Der Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), Urs Niggli, sieht in modernen Gentech-Methoden Potenzial – wenn sie in der richtigen Landwirtschaft eingesetzt werden.
2016 hatte sich Urs Niggli, langjähriger Direktor des in Frick beheimateten Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL), arg in die Nesseln gesetzt: In einem Interview mit der deutschen «TAZ» brach er, der sich seit Jahrzehnten gegen Gentechnik eingesetzt hatte, eine Lanze für die «Gen-Schere» Crispr.
Für Bio-Fundamentalisten ein Skandal, der Niggli lange nachgetragen wurde. Seither hatte er sich nur noch sehr zurückhaltend, wenn überhaupt, geäussert.
Bei der Talk-Reihe «Wissenschaft persönlich» in der Winterthurer Stadtbibliothek musste sich Niggli am Dienstagabend jedoch der Frage stellen: «Gentechpflanzen und Biolandbau, ein Widerspruch?». Für Moderator und Wissenschaftsjournalist Beat Glogger sollte es nicht einfach werden, eine klare Antwort auf diese Frage aus dem «wichtigsten Wissenschafter der Bioszene» («Der Bund») herauszukitzeln.
Gut spürbar war für die Zuschauer Nigglis Seiltanz zwischen seiner Rolle als FiBL-Direktor und seiner persönlichen Meinung. Er sei kein Esoteriker, sondern «extrem nüchtern» – das sei wohl auch sein Problem in der Biobewegung.
Ein Bio-Advokat ist Niggli immer noch. «Die Ökologisierung muss von der Wissenschaft unterstützt werden», betont er, der zu Hause nur Bioprodukte konsumiert und einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen fordert. Er attestiert jedoch nach wie vor der modernen, neuen Gentech-Methode «Crispr» ein «grosses Potenzial». Damit kann man ganz gezielte Änderungen am Erbgut einer Pflanze vornehmen, um sie beispielsweise widerstandsfähiger zu machen.
Niggli gab zu bedenken, dass es schon immer «züchterischer Alltag» gewesen sei, natürliche, spontane Mutationen zu nutzen, um Pflanzen spezifische Eigenschaften zu verleihen. Später habe man diese Mutationen mittels chemischer Mittel und ionisierender Strahlung beschleunigt, selbst Biozüchter würden mit vielen der so entstandenen Sorten arbeiten.
Er betonte, Crispr sei eine «rein biologische Methode», mit der man eben auch Mutationen auslöse, bloss viel präziser. Und: Man müsse dabei keine artfremden Gene in das Erbgut einschleusen. Als Naturwissenschafter müsse er sagen: «Es ist die allerbeste Mutations-Methode.»
Allerdings hat der Europäische Gerichtshof im Juli entschieden, dass auch Crispr in der Landwirtschaft unter die bestehenden, strengen Gentechnik-Richtlinien fällt. Diesen Entscheid hält Niggli für «wissenschaftlich völlig falsch» – aber der Gerichtshof habe das Vorsorgeprinzip «extrem ernst genommen» – und die öffentliche Diskussion. «Die Leute sagen intuitiv, Gentechnik sei falsch, weil sie in völlig falscher Landwirtschaft eingesetzt wurde», erklärt Niggli.
Als Beispiel führt er Brasilien an, wo herbizid-resistenter Gen-Soja angepflanzt wurde, was zu übermässigem Einsatz von Pflanzengiften und geschädigten Böden führte. Man müsste jedoch nicht die Technologie beurteilen, sondern das Landwirtschaftssystem, in dem sie eingesetzt werde, so Niggli. Er nimmt die Naturwissenschafter in Pflicht, in den Dialog mit der Bevölkerung zu treten, denn sie hätten dies bislang «sträflich vernachlässigt». «Wenn ich ein NGO wäre, würde ich den Leuten sagen: Gentech ist bei weitem nicht optimal, aber nicht grundsätzlich schlecht.»
Durch den Entscheid des Europäischen Gerichtshofs unterliegen Organismen, die als gentechnisch verändert definiert werden, strengsten Auflagen – sie müssen langwierige und teure Zulassungsverfahren durchlaufen, die sich nur Saatgut-Multis leisten können.
Urs Niggli findet das bedauerlich. «Ich hätte mir ein Case-by-Case-Zulassungsverfahren gewünscht», sagt er. Eines mit einer differenzierten Vorprüfung, nach der bestimmte Gentech-Anwendungen weniger streng reguliert werden.
Soll Gentech künftig in der Biolandwirtschaft Einzug halten? Niggli: «Biolandbau hat ein bestimmtes Image, und dazu passt Gentech nicht.» Bei einem Rolls Royce wähle man auch eher ein Eichen-Armaturenbrett, obwohl ein anderes Material vielleicht ökologischer wäre. Man kaufe immer auch ein Image. «Bio schreibt sich auf die Fahne, naturnah und naturbelassen zu sein», so Niggli.
Wo «naturbelassen» allerdings anfange und vor allem aufhöre, sei ein rein soziales Konstrukt. Es brauche einen gesellschaftlichen Diskurs, um zu definieren, welche Landwirtschaft man überhaupt wolle.