Reform
Aargauer Schulpflege soll abgeschafft werden – und Verantwortung an Gemeinderäte übergehen

Zweimal wurde Napoleon in der Debatte als Zeuge zitiert; von den Gegnern und den Befürwortern. Das Ergebnis war eindeutig: Mit 99 Ja- zu 16 Nein-Stimmen beschloss der Grosse Rat die Abschaffung der Schulpflege.

Jörg Meier
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Der Grosse Rat hat der Abschaffung der Schulpflegen mit 99:16 Stimmen deutlich zugestimmt.

Der Grosse Rat hat der Abschaffung der Schulpflegen mit 99:16 Stimmen deutlich zugestimmt.

Emanuel Freudiger

Geschlagene drei Stunden diskutierte der Grosse Rat über die neuen Führungsstrukturen der Aargauer Volksschule, die vorsehen, dass die Schulpflegen auf das Jahr 2022 abgeschafft werden. Die Gesamtverantwortung für die Schule soll dann an die Gemeinderäte übergehen. Die Schulleitung wäre mit dem Modell für die operative Führung verantwortlich und direkt dem Gemeinderat unterstellt.

Die erste Stunde gehörte der Gruppe von rund 15 Grossrätinnen und Grossräten, die in einer konzertierten Aktion versuchten, den Rat dazu zu bewegen, gar nicht erst auf die Vorlage einzutreten. Denn sie halten den Verzicht auf die Schulpflege für falsch und schädlich für die Qualität der Volksschule. Sie verlangen nicht Abschaffung, sondern die Stärkung des Organs.

So fand Rolf Haller (EDU) klare Worte: «Wer dem Irrglauben verfallen ist, dass die Gemeinderäte die nötigen Ressourcen für die Betreuung der Schulen aufbringen können, ist auf dem Holzweg.» Man könne zudem weder Kosten sparen noch Abläufe vereinfachen. Colette Basler (SP) fürchtete, dass kleine Gemeinden die neuen Aufgaben gar nicht alleine stemmen können und zu Schulfusionen gezwungen werden. Karin Koch (CVP) sah negative Auswirkungen auf die Rechtsstellung der 74 000 Aargauer Schulkinder und ihrer Eltern.

Kritik an der Vorlage

Aus Sicht des Schulleiters argumentierte Marco Hardmeier (SP): Der Systemwechsel bringe eine Mehrbelastung der Schulleitungen, das Berufsprofil werde sich zwangsläufig weg von der pädagogischen Führung in Richtung Jurisprudenz verändern. Harry Lütolf (CVP) hatte recherchiert. Sein interkantonaler Vergleich zeigt, dass schweizweit kein Trend zur Abschaffung von speziellen Schulbehörden auszumachen sei; der Aargau sei da wohl einzigartig. Und Maya Bally (BDP) berief sich auf Napoleon, der vor 200 Jahren gesagt habe, jedes Kind habe Anrecht auf Bildung, egal ob arm oder reich. Die Schulpflege habe dies bisher garantiert. «Die Abschaffung der Schulpflege ist klar ein Abbau von Demokratie», sagte Bally.

Bildungsdirektor wehrt sich

Auch Ruth Müri (Grüne) berief sich auf Napoleon. Allerdings ganz anders als Bally: In den letzten 200 Jahren habe sich die Welt verändert, sagte sie, und was Napoleon damals gefordert habe, sei heute auch ganz gut ohne Schulpflege möglich, die es seit 1835 in dieser Form gibt. Die Fraktionen von SVP, FDP, CVP und SP sprachen sich klar gegen die Rückweisung aus. Bildungsdirektor Alex Hürzeler wehrte sich gegen den Vorwurf «Demokratieabbau». Via Gemeindeversammlung und Wahlen könnten die Stimmberechtigten sehr wohl direkten Einfluss auf die Schule nehmen. Und an die Adresse der Skeptiker der neuen Regelung sagte Hürzeler: «Unterschätzen Sie die Leistungsfähigkeit der Gemeindeverwaltungen nicht!»

Mit 104 Ja- gegen 25 Nein-Stimmen beschloss der Rat schliesslich, die Vorlage zu behandeln.

Prüfantrag angenommen

In der Beratung verlangte Sabina Freiermuth (FDP), dass nochmals geprüft werden soll, ob Erziehungsrat und Berufsbildungskommission zu einer Kommission zusammengelegt werden könnten. Ihr Prüfungsantrag wurde jedoch vom Rat deutlich abgelehnt. Einen Antrag von Harry Lütolf (CVP) nahm hingegen Bildungsdirektor Hürzeler entgegen. Lütolf verlangt, dass nochmals genau geprüft wird, welche Aufgaben der Gemeinderat als Schulbehörde delegieren kann und welche nicht. Zum Beispiel, wenn es um Kündigungen geht.

Wuchtig abgelehnt wurde auch ein weiterer Prüfantrag, der verlangte, dass die für die Schule zuständige Person im Gemeinderat vom Volk gewählt werden müsse.

Schliesslich hiess der Grosse Rat die neuen Führungsstrukturen der Aargauer Volksschule inklusive Abschaffung der Schulpflege in erster Lesung mit 99 gegen 16 Stimmen gut. Die zweite Lesung folgt im Herbst. Ob die Schulpflege dann aber auch tatsächlich verschwinden wird, das entscheiden die Aargauerinnen und Aargauer im Frühjahr 2021 an der Urne.