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Kanton Aargau
Der kantonale Waldchef Alain Morier erlebte viele Stürme. Heute geht er nach 32 Jahren Tätigkeit im Forstdienst in Pension.
Nach neun Jahren im Dienste der Abteilung Wald im Umweltdepartement von Stephan Attiger hat der kantonale Waldchef Alain Morier heute Samstag seinen letzten Arbeitstag. Der Forstingenieur ETH geht vorzeitig in Pension. Das ermögliche ihm, schon länger geplante Projekte umzusetzen, sagt Morier. Der Vater von fünf erwachsenen Kindern will genug Zeit haben für seine mittlerweile drei Enkel, sowie um sein Elternhaus im Neuenburger Jura zu renovieren. Vor allem aber will er von hier aus auf dem europäischen Fernwanderweg ans Nordkap wandern. Das sind 5600 Kilometer – allerdings in Etappen. Pro Jahr will er rund 2000 km zurücklegen. Hauptsächlich wird er mit dem Rucksack allein unterwegs sein und draussen übernachten.
Hört er früher auf, weil ihm die Arbeit verleidet ist? Das weist er weit von sich: «Ich bin nun seit 32 Jahren im Forstdienst tätig, neun davon im Kanton Aargau. Ich habe genug Einfluss genommen. Ich würde nochmals den genau gleichen Weg einschlagen. Aber die Zukunft gehört den Jungen.»
Die Arbeit für den Wald, die Jagd und die Fischerei im Kanton Aargau sei für ihn stets ausgesprochen befriedigend, lehrreich und mit viel Freude verbunden gewesen, sagt er. Seine Studienzeit fiel in die grosse Waldsterbedebatte. Diese sei «für die Forstbranche kommunikationsmässig eine Katastrophe gewesen», blickt er ungern zurück. Noch heute werde ihm dies vorgehalten, wenn es etwa um neuartige, wetter- und klimabedingte Trockenheitsschäden an Bäumen geht. Morier: «Dabei war die damalige Besorgnis berechtigt. Grossflächige massive Waldschäden, gerade in Ostdeutschland, zeigten sich ja drastisch durch Schwefeldioxideinwirkung.» Zudem finde die Versauerung der Böden nach wie vor statt. Morier fragt: «Hätten wir ohne die Waldsterbedebatte Katalysatoren für die Autos, eine so gute Luftreinhalteverordnung und eine so viel bessere Luft als damals?»
Und doch mag Morier auch nach vielen riesigen Schadensereignissen im Wald wie dem Orkan Lothar 1999 oder nach «Burglind» nicht in waldpolitischen Aktivismus verfallen. Diese gehäuften Ereignisse, die Eschenwelke und anderes mehr seien Anlass zur Sorge, er wolle aber nicht Panik verbreiten. Morier: «Der Wald stirbt nicht. Es sterben aber sehr viele Bäume. Allerdings wachsen auch sehr viele nach.» Der Wald werde sich in seiner Zusammensetzung sichtbar verändern, mit weniger Fichten, dafür mit mehr Laubholz. Die enorme Erneuerungskraft der Natur dürfe man nicht unterschätzen.
So wütete «Burglind» im Aargau:
Im Aargau läuft bald die fünfte Etappe des Naturschutzprogramms Wald an. Der Grosse Rat behandelt die Vorlage am Dienstag. Das Programm läuft seit 23 Jahren. Morier freut es, dass diese Gelder für den Wald unumstritten sind: «Heute diskutieren wir, wo und wie wir die Mittel am besten einsetzen.» Sie sind trotzdem beschränkt.
Das stört ihn nicht: «Wir müssen für gezielte Massnahmen jeweils auch mit den Eigentümern verhandeln. Wir können in vernünftiger Zeit gar nicht doppelt so viel Geld ausgeben wie heute.» Er zweifelt am Nutzen «gärtnerischer Eingriffe im Wald auf Stufe Einzelbaum». Man müsse das ganze Ökosystem Wald sehen und entsprechend handeln. Morier: «Im Wald kann man nicht alles steuern. Der Mensch kann sanft lenken, soll aber nicht überheblich werden und sich bewusst sein, welche enorme Regenerationskraft der Natur inne ist. Vieles geschieht im Wald nach eigenen Gesetzen. Wir sehen ja, wie gut sich Orkanschadenstellen mit den Jahren regenerieren.»
Er sieht immer wieder bestätigt, dass der Wald einen ganz anderen Rhythmus hat als die vergleichsweise schnelllebige Politik: «Der Wald braucht Zeit. Was wir heute zu seinen Gunsten einleiten, davon profitieren spätere Generationen so wie wir das Ergebnis früherer Anstrengungen ernten. Wir müssen hier langfristig denken und ein Gleichgewicht zwischen Schützen und Nützen finden.»
Der Wald solle weiterhin auch als Holzlieferant dienen, für Hausbau, Möbel und Heizzwecke, sagt Morier: «Er braucht Pflege. Würden wir ihn zu einem einzigen Reservat machen, könnten wir Menschen ihn kaum mehr betreten.» Naturschutz im Wald sei wichtig, aber immer wichtiger werde seine Erholungsfunktion für den Menschen. Morier mag sich nicht über Biker ärgern: «Ich mache die Erfahrung, dass sich die Menschen im Wald an Regeln halten, wenn sie sie kennen, man ihnen deren Sinn und Zweck erklärt, und wenn man zum Beispiel den Bikern eine für den Wald und die Wildtiere vertretbare Route eröffnet und erlaubt.»
Die Achtung und Wertschätzung dem Wald gegenüber sieht er auch darin bestätigt, dass sich praktisch alle ans dortige Fahrverbot halten. Das Bedürfnis, sich im Wald zu erholen, versteht er gut: «Es geht nicht darum, das zu verhindern, sondern es sinnvoll zu kanalisieren und entsprechende Möglichkeiten anzubieten wie Feuerstellen, Ruhebänke usw. Wenn man bloss auf der Verbotsschiene fährt, funktioniert das nicht.»
Tipps mag er seinen Nachfolgern nicht geben, alle müssten ihre eigenen Erfahrungen machen. Nur so viel: «Es gibt Situationen, wo man nur schon aus Sicherheitsgründen sofort eingreifen muss, etwa nach einem Orkan. Es gibt aber auch Situationen, wo man besser beobachtet, minimal lenkt und im entscheidenden Moment eingreift.» Schlaues Nichtstun nennen dies die Forstfachleute.
Dies will er aber keinesfalls als Nichtstun gegen den Klimawandel missverstanden wissen. Als er im Aargau anfing, habe man über den Klimawandel gar nicht reden können, erinnert sich der scheidende Waldchef. Heute hat der Kanton einen Entwicklungsschwerpunkt «Klimaschutz und Klimaanpassung». Das freut ihn sehr. Er bleibt aber vorsichtig mit Lob. Die Politik sei launisch. Morier hofft einfach, dass sie auch in Nichtwahljahren zum Klimaschutz steht und griffige Massnahmen ergreift.