Anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge, die in einer kantonalen oder kommunalen Asylunterkunft untergebracht waren, haben über Jahre zu wenig Sozialhilfe erhalten. Diese Praxis war widerrechtlich. Betroffene können ihre Ansprüche nun rückwirkend bis zum 1. Oktober 2015 geltend machen. Tun sie dies, erhöhen sich aber ihre Sozialhilfeschulden.
Im Asylwesen hat der Kanton Aargau jahrelang gegen Bundesrecht verstossen. Geflüchtete, die in einer Asylunterkunft lebten, erhielten neun Franken pro Tag. Unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus. Tatsächlich entscheidet aber nicht die Wohnsituation darüber, wie viel Geld jemand bekommt, sondern der Aufenthaltsstatus einer Person.
Anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge sind bei der Sozialhilfe Schweizerinnen und Schweizern gleichgestellt. Ihnen würde also mehr Geld zustehen als Personen im Asylverfahren oder vorläufig aufgenommenen Ausländern, die Sozialhilfe nach den tieferen Asylsätzen erhalten.
Der Verein Netzwerk Asyl Aargau hat immer wieder auf das Thema aufmerksam gemacht, das erste Mal im Oktober 2006. Das Departement Gesundheit und Soziales hat die widerrechtliche Praxis aber erst per 1. Oktober 2020 angepasst. Seither erhalten anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge das Geld, das ihnen zusteht.
Alle anderen Personen, die in früheren Jahren von der widerrechtlichen Praxis betroffen waren, haben nun die Möglichkeit, ihre Ansprüche rückwirkend geltend zu machen. Das teilt das Gesundheitsdepartement mit. Es gilt eine Verjährungsfrist von fünf Jahren, gerechnet ab Oktober 2020. Das heisst: Die Betroffenen können eine Nachzahlung der Sozialhilfe rückwirkend bis 1. Oktober 2015 beantragen.
Der Kanton hat auf seiner Website nun Merkblätter in zwölf Sprachen aufgeschaltet. Unter dem gleichen Link finden die Betroffenen auch das Gesuchsformular, welches sie ausgefüllt per E-Mail oder Post einreichen können. Die Gesuche werden einzeln geprüft. Danach entscheidet der Kantonale Sozialdienst, ob ein Anspruch auf eine rückwirkende Zahlung besteht.
Der Kantonale Sozialdienst informiert über den Gesuchprozess um Nachzahlung von Sozialhilfe für Flüchtlinge in Asylunterkünften. https://t.co/TaPnb11SX1 pic.twitter.com/vSF0pBE5QS
— Kanton Aargau (@kantonaargau) September 30, 2021
Persönlich angeschrieben werden die Betroffenen nicht. Der Kantonale Sozialdienst habe Organisationen aus dem Asyl- und Sozialbereich sowie Gemeinden über die Nachzahlung der Sozialhilfe informiert, heisst es in der Mitteilung. Zudem mache der Sozialdienst in den sozialen Medien auf die Möglichkeit zur Gesuchsstellung aufmerksam. «Wir gehen davon aus, dass die Information über die Medien, die Asylorganisationen und die Mund-zu-Mund-Verbreitung genügen wird», sagt Stefan Ziegler, Leiter des Kantonalen Sozialdienstes.
In der Zeit zwischen 1. Oktober 2015 und 30. September 2020 lebten 1800 anerkannte oder vorläufig aufgenommene Flüchtlinge in Asylunterkünften. Sie alle hätten Anspruch auf eine Nachzahlung der Sozialhilfe. Die Differenz zwischen Asylansätzen und ordentlichen Sozialhilfeansätzen beträgt laut Stefan Ziegler durchschnittlich ungefähr 7.30 Franken pro Tag und Person.
Sollten alle Betroffenen ihre Ansprüche geltend machen, geht Ziegler von Gesamtkosten von 1,3 Millionen Franken für den Kanton aus. Den 1800 Betroffenen stehen im Durchschnitt also Nachzahlungen in der Höhe von rund 720 Franken pro Person zu.
Da es sich um Sozialhilfegelder handelt und diese zurückbezahlt werden müssen, sobald es die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen zulassen, erhöhen sich bei einer Nachzahlung die Sozialhilfeschulden. Gleichzeitig wird eine allfällige Nachzahlung aber auch mit offenen Rechnungen beim Sozialdienst verrechnet.
Ob es sich vor diesem Hintergrund für die Betroffenen überhaupt lohnt, eine Nachzahlung zu beantragen, komme auf den Einzelfall an, sagt Ziegler. Der Kantonale Sozialdienst biete den Betroffenen deshalb Beratungen an.