100 Jahre AEW Energie AG
AEW-Chef Hubert Zimmermann: «Zu jammern, wäre sicher das falsche Signal»

Die Preise sind im Keller, die Produktion wird immer dezentraler, und die Sonne scheint für die Solarenergie-Produktion eigentlich auch zu wenig. Warum der AEW-Chef Hubert Zimmermann trotzdem optimistisch ist.

Peter Brühwiler
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Hubert Zimmermann, seit 2013 CEO des grössten Aargauer Energieversorgers mit rund 90 000 Kunden.

Hubert Zimmermann, seit 2013 CEO des grössten Aargauer Energieversorgers mit rund 90 000 Kunden.

Aargauer Zeitung

Vor einem Monat läutete die AEW Energie AG ihr Jubiläumsjahr mit einer Feier vor dem AEW-Hochhaus in Aarau ein. Gestern empfing CEO Hubert Zimmermann nun zur Bilanzmedienkonferenz. Ganz oben im 15. Stockwerk — mit Weitblick zurück und in die herausfordernde Zukunft.
Die AEW Energie AG feiert ihr 100-Jahr-Jubiläum. Kommt etwas Nostalgie auf beim Blick zurück in die Anfangszeit, als die Märkte klar abgesteckt waren und es noch keine europäische Strombörse gab?
Klar, das war eine Pionierzeit, in der nicht das Markt-, sondern das Erschliessungsthema im Vordergrund stand. Auch damals waren die technologischen Risiken aber gross. Geruhsam war das Stromgeschäft also auch vor 100 Jahren nicht. Heute kommt die Dynamik einfach von einer anderen Seite, nämlich vom Markt.
Und die AEW betreibt Wasserkraftwerke, die wegen des billigen europäischen Stroms nicht mehr rentabel sind. Sind Sie in einer Sackgasse geraten?
Zu jammern, wäre sicher das falsche Signal. Wir müssen die Herausforderungen anpacken. Nicht nur die technischen, sondern auch die politischen. Bei der Wasserkraft haben wir einen Systemfehler: In der Zeit der Monopole waren die Wasserzinsen in Ordnung. Aber jetzt stellt man die Produktionsanlagen gegen den europäischen Markt, wo es diese Abgabe nicht gibt.
Die Produktion wird gleichzeitig dezentraler, Hausbesitzer speisen Strom aus ihren Photovoltaik-Anlagen ins Netz. Wird die AEW als Stromproduzent überflüssig?
Wir werden künftig wohl etwas weniger Strom verkaufen. Im Gegenzug braucht es immer mehr Dienstleistungen, zum Beispiel bei der Anlagensteuerung. Und für grössere Solaranlagen schliessen wir Contracting-Abkommen, wir planen, finanzieren und betreiben sie zum Beispiel für Industriekunden, Gemeinden und landwirtschaftliche Betriebe.
Die Schweiz ist aber weder ein Wind- noch ein Sonnenland.
Die Frage ist, wie viel Strom wir hier produzieren wollen. Natürlich könnten wir uns, wenn die 40 Prozent Strom aus den Kernkraftwerken wegfallen, auf die 60 Prozent Wasserkraft beschränken und den Rest importieren.
Was angesichts der Tatsache, dass der Wind an der Nordsee und die Sonne im Süden ungleich mehr abwerfen, Sinn machen könnte.
Theoretisch ja. Aber Stromkonsum und -Produktion müssen immer im Gleichgewicht sein. Und es ist einfacher, diese Stabilität zu erhalten, wenn eine grössere Produktion in der Nähe ist. Zudem schafft die Produktion in der Schweiz ja auch Arbeitsplätze. Wir brauchen nicht ein «entweder, oder», sondern einen guten Mix.
Auch innerhalb der AEW?
Für uns ist Wind in der Nordsee kein Thema. Wir gehören zu 100 Prozent dem Kanton. Und wenn wir etwas im Kanton machen können, das eben auch Arbeitsplätze schafft, dann machen wir es hier, auch wenn es etwas schwieriger ist. Eine Rolle spielt auch die Rechtssicherheit. In Spanien etwa gab es eine Boom-Zeit mit hohen Solarstrom-Fördermitteln, die dann aber plötzlich wieder zurückgenommen wurden.
