Historisches
Der Aarauer Kadett im Amerikanischen Bürgerkrieg – «Solche kleinen Beiträge verdichten den Blick in die Vergangenheit»

Corona spült dem Aarauer Stadtarchivar Raoul Richner abenteuerlichste Biografien auf den Tisch.

Katja Schlegel
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Arnold Sutermeister (1830 bis 1907), aufgewachsen in Aarau, wanderte mit 16 Jahren in die USA aus und kämpfte im Amerikanischen Bürgerkrieg.

Arnold Sutermeister (1830 bis 1907), aufgewachsen in Aarau, wanderte mit 16 Jahren in die USA aus und kämpfte im Amerikanischen Bürgerkrieg.

zvg

Dieser Krieg hallt noch immer nach, auch 160 Jahre danach: der Amerikanische Bürgerkrieg. Zwischen 1861 und 1865 kämpften Süden und Norden gegeneinander, es ging um die Einheit des Landes, um die Abschaffung der Sklaverei. Mehr als 600000 Soldaten starben, nie fielen mehr Amerikaner in einem Krieg. Selbst heute sind noch immer viele Amerikaner besessen von diesem Krieg, stellen uniformiert die bedeutendsten Schlachten Jahr für Jahr nach.

Dass ausgerechnet dieser Krieg dereinst plötzlich auch Aarau betreffen könnte, damit hat Stadtarchivar Raoul Richner so nicht gerechnet. Tut er aber. Richner hat Post aus Amerika bekommen. Absender: Die Familie von Arnold Sutermeister, geboren in Schöftland am 11. Juli 1830, gestorben am 3. Mai 1907 in Kansas City. Was all die Online-Einträge über den Veteranen nicht verraten: Arnold Sutermeister, siebtes Kind von Gottlieb und Anna Margaretha Sutermeister-Hemmann, wuchs in Aarau auf. Und hier soll es gewesen sein, wo er als Kadett mit dem nötigen Rüstzeug für seine Karriere als Batteriekommandant im Amerikanischen Bürgerkrieg versehen worden ist. So jedenfalls stellt es sein Nachfahre Nickolas Merritt Waser in einer mehrseitigen Biografie dar.

Plötzlich tauchen viel mehr Nachlässe auf

Eine Geschichte, von der Raoul Richner bislang nichts wusste. Zwar ist die Familie im Taufbuch, der Niederlassungskontrolle und im Totenbuch erfasst. Aber die Zahlen allein erzählen keine Geschichte. Post wie diese freut Richner deshalb sehr:

«Solche kleinen Beiträge verdichten den Blick in Aaraus Vergangenheit. Das macht sie für mich sehr wertvoll.»

Coronabedingt haben solche Lieferungen im letzten Jahr deutlich zugenommen; Richner spürt, dass die Leute Zeit haben, ihre Estriche und Keller zu entrümpeln –oder Ahnenforschung zu betreiben. So hat er beispielsweise auch Briefe aus dem Nachlass von Bäckerstochter Siebenmann bekommen, die im 19. Jahrhundert als junge Frau am Zollrain wohnte. Oder Briefe von Clara Bohnenblust-Nigg­li, Schwester von Einstein-Brieffreundin Julia Niggli, die mit ihrem Mann in den Jemen ausgewandert war und von dort aus nach Aarau berichtete.

Doch zurück zu Arnold Sutermeister: Zwar ist sein Name bekannt; so nennt ihn mitunter Karl Lüönd 1979 in einem Artikel in der Allgemeinen schweizerischen Militärzeitschrift (Titel «Sterben für ein Trinkgeld»» als einen, «dessen Tapferkeit in den offiziellen Kriegsberichten mehrmals ehrend erwähnt wurde.» Doch immer wird Zofingen (Heimatort der Familie Sutermeister) als Herkunftsort genannt. Aarau taucht nie auf. Licht ins Dunkel bringt nun ebendieser Lebenslauf aus den USA: Nach dem Tod von Vater Gottlieb, einem Fürsprecher und Notar, im April 1840, wanderte Mutter Anna 1846 mit drei Kindern nach Boston aus. Arnold war damals 16-jährig. Zwischen 10 und 16 war er zum Kadetten ausgebildet worden, wie alle Aarauer Buben. Davon zeugt mitunter eine Zeichnung eines Manövers, die Arnold Jahre später angefertigt hat.

Wie streng diese militärische Ausbildung damals war, schildert beispielsweise Rolf Zschokke in «150 Jahre Aarauer Kadetten» aus dem Jahr 1939: So fanden jeden Mittwoch- und Samstagabend zweistündige Übungen statt, es gab Paraden, Manöver und Ausmärsche, alles organisiert nach strengstem Reglement, und allesamt waren die Buben – laut Zschokke – grad so gut exerziert wie die Milizen.

Aarauer Bäckerstochter als Schwiegermutter

1860 heiratete Sutermeister, inzwischen Architekt, die 24-jährige Louise Johanna Leibnitz, eine Deutsche mit einer Aarauer Mutter. Louises Vater Karl Ludwig Leibnitz, ein Konditor (und Nachfahre des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz), hatte in Aarau mit Zuckerbäcker Abraham Ludwig Imhof zusammengearbeitet und dessen Tochter geheiratet. Die Familie Leibnitz war 1852 nach Amerika ausgewandert. Arnold und Louise bekamen acht Kinder.

1861, beim Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges, wurde Sutermeister wegen seiner Kadetten-Vergangenheit als Truppenausbildner eingezogen. Auf Seiten der Nordstaaten leistete er Dienst bis 1865. Er tat sich nicht nur als besonders ­tapferer Batteriekommandant hervor, sondern auch als be­gnadeter Zeichner. So schickte er ­regelmässig skizzierte Kriegsszenen an seine Frau.

Nach dem Krieg machte sich Sutermeister mit einem Baugeschäft in ­Kansas City selbstständig. Er starb im Mai 1907, mit 77 Jahren. Die Sendung aus Amerika bezeichnet der Stadtarchivar als «super Trouvaille». Nicht unbedingt dem Mehrwert für Aaraus Geschichtsschreibung wegen, sondern der Geschichte selbst:

«Ein Aarauer Kadett, der sich dank seiner hiesigen Ausbildung im Amerikanischen Bürgerkrieg heldenhaft schlägt; das ist doch einfach eine gute Geschichte.»