Fall Wohlen
Argus-Sondereinsatz: Obergericht spricht Offizier schuldig – Freispruch für Polizist

Das Aargauer Obergericht hat einen Polizeioffizier, der 2009 einen Einsatz der Sondereinheit "Argus" befahl, wegen Amtsmissbrauchs zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Ein Polizist, der beim Einsatz auf einen Randalierer schoss, wurde freigesprochen.

Manuel Bühlmann
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Vor dem Obergericht ging es um einen Sondereinsatz im Jahr 2009 in Wohlen.

Vor dem Obergericht ging es um einen Sondereinsatz im Jahr 2009 in Wohlen.

Sandra Ardizzone

«Wenn es nichts mehr zu diskutieren gibt, kommt die Sondereinheit ‹Argus› zum Einsatz.» So steht es auf der Website des Kantons Aargau. Nichts mehr zu diskutieren gab es offenbar auch im Mai 2009 in Wohlen. Damals stürmten sechs Angehörige der Argus-Einheit eine Wohnung.

Beim Einsatz wurde ein damals 30-Jähriger durch zwei Schüsse in den Bauch schwer verletzt. Der stark betrunkene Serbe hatte randaliert, wiederholt mit Suizid gedroht und einen Polizisten mit einem Messer angegriffen, worauf dieser seine Dienstwaffe einsetzte.

Achteinhalb Jahre sind seither vergangen. Am Mittwoch hatte sich die Aargauer Justiz erneut mit dem Fall zu beschäftigen. Im April 2016 wurde der Polizist, der geschossen hatte, vom Bezirksgericht Bremgarten wegen schwerer Körperverletzung in einem Notwehrexzess zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt.

Der Einsatzleiter wurde damals zwar vom Vorwurf der schweren und fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen, aber wegen Amtsmissbrauch, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch mit einer bedingten Geldstrafe bestraft. Damit waren weder Staatsanwaltschaft noch die Beschuldigten zufrieden; beide Seiten zogen den Fall ans Obergericht weiter, wo die beiden Polizisten am Mittwochmorgen – in Anzug statt Uniform – erschienen und auf der Anklagebank den Begründungen ihrer Verteidiger lauschten, die beide Freisprüche forderten.

Notwehr oder nicht?

Markus Leimbacher, Anwalt jenes Beschuldigten, der die zwei Schüsse abgegeben hatte, sagte: «Er musste und durfte sein Leben schützen.» Von einem Notwehrexzess, wie ihn die Vorinstanz angenommen hatte, könne keine Rede sein. Der Angehörige der Spezialeinheit Argus habe gemacht, was er gelernt und geübt habe – und dies im Bruchteil einer Sekunde.

Der für diesen Fall eingesetzte ausserordentliche Staatsanwalt Urs Sutter kam zu einem ganz anderen Schluss. Es habe damals keine Situation vorgelegen, die ihn zur Notwehr berechtigt habe, sagte er vor Gericht. «Die Schüsse waren nicht gerechtfertigt.» Der Polizist hätte dem Angriff des betrunkenen Mannes ohne weiteres ausweichen können.

Auch den Einsatzleiter machte der Staatsanwalt für die Schussverletzungen verantwortlich. «Unverzeihliche Fehler» seien ihm unterlaufen, die einem Polizisten nicht passieren dürften. So habe er sich vor Ort ungenügend über die Vorgeschichte informiert, beispielsweise habe er sich nicht bei der Frau des suizidgefährdeten Mannes nach der Ursache für den Vorfall erkundigt. Es scheine, als ob dessen Wohlergehen dem Einsatzleiter gleichgültig gewesen sei, sagte Sutter. Um seine Aussage zu unterstreichen, zitierte er aus den aufgezeichneten Funksprüchen. Demnach hatte der Polizeioffizier unter anderem gesagt: «Wir können hier nicht während vier Stunden ‹gugus› machen. Nein, diesen müssen wir abräumen.»

Staatsanwalt Sutter kritisierte zudem die fehlende Einsicht der Beschuldigten. Beide Polizisten antworteten während der Gerichtsverhandlung auf die Frage, ob sie wieder gleich handeln würden, mit Ja.

Urteile nicht einstimmig

Bernhard Isenring, Verteidiger des Einsatzleiters, warf der Staatsanwaltschaft im Gegenzug vor, seinen Mandanten als «gefühlskalten Rambo» hinstellen zu wollen. Dabei sei bei diesem Vorfall in Wohlen der mit einem Messer bewaffnete und offensichtlich zurechnungsunfähige Mann der Aggressor gewesen. Isenring: «Er war völlig ausser Rand und Band.»

Am Abend – nach einem langen Verhandlungstag – eröffnete Oberrichter Matthias Lindner das Urteil. «Ein schwieriger Fall, den wir kontrovers diskutiert haben», wie er sagte. Einig wurden sich die drei Oberrichter auch nach ausführlicher Diskussion nicht, beide Urteile fielen nicht einstimmig. Der Polizist, der geschossen hatte, wurde vom Vorwurf der versuchten vorsätzlichen Tötung sowie der vorsätzlichen schweren Körperverletzung freigesprochen. Zu einem Freispruch kam das Obergericht auch beim Einsatzleiter, allerdings nur in Bezug auf den Vorwurf der schweren Körperverletzung sowie des Hausfriedensbruchs. Schuldig gesprochen wurde er hingegen wegen Amtsmissbrauchs und Sachbeschädigung. Er wurde zu einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 180 Franken verurteilt.