Auch in der Schweiz herrscht Unsicherheit bezüglich der Energiestrategie 2050. Die AEW plädiert einerseits für mehr Marktwirtschaft, beansprucht zugleich aber KEV-Gelder für den Bau von Solaranlagen.
Wir bringen in der Energiepolitik auch kritisch unsere Meinung ein. Auf der anderen Seite müssen wir uns aber in den aktuellen Rahmenbedingungen bewegen, wir sind schliesslich im Wettbewerb. Wenn wir KEV-Gelder bekommen, die Anlage Sinn macht und wirtschaftlich ist, bauen wir solche Anlagen, sonst würde das ein anderer machen.
In bestehende Wasserkraftwerke wird derweil nicht mehr viel investiert. Was bedeutet das konkret?
Früher hat man auf möglichst wenige Produktionsausfälle geachtet und die Anlagen dementsprechend proaktiv generalüberholt. Heute muss man bei der Wasserkraft die Reserven nutzen, mit dem Risiko, das eine Turbine mal wegen einer kurzfristigen Überholung stillsteht. Das ist im Moment nicht so tragisch, weil sowieso wenig Geld reinkommt.
Der mit Abstand grösste Teil der AEW-Investitionen — 39 Millionen Franken — ging im letzten Jahr ins Stromnetz. Konzentrieren Sie sich in Zukunft stärker auf die Rolle als Verteilnetzbetreiber?
Das war schon immer unser Kernauftrag, denn wir müssen die sichere Versorgung im Kanton gewährleisten. Und anders als bei der Produktion können beim Netz nicht andere Anlagen einspringen. Plötzlich stünde eine Region sonst ohne Strom da.
Seit Jahren wird von Smartgrids, also intelligenten Netzen, gesprochen. Der Endverbraucher merkt bis heute aber nicht viel davon.
Die Digitalisierung der Netze hat im Kern, also bei den Unterwerken, begonnen. Aber das geht jetzt immer weiter. In einzelnen Gemeinden haben wir bereits Smartmeter installiert.
Ein weiterer Trend ist die dezentrale Stromspeicherung. Der Elektroauto-Hersteller Tesla hat kürzlich eine Batterie fürs Eigenheim präsentiert. Ein Geschäftsfeld auch für die AEW?
Wir schauen uns das sehr intensiv an. Die AEW ist aber ein Verteilnetzbetreiber und kein Installateur. Die Steuerung dieser Speicher hingegen ist ein Gebiet, in dem wir über Know-how verfügen würden.
Mit was für einem Zeithorizont rechnen sie?
Die Speicherkosten sinken. Und wenn man bedenkt, wie schnell sich zum Beispiel das E-Bike durchgesetzt hat, könnte es schon schnell gehen.
Würde die Verbreitung von Speichern das Problem des wegen der dezentralen Einspeisung instabiler werdenden Netzes lösen?
Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Die Speicher müssten aber richtig eingesetzt werden. Die Frage ist: optimiere ich den Verbrauch für meinen Eigenbedarf oder fürs Netz?
Um bei Tesla zu bleiben: Könnte die Verbreitung von Elektroautos den Strompreis stützen?
Elektroautos sind sehr effizient, mit 20 kWh kommt man etwa 100 Kilometer weit. Deshalb wird das die Energielandschaft nicht totaverändern.
Längerfristig rechnen Sie trotzdem mit anziehenden Strompreisen?
Das hängt auch von den Preisen für fossile Brennstoffe ab. Und davon, wann die älteren Kraftwerken in Europa vom Netz gehen. Die Tiefpreis-Phase könnte länger anhalten, aber sicher werden wir auch wieder steigende Preise sehen.
Dann wäre jetzt vielleicht der richtige Zeitpunkt, antizyklisch in die Stromproduktion zu investieren?
Wir spekulieren nicht, sondern wägen sorgfältig ab. Wir haben eine grosse Verantwortung gegenüber dem Kanton und werden uns hüten, allzu grosse Risiken einzugehen. Aber klar: Ohne gewisse Risiken gibt es auch keine Wertsteigerung.