Für Adrian Schmitter, CEO des Kantonsspitals Baden, hat der Regierungsrat zum richtigen Zeitpunkt richtig gehandelt. FDP-Präsidentin Sabina Freiermuth findet, er habe den Ernst der Lage zu lange unterschätzt. SP-Präsidentin Gabriela Suter glaubt, der Lockdown hätte verhindert werden können. Und Hypi-Chefin Marianne Wildi erinnert sich, wie sie hoffte, der Eingriff möge etwas bringen.
Am 18. Dezember vor einem Jahr hat der Regierungsrat entschieden, alle Läden und Restaurants zu schliessen. Die Wirtschaftsverbände tobten – und Aargauer Einkaufstouristen reisten fürs Weihnachtsshopping in die umliegenden Kantone. War der Entscheid der Regierung im Rückblick richtig? War er ein unüberlegter Schnellschuss oder kam er genau rechtzeitig? Die AZ hat nachgefragt.
«Ich erinnere mich an eine angespannte Zeit mit viel Unsicherheit; sowohl im privaten Umfeld aber auch im Geschäft – auch wegen der Homeoffice-Pflicht. Ich war hoffnungsvoll, dass durch diesen grossen Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit mit der Schliessung der Geschäfte im Aargau die Ansteckungen auch tatsächlich zurückgehen und das Gesundheitssystem dadurch nicht überlastet würde.
Ich musste viel an jene Freunde und Bekannten im Gesundheitswesen denken, die speziell in dieser Zeit viel geleistet haben und privat enorm zurückstecken mussten.
«Zu realisieren, dass auch in der Schweiz Geschäfte plötzlich geschlossen werden, Existenzen gefährdet sind, das Gesundheitswesen über Gebühr belastet wird, bedrückt mich.»
Der frühe Lockdown im Aargau hat wohl dazu beigetragen, dass weniger Personen unterwegs waren, dadurch die Ansteckungen nicht stärker angestiegen sind und das Gesundheitswesen weniger stark belastet wurde. Da andere Kantone und sogar der Bund später nachgezogen sind, zeigt wohl, dass der Entscheid zu diesem Zeitpunkt nicht ganz falsch war.
Ich hoffe immer noch, dass möglichst viele Menschen erkennen, dass die Impfung einen wichtigen Ausweg aus der Pandemie darstellt. Vom Regierungsrat wünsche ich mir, dass er die Massnahmen mit dem Bund und insbesondere den Nachbarkantonen koordiniert und dass wir alle – Wirtschaft und Gesellschaft – mit möglichst wenigen Einschränkungen die nächsten Wochen möglichst gesund überstehen werden.»
«Ich war an diesem Freitag in einem Kleidergeschäft. Der Bundesrat hatte gerade beschlossen, dass die Läden offenbleiben dürfen. Der Ladenbesitzer war unglaublich froh. Und wenige Stunden später informierte die Regierung, dass die Läden im Aargau geschlossen werden. Der Ladenbesitzer hat mir so Leid getan.
Ich habe nach dem Entscheid mit einem der fünf Regierungsräte telefoniert und ihm gesagt: ‹Vielleicht ist es nötig, was ihr beschlossen habt. Aber was ihr kommunikativ getan habt, ist für Ladenbesitzer ein Schlag in die Magengrube.›
«Ich glaube, der Gesundheitsdirektor hat den Ernst der Lage lange unterschätzt.»
Seine Kommunikation war zuerst alles andere als alarmierend, und kehrte unvermittelt. Ich vermute, jemand aus dem Spitalbereich hat ihm klar gemacht, dass das Gesundheitswesen kurz vor dem Kollaps steht. Seither agiert er deutlich umsichtiger.
Heute ist die Kommunikation besser. Die Regierung hat eine Eventualplanung vorgelegt, die Bevölkerung weiss, woran sie ist. Aber Schwachstellen gibt es noch immer.
Die jetzige Situation an den Schulen haben wir eindeutig dem zögerlichen Verhalten des Bildungsdirektors zu verdanken. Der Regierungsrat hätte die regelmässigen Tests längst flächendeckend gestalten und eine Widerspruchslösung einführen können. Ebenso bei den Auffrischimpfungen: Es war klar, die würden kommen. Aber anstatt sich frühzeitig vorzubereiten, wurde gewartet. Immerhin wird nun Armeeunterstützung beigezogen, das hatte die FDP schon für die Grundimpfung gefordert.
