Der Kanton Aargau hat sämtliche Kantonsstrassen von der Badener Firma iNovitas digital erfassen lassen. Damit können von der Polizei über die Feuerwehr bis hin zum Strassenbauamt grosse Teile der Verwaltung effizienter arbeiten.
Der weisse Opel könnte als ganz normales Geschäftsauto durchgehen – wären da nicht die vielen Kameras auf dem Dach. Vorne und hinten sechs Stereokameras, eine Panoramakamera in der Mitte, ein Lasermessgerät daneben. Sämtliche Kantonsstrassen hat das Auto in den vergangenen drei Wochen abgefahren. In beide Richtungen jeweils, das sind 2800 Kilometer. Und dabei hochauflösende, dreidimensionale Bilder gemacht: von der Strasse und dem Trottoir, von allem drum herum: den Schildern, Bäumen und Gebäuden.
Anders als etwa die Bilder von Google Street View sind diejenigen der Badener Firma iNovitas AG smart. Das heisst: Nach entsprechender Aufbereitung können sie in zig Bereichen benutzt werden.
Die Feuerwehr kann auf das Pixel genau messen, ob in einer Altstadtgasse genug Platz vorhanden ist, um mit der Leiter eines der höheren Fenster zu erreichen. Das Tiefbauamt sieht bequem vom Büro aus, in welchem Zustand die Strassen sind oder kann die Schilder inventarisieren. Ingenieurbüros können Bauprojekte planen, ohne vor Ort die Umgebung ausmessen und dadurch den Verkehr behindern zu müssen.
Das sind aber nicht die einzigen Gründe, dass der Aargau die iNovitas die Kantonsstrassen hat vermessen lassen. Dank der Technik des Unternehmens kann der Strassenraum in 3D modelliert werden. Das wiederum ermöglicht zum Beispiel, Lärmsanierungsprojekte digital zu planen.
Über 300'000 Franken liess sich der Kanton den Auftrag kosten. Projektleiter Thomas Humbel: «Mit dieser Anwendung ist man im Büro vor Ort. Dank des somit ermöglichten virtuellen Augenscheins kombiniert mit der hohen Funktionalität wie dem Einsatz der Messwerkzeuge erübrigen sich viele Fahrten.» Die Folge: ein «spürbarer wirtschaftlicher und ökologischer Nutzen».
Nach 2012 und 2016 ist es bereits das dritte Mal, dass die iNovitas AG für den Aargau die Kantonsstrassen ausmisst. Und vermutlich wird es nicht das letzte Mal sein. Wegen Baustellen und um die Qualität der Strassen überprüfen zu können, sind alle paar Jahre neue Bilder notwendig.
Der Aargau ist nicht der einzige Kunde der iNovitas. Insgesamt neun Kantone und Dutzende Gemeinden, dazu mehrere Bahnunternehmen, haben von der Badener Firma ihre Strassen oder Schienen digital erfassen lassen. Selbst über die Landesgrenzen hinaus ist die Firma bekannt: in Deutschland, Österreich und sogar in Schweden. Für einen Auftrag im Norden fuhr eines der Messautos von Baden bis nach Göteborg.
Und jetzt, wegen des pandemiebedingten Digitalisierungsschubs, haben die bestehenden Kunden das Angebot noch intensiver genutzt, sagt Marketingchef Fatos Drbaci. Mehr Neukunden hatte die Firma allerdings trotz Pandemie nicht. Trotzdem ist Drbaci überzeugt: «Die Technik bringt so viele Vorteile, dass früher oder später jede Verwaltung digitale Mittel einsetzen wird, um ihre Prozesse zu optimieren und um einfach und effizienter arbeiten zu können.» Noch bestehe Nachholbedarf, sagt er. Noch immer seien viele Verwaltungen zu wenig digitalisiert. «Dabei sind digitale Lösungen viel effizienter.»
Das Ziel: Durch die Technik sollen irgendwann die gesamten Verwaltungen effizienter werden, nicht nur die Strassenbauämter. Die Voraussetzungen dafür seien gegeben: «Das Programm ist einfach und intuitiv. Damit können es nicht nur Experten, sondern alle Mitarbeitenden der Verwaltung, sei es Polizei, Feuerwehr oder das Steueramt, ohne Expertenwissen nutzen.»
Die iNovitas AG entstand 2011 als Spin-off-Unternehmen des Instituts Geomatik der Fachhochschule Nordwestschweiz. Und noch heute hat das Unternehmen einen engen Kontakt zur Fachhochschule. Fünf Messfahrzeuge besitzt es mittlerweile, dazu mobile Messanlagen, die auf Zügen montiert werden können, um Gleise digital zu erfassen.
Unterwegs sind die Fahrzeuge aufgrund des Sonnenstands hauptsächlich von Frühling bis Spätherbst – und nur bei trockenem Wetter. Sonst leidet die Bildqualität. Mit bis zu 80 Stundenkilometern können sie die Strassen abfahren. Die aktuellen, bearbeiteten Aufnahmen seiner Kantonsstrassen stehen dem Aargau dann etwa im Oktober online zur Verfügung.