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Kanton Aargau
Seit acht Jahren erhebt der Gewerbeverband halbjährlich die Auftragslage. Noch nie war sie so schlecht wie jetzt. Umso mehr macht dem Gewerbe die Administration zu schaffen.
Im sogenannten KMU-Barometer, welcher der Aargauische Gewerbeverband (AGV) halbjährlich durchführt, werden die Unternehmen nach der aktuellen Auftragslage gefragt. Aber auch – besonders wichtig für die gegen 100 000 Angestellten in den AGV-Mitgliedsfirmen – nach der Entwicklung des Mitarbeiterbestandes im nächsten Jahr. Rund 70 Prozent der 70 Gewerbevereine und 40 Branchenverbände machen jeweils mit.
Die seit acht Jahren erhobenen KMU-Barometer zeigten bisher recht stabile Erwartungen, eher punktuell Verschlechterungen. Bisher war das vorab auf die Binnenwirtschaft ausgerichtete Gewerbe von der Finanz- und Bankenkrise umsatzmässig vergleichsweise wenig betroffen. Das Bild änderte sich mit dem Frankenschock vom Januar 2015. In der folgenden Umfrage im Juni 2015 zeigten die wichtigsten Parameter nach unten.
Nach dem jüngsten Barometer von Anfang Juni – also noch vor dem britischen Brexit-Entscheid– sieht es noch düsterer aus: Alle erhobenen Parameter zeigen leicht bis deutlich nach unten. AGV-Präsident Kurt Schmid deutet dies sorgenvoll als negative Trendwende. Schmid: «Die KMU-Barometer zeigten bisher meist recht stabile bis optimistische Erwartungen. Zum ersten Mal zeigt er überall nach unten, besonders bei der Auftragslage. Das ist beunruhigend. Ich hoffe, dass es jetzt nicht noch weiter nach unten geht.» Immerhin erwarten die Gewerbler, dass der Mitarbeiterbestand im nächsten Jahr fast stabil bleibt. Schmid: «Aufgrund der schlechteren Auftragslage sind aber auch hier die Erwartungen leicht negativ.»
Zuoberst im «Sorgenbarometer» prangt mit 75 Prozent Nennungen der Ärger über «zu viel administrativen Aufwand und zu viele Vorschriften». Dieses Thema hat das Gewerbe seit vielen Jahren weit oben auf der Traktandenliste. Hat es bisher nichts genützt? Schmid: «Wir wären ja schon froh, wenn unter dem Strich pro Jahr wenigstens nicht mehr Gesetze und Vorschriften produziert würden. Der Trend zeigt aber immer noch nach oben. Die Umsetzung und Anwendung der immer neuen, weitergehenden und komplexeren Vorschriften bindet immer mehr Ressourcen. Wenn es so weiter geht, sind die Kosten für die Herkunftserhebung der Zutaten einer Wurst bald so hoch wie die Wurst selbst.» Eine ähnliche Entwicklung zeigen laut Schmid die Baugesuche, bei welchen die Baubehörden «laufend neue und detailliertere Erhebungen einverlangen».
Das Sorgenbarometer des Aargauer Gewerbes
Nicht erstaunt ist der AGV-Präsident, dass sich der Mangel an Fachpersonal im Gewerbe hartnäckig als zweitgrösste Sorge hält. Schmid: «Das Wettbewerbsumfeld ist inzwischen so schwierig, der Druck auf die Firmen so hoch, dass sie nur mit topausgebildeten Fachleuten eine Chance haben.» Keine Überraschung ist für ihn auch der zunehmende Mangel an Lernenden. Jetzt kommen kleinere Jahrgänge aus der Schule, und der Anteil der Gymnasiasten geht nicht zurück, so Schmid. Das weiss man in der Wirtschaft schon seit Jahren. Man hat sich darauf eingestellt, um die immer weniger Schulabgänger zu kämpfen. Doch jetzt ist es soweit. Das zeigt sich auch darin, dass jetzt sogar der kaufmännische Bereich – der bisher eher überlaufen war – über zu wenig Lernende klagt. Das führt dazu, dass Betriebe bereits vereinzelt Lernende aus dem süddeutschen Grenzraum einstellen.
Am ungünstigsten stehen die Zeichen für zwei Branchen. Schmid: «Die Gastronomie hat ein Riesenproblem. Ein Restaurant nach dem anderen schliesst, gerade auf dem Land, aber auch in der Stadt ist man davor nicht gefeit. Das ist vorab auf veränderte Konsumgewohnheiten zurückzuführen. Die Leute besuchen andere Lokale oder konsumieren daheim.» Ebenfalls stark betroffen sind die Detaillisten. Schmid: «Ein Laden nach dem anderen schliesst. Das Lädelisterben beschleunigt sich sogar noch – selbst wenn Gemeinden anfangen, ‹ihren› Dorfladen finanziell zu unterstützen.» Ein Grund sei der zunehmende Einkauf im Internet. Hier ändern sich die Einkaufsgewohnheiten allgemein.
Immer mehr Menschen pendeln zur Arbeit. Diese kaufen auf dem Heimweg, im Grossladen, und nicht im eigenen Dorf. Könnte folglich der gleichzeitige Trend zur Schliessung von Post- und Bankfilialen in Dörfern und die Erbringung eines Teils ihrer Dienstleistungen im Dorfladen für diese zum Rettungsanker werden? Schmid hat seine Zweifel. Der Kampf um die Poststelle «seines» Dorfes Lengnau mit immerhin bald 3000 Einwohnern ging verloren. In einem der Dorfläden ist jetzt eine Postagentur. Schmid: «Immerhin werden auf diese Weise gewisse Dienstleistungen noch angeboten.
Ob das auf Dauer funktioniert, vermag ich noch nicht zu sagen. Für den betreffenden Laden hat es den finanziellen Vorteil, dass die Post einen willkommenen Kostenanteil bezahlt. Das hilft ihm. Das einfachste wäre aber gewiss, wenn alle ihre Einkäufe – oder wenigstens einen Teil davon – im Dorfladen tätigen würden. Dann hätten die Gemeinden das Problem gar nicht.»