Eine Prognose wage ich nicht: Die Pandemie hat gezeigt, dass es immer anders kommt, als man denkt. Es braucht auch Geduld, Rücksichtnahme und den Sinn fürs Ganze.»
«Als die Fallzahlen im Herbst 2020 anstiegen, haben wir Alarm geschlagen. Die Spitäler waren damals am Anschlag. Wir waren deshalb erleichtert, dass die Regierung Massnahmen eingeleitet hat.
«Rückblickend hat der Regierungsrat zum richtigen Zeitpunkt richtig gehandelt, als er einen kantonalen Lockdown verordnete.»
Der Entscheid war nicht von hektischem Aktivismus geprägt, sondern verfolgte das klar definierte Ziel, die Spitäler vor einem drohenden Kollaps zu bewahren.
Der Regierungsrat griff – im Gegensatz zum Bundesrat – mit seinem Entscheid nicht ins operative Geschäft der Spitäler ein. So konnten wir unseren Betrieb eigenständig organisieren. Uns war von Anfang an wichtig, dass es zu keiner Zwei-Klassen-Medizin kommt: Nicht-Covid-Patienten haben ebenso ein Anrecht auf eine adäquate Behandlung wie Covid-Patienten.
Obwohl die Infektionen heute ähnlich hoch sind, sind im KSB ‹nur› halb so viele Patienten hospitalisiert. Der grosse Unterschied zu damals: mittlerweile gibt es die Impfung. Wer sich impfen lässt, schützt nicht nur sich selbst, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag, um einen weiteren Lockdown zu vermeiden.
So wie sich die Situation derzeit präsentiert, kommen wir im ‹Normalbetrieb› einigermassen über die Runden. Das KSB ist zwar rappelvoll, aber wir können allen Patienten eine adäquate Behandlung bieten.
Frustrierend ist, dass das vom Grossen Rat gesprochene Geld für unzählige coronabedingte Zusatzleistungen noch nicht bei uns eingetroffen ist.»
«Die Fallzahlen stiegen damals ständig, die Hilfeschreie aus den Intensivstationen waren seit Wochen unüberhörbar. Die SP forderte den Regierungsrat bereits am 8. Dezember 2020 mit einem offenen Brief auf, endlich zu handeln. Ich war deshalb erleichtert, als die Regierung Massnahmen ergriff.
Rückblickend hat der Regierungsrat trotz steigender Fallzahlen und voller Intensivstationen viel zu lange gewartet, bis der nötige Schritt erfolgte – mit fatalen Folgen für das überlastete Spitalpersonal und die lokale Wirtschaft, der das Weihnachtsgeschäft kaputt gemacht wurde.
«Hätte der Regierungsrat früher reagiert und bereits Anfang Dezember die nötigen Massnahmen getroffen, hätte es wohl keinen Lockdown vor Weihnachten gebraucht.»
Wie vor einem Jahr drohen auch heute wieder dramatische Engpässe auf den Intensivstationen. Dass das Spitalpersonal so stark belastet wird und Triage-Entscheide fällen muss, ist inakzeptabel. Der Regierungsrat muss seine Verantwortung wahrnehmen und alles tun, um die Fallzahlen zu senken. Nur mit wirksamen Schutzmassnahmen und einer hohen Durchimpfung lässt sich ein erneuter Lockdown verhindern.
Deshalb muss der Kanton die Impfkapazitäten hochfahren, die Booster-Impfungen allen Willigen anbieten und die Kinderimpfkampagne aufgleisen. Zudem muss er alle Schulen anweisen, Massentests durchzuführen, und die Gemeinden dazu anhalten, CO2-Messgeräte und wo nötig Luftfilter für die Schulzimmer anzuschaffen.»
Leider wird kein Vertreter der SVP befragt, nur FDP und SP. Ausgewogen ist das nicht. Und dafür soll das Volk den Medien Millionen zuschieben? Hoffentlich stimmt es dagegen.