Der Kanton will das Sozialhilfe- und Präventionsgesetz anpassen und auch die Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder klären. Andre Rotzetter, Grossrat Die Mitte, ist zufrieden mit der Vorlage. SP-Co-Fraktionschefin Claudia Rohrer hingegen geht es zu weit, dass Gemeindeangestellte bei vermutetem Missbrauch observieren können sollen.
Das Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe und die soziale Prävention soll teilrevidiert werden. Dabei geht es unter anderem um Änderungen bei der Alimentenhilfe. Die Vorschläge gehen bis 30. November in eine Anhörung. Danach werden die Antworten ausgewertet und die Regierung unterbreitet dem Grossen Rat eine Vorlage. Das Parlament entscheidet dann über die künftigen Regeln.
Gemäss einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist für Observationen bei Verdacht auf missbräuchlichen Leistungsbezug eine gesetzliche Grundlage notwendig. Mittels zweier Vorstösse von CVP und von Grossräten von SVP, FDP und CVP forderte der Grosse Rat eine solche Gesetzesgrundlage.
Mit der Revision sollen jetzt die für die Sozialhilfe zuständigen Gemeinden die Kompetenz erhalten, bei Verdacht auf Sozialhilfemissbrauch Observationen durchführen zu können, sofern konkrete Anhaltspunkte vorliegen und alle zur Verfügung stehenden anderen Mittel ausgeschöpft sind.
In der Revision geht es aber auch noch um andere Themen. So tritt die vom Bundesrat erlassene Verordnung über die Inkassohilfe bei familienrechtlichen Unterhaltsansprüchen am 1. Januar 2022 in Kraft. Sie ist auf Kantonsebene umzusetzen. Die Zuständigkeit für die Inkassohilfe soll wie bis anhin in der Kompetenz der Gemeinden bleiben.
Handlungsbedarf besteht zudem bei der Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen für Kinder: Das Verwaltungsgericht hat in einem jüngeren Urteil den Gesetzgeber aufgefordert, eine Entscheidung zu treffen, ob neben dem Barunterhalt auch der Betreuungsunterhalt zu bevorschussen ist. Die Anhörungsvorlage zeigt entsprechende Varianten auf. Die Änderungen sollen ab 1. Januar 2024 gelten.
Die SP lehnt Sozialdetektive ab. Das gilt auch für die SP-Co-Fraktionschefin im Grossen Rat, Claudia Rohrer. Sie stört sich aber auch am Vorschlag der Regierung, dass Gemeindeangestellte bei vermutetem Missbrauch observieren können sollen: «Das geht zu weit.»
Zum einen fehle den Gemeindeangestellten eine Ausbildung dafür, zum anderen stünden sie in zu engem Zusammenhang mit dem Auftraggeber. «Eine unvoreingenommene Observation ist dadurch von vorneherein ausgeschlossen», sagt Rohrer.« Die Observation ist ein extremer Eingriff in die persönliche Freiheit, die Menschen, die Sozialhilfe beziehen, müssen bereits praktisch sämtliche persönliche Belange der Gemeinde offenlegen. Die Anordnung der Observation kann bei der Gemeinde liegen, nicht aber deren Durchführung.»
Wo würde sie denn diese Kompetenz ansiedeln? Rohrer lehnt die Observation per se ab, sollte diese dennoch Eingang im Gesetz finden, müsste die Durchführung bei ausgebildeten und zertifizierten Dritten oder bei einer kantonalen Stelle liegen.
Sie ist überzeugt, dass die Gemeinden sehr gut über die Lebensumstände von Sozialhilfebeziehenden im Bilde sind, müssen diese doch umfassende Angaben machen: «Und wenn es um eine mögliche strafbare Handlung geht, hat die Polizei genügend eigene Möglichkeiten, um strafbarem Fehlverhalten nachzugehen.»
Rohrer fehlen zudem Zahlenangaben zu möglichen Fällen. Sie kann deshalb auch nicht abschätzen, ob es überhaupt etwas brächte. Hier sei auch ein Vergleich mit den angeordneten Observationen der SVA Aargau notwendig.
Enttäuscht ist Rohrer, dass die Regierung zum Inkasso und vor allem der Alimentenbevorschussung offenbar keine eigene Meinung hat und einfach drei Varianten vorlegt: «Auch hier fehlen mir genaue Zahlen zu den erwarteten Kosten und Fällen. Das will ich genau wissen, denn dieses Inkasso und die Bevorschussung ist für junge Mütter mit kleinen Kindern extrem wichtig.»
Eine ganz andere Perspektive hat der Grossrat und Sozialpolitiker Andre Rotzetter (Die Mitte). Er war Urheber des einen und Mitunterzeichner des anderen Vorstosses im Grossen Rat, mit dem die Rechtsgrundlage für Observationen gefordert wurde.
Rotzetter ist nach einer ersten Durchsicht der Anhörungsvorlage mit dem Ergebnis zufrieden: «Die Regierung hat unseren Auftrag erfüllt.» Dass die betreffende Gemeinde einen Observationsauftrag vergeben kann, ist für ihn völlig in Ordnung. Er sagt:
«Wer sonst soll das tun können? Die Gemeinde ist ja für die Sozialhilfe zuständig, schaut auch genau hin und sieht als erste, wenn etwas nicht stimmt.»
Völlig einverstanden ist er auch, dass man nicht etwa aus einem Bauchgefühl heraus so einen Auftrag auslösen kann, sondern dass es einen klaren Anfangsverdacht braucht.
Klar ist für Rotzetter, dass nicht einfach irgendein Mitarbeiter der Gemeinde so eine Observation machen kann. In der Anhörungsvorlage stehe ja auch, die durchführenden Personen müssten Spezialistinnen und Spezialisten mit einer Bewilligung des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) sein, so Rotzetter.