Sie zählen zu den stillen Helden der Adventszeit: die Päcklipöstler. Auf Tour mit Stefan Bütler in Muri.
Am Morgen um 5.32 Uhr wird die Abfertigungshalle der Distributionsbasis Mägenwil fast zu einer Turnhalle. Die Männer und Frauen, die den Aargau mit Weihnachtspaketen beliefern, starten ihren Tag mit Fussübungen. Wippen auf die Zehenspitzen, zurück auf die Fersen, wieder nach vorne. Dann die Arme.
Vornüber beugen, in die Höhe über den gesenkten Kopf, langsam zurück. «Einturnen», sagt Leiter Reto Christoffel. Man laufe viele Kilometer, hebe viele Tonnen herum. «Seit wir turnen, haben wir weniger Arbeitsunfälle.» In Gruppen stehen die Päcklipöstler im Kreis, aufgeteilt nach Regionen. Einer der Gruppenchefs sagt: «So, finali Wuche, hä! 6 Wäge, ned 5! Also, guete Wuchestart!»
Die Weihnachtszeit hat für einen Paketpöstler wenig Besinnliches. Stefan Bütler, genannt Tschudi, 38, «än echte Murianer», fährt Tour Nummer 10. Er sagt: «Wiehnachte isch chrampfe.» An einem normalen Tag unter dem Jahr werden ab Mägenwil in 87 Touren je rund 250 Pakete zugestellt. Jetzt im Dezember sind es 100 Touren und im Schnitt 300 Päckli pro Auto. Und für Tschudi an diesem Montag 394.
Gibt es für eine Tour mehr Päckli, als in einen Lieferwagen passen, wird sie aufgesplittet. Dafür mietet die Post Fahrzeuge zu, draussen im Schnee stehen zwischen den gelben Autos Dutzende weisse. Links in der Halle docken Lastwagen an, Chauffeure rollen die Fracht in mannshohen Metallwagen herein. Jeder bis oben gefüllt. Auf den Schachteln steht Sony, Toshiba, HP. Bon Prix, Bader, Zalando. Graf Kaffee, Special T, Provins. Geschenke schleppen statt Glühwein schlürfen.
«Trotz der vielen Ware ist die Stimmung bei uns nicht hektisch», sagt Reto Christoffel. Man rede nicht gross um den Brei herum, fluche auch mal. «Es muss halt schnell gehen.» Normale Arbeitszeit: 8.24 Stunden. Momentan gibt es 10-Stunden-Tage. «Das Schlimmste ist, wenn es Krankheitsausfälle gibt.» Jemand Neues einzuarbeiten, würde drei Wochen dauern. Deshalb muss Christoffel schon im Herbst schauen, dass er genug Leute einstellt.
Tschudi nimmt auf der rechten Seite der Halle die Pakete aus den Metallwagen und lädt sie mit einem Kollegen in sein Auto. Quasi spiegelverkehrt: Pakete mit Adressen, die zuletzt angefahren werden, werden zuerst eingeladen. Tschudi hat seine Tour genau im Kopf, platziert die Päckli schnell und mit grosser Routine. «Etz schneits wörkli, gopfertelli!», sagt er, als er sich einen Kaffee aus dem Automaten lässt. «Sofort los!»
Seit 22 Jahren trägt Tschudi Post aus, seit 18 Jahren Pakete. Über die Jahre hat er sich darauf eingestellt, dass es eine happige Zeit ist vor Weihnachten. Aber es gebe auch viele schöne Erlebnisse: «Vell Lüüt hend Freud, wennd met eme Päckli chonnsch. D’Rechnig chonnt jo erscht hinedri.» Tschudis Zustellgebiet ist heute Muri. Wo er aufwuchs, zur Schule ging, Handballjunioren trainierte, im Vorstand des Turnvereins sitzt. Keiner, das wird schnell klar an diesem Dezembertag, keiner kennt Muri so gut wie Tschudi. Er weiss, in welchem Geschäftshaus man besser die Treppe nimmt, weil der Lift zu langsam ist. Wo man am Morgen nicht klingeln darf, weil die Bewohnerin Nachtschicht hat. Wo eine Hintertür im Weinladen direkt zum Wohnblock nebenan führt.
