Verhältnis 2 : 1 klar die Ja-Parole beschlossen. Dieses deutliche Ja hat selbst Kurt Schmid überrascht, den Präsidenten des Aargauischen Gewerbeverbandes (AGV). Der Vorstand des AGV empfiehlt auch ein Ja, jedoch nur mit knappem Mehr.
Schmid: «In Abwägung aller Argumente kamen wir zum Schluss, dass die Vorlage für das Gewerbe vorteilhaft ist.» Um Klarheit zu schaffen, wo das Gewerbe steht, hat der Vorstand beschlossen, sie der Delegiertenversammlung zu unterbreiten. In Wettingen werden zwei Exponenten von Schweizer Verbänden, nämlich von Swisscleantech (pro) und von Swissmem (kontra), die Klingen kreuzen.
Die Fronten gehen quer durch die Branchen und verlaufen auch innerhalb der Branchen. So sagt der schweizerische Branchenverband Swissmem Nein zum Energiegesetz. Der Technologiekonzern ABB Schweiz sieht das aber anders. Laut Remo Lütolf, Vorsitzender der Geschäftsleitung, unterstützt ABB Schweiz die Energiestrategie 2050: «Sie ist technisch machbar, und ABB kann einen Beitrag zur Umsetzung leisten, indem wir mit innovativen Technologien Lösungen für eine nachhaltigere Energieversorgung sowie zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Verbesserung der industriellen Produktivität bieten.»
Gleichzeitig müsse die Stromversorgung langfristig sichergestellt und finanzierbar sein, und der Staat sollte keine Technologien vorschreiben oder verbieten, so ABB. Lütolf weiter: «Die Herausforderungen bestehen heute in erster Linie darin, die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Technologien stehen bereits zu Verfügung.»
Anfang Mai kommt Bundespräsidentin und Energieministerin Doris Leuthard für eine Abstimmungsveranstaltung nach Aarau in ihren Heimatkanton. Eine Gelegenheit für Unschlüssige, sich ein Bild von der Vorlage zu machen.
Das Eidgenössische Parlament hat zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 das Energiegesetz revidiert und damit ein erstes Massnahmenpaket beschlossen. Es soll dazu dienen, den Energieverbrauch zu senken, die Energieeffizienz zu erhöhen und erneuerbare Energien zu fördern. Dieses erste Paket zur Umsetzung der Energiestrategie 2050 kommt am 21. Mai zur Abstimmung. Nachfolgend die wichtigsten Punkte:
- Im Gesetz werden für 2020 und 2035 Richtwerte für den Energie- und Stromverbrauch verankert. Daran orientieren sich die Massnahmen.
- Ab 2021 dürfen neu importierte Autos im Schnitt über die ganze Flotte nur noch 95 g CO²/km ausstossen (heute 130 g).
- Das Programm von Bund und Kantonen für energetische Gebäudesanierungen erhält mehr Geld aus der CO²-Abgabe (bis 450 Mio. Franken/Jahr).
- Steuerabzüge können im Jahr der Sanierung und neu auch in den zwei folgenden Steuerperioden geltend gemacht werden. Zudem können Abbruchkosten neu von den Steuern abgezogen werden, wenn ein Altbau durch einen energetisch besseren Neubau ersetzt wird.
- Produzenten von Strom aus erneuerbaren Energien müssen ihren Strom neu ab einer bestimmten Anlagengrösse selbst vermarkten. Kleine Wasserkraftwerke (mit einer Leistung von weniger als 1 Megawatt) können keine Einspeisevergütung mehr beantragen.
- Wasserkraftwerke und Biomasseanlagen können neu Investitionsbeiträge beantragen. Zudem können neu auch für grössere Photovoltaikanlagen Investitionsbeiträge bewilligt werden.
- Bestehende grosse Wasserkraftwerke (mit einer Leistung von mehr als 10 Megawatt) können während fünf Jahren eine Marktprämie in Anspruch nehmen für Strom, den sie am Markt unter den ihnen entstandenen Kosten verkaufen mussten.
- Der Netzzuschlag für die Förderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien, für die Energieeffizienz und für die ökologische Sanierung von Wasserkraftwerken wird von 1,5 auf 2,3 Rappen pro Kilowattstunde erhöht.
- Der Bau neuer AKW wird verboten: Bestehende AKW dürfen produzieren, solange sie sicher sind. Sie dürfen nach der Abschaltung nicht ersetzt werden. (MKU)