Weitere Eindrücke aus dem Arbeitsalltag von Paket-Pöstler Tschudi:
Um 7 Uhr 17 liefert Tschudi bei einem Bauernhof sein erstes Paket ab. Scannen, Briefkastentür auf, hineinlegen, Briefkastentür zu. «Chonnsch guet dure?», fragt der Landwirt aus dem Stall. «I säg ders denn innere Stond!», ruft Tschudi zurück und sitzt schon wieder im Auto. «Pakete kommen immer gut an», steht darauf, schwarz auf gelb. In Zürich etwa, sagt Tschudi, hätte er die Nerven nicht. Das sei der Vorteil an Muri: «Do könned d’Lüt enand no!» Oder vor allem Tschudi die Leute.
Bevor es ins Industriequartier geht, holt er auf der Post die Expressbriefe, die bis 9 Uhr zugestellt werden müssen. In seinem Pflichtenheft steht das nicht. Aber die Post Muri weiss Bescheid und sein Chef auch. Das sei einfach Kundenservice, findet Tschudi. Er fährt zu den Industriekunden. Zügig, aber nie zu schnell. Wo auch immer er die Werkstatt, die Lagerhalle oder das Sekretariat betritt: Er ruft freundlich «Morgä!», lädt ab, kassiert ein, wo nötig.
Und lässt mit einem Päckli immer auch einen Spruch da. «Breng der no de Schnaps», sagt er zu einem, der ein Lieferantengeschenk erhält. «Dä hetti am Wochenend chöne bruche!», folgt die Antwort postwendend. Dem Sanitär, der ihm ein ersehntes Ersatzteil gleich selber aus dem Wagen nimmt, sagt er: «Es hätti do no meh vo dä gliche Buude, bruchsch die au oder lohsch det die andere schaffe?» Dem Handwerker, der seit drei Wochen auf den neuen Drucker gewartet hat: «Hanen denn also ned bi mer dehei gha!»
Zustellen geht auf drei Arten: Übergeben, im Briefkasten deponieren, an einem anderen Ort deponieren – wenn es mit dem Empfänger so abgemacht ist. Tschudi hat viele Abmachungen. Er läuft hinein, als wäre er zu Hause. Die Kundschaft weiss: Er lässt immer etwas da, nimmt nie etwas mit. Es ist ein Grundvertrauen, das er sich erarbeitet hat. Er nennt es «Kundenfreundlichkeit».
Diese sei ihm heilig. Weihnachtsstress hin oder her: «Ziit för en Schwatz lohn i mer ned näh. Natürli ned grad 30 Minute, aber 30 Sekunde.» Dabei macht er keinen Unterschied zwischen dem Kollegen aus dem TV und «de Doris», als sie ihr Büro noch in Muri hatte. Später wurde Doris Bundesrätin.
Hat einer, der Weihnachten verträgt, auch Weihnachtsstimmung? «Ja, im Radio, Last Christmas!» Was in den Päckli sei, sei ihm eigentlich egal. Nur nicht, wenn es ein «Chinderpäckli» sei, Packpapier, handbeschriftet. «Die händ bi mer Priorität.» Sonst überlege er sich nicht gross, was er zustelle. Er sei ja quasi «s’ganz Johr dä Wiehnachtsmaa». Selber sei er nicht so der Online-Typ, bestelle selten etwas, das mit der Post geliefert werde.
Das Geschenk für den Göttibub habe er aber anders nicht bekommen. Und dem Sohn seiner Partnerin bringt er die Zalando-Päckli nach Hause. Wenn etwas nicht passt, gibt der Sohn Tschudi das Päckli zurück. «Han em aber gseit: Ipacke chasch es sälber, und ist Auto gheie grad au.»
Inzwischen ist es Mittag geworden und Tschudis Auto halb leer. Macht er die Tour in seinem Dorf Muri, fährt er um 10 nach 12 nach Hause zum Zmittag. «Do cha passiere, was wett.»