Portrait
Wieso der Grüne Hausmann Thommen die Zuwanderung beschränken will

Er stand an der Spitze der Aargauer Grünen, ist Ammann im stockbürgerlichen Effingen und will die Grenzen für Einwanderer dichtmachen. Der Ecopop-Sekretär Andreas Thommen fällt aus dem Rahmen.

Urs Moser
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Andreas Thommen vor seinem Heim in Effingen.

Andreas Thommen vor seinem Heim in Effingen.

Emanuel Freudiger

Bei den Grossratswahlen im Oktober 2012 kam die SVP hier auf einen Wähleranteil von fast 50 Prozent, zu Steuersenkungen für Unternehmen sagten über 70 Prozent Ja, ebenso zum Kredit für die Südwestumfahrung von Brugg: Effingen im Fricktal, 600 Einwohner, 12 Landwirtschaftsbetriebe, Ausländeranteil 12 Prozent. Dieses Dorf soll von einem Ökofaschisten regiert werden?

Ein Grüner im bürgerlichen Effingen

Ökofaschisten, so nannte Staatssekretär Yves Rossier in einer verbalen Entgleisung die Initianten der Ecopop-Initiative. Und tatsächlich: Deren geschäftsführenden Sekretär Andreas Thommen haben die Effinger am 1. Dezember zu ihrem neuen Gemeindeammann gewählt. Ortsparteien gibt es in Effingen nicht.

Der hauptberufliche Hausmann Thommen ist der einzige Gemeinderat, der sich zu einer Parteizugehörigkeit bekennt. Und dann erst noch bei den Grünen. Er war sogar Co-Präsident der Kantonalpartei, allerdings nur eineinhalb Jahre lang. 91 von 122 Wählern schenkten ihm das Vertrauen, ein respektables Resultat im klar bürgerlich dominierten Ort.

Dass der Verein Ecopop darauf verzichtet hat, Staatssekretär Rossier (der sich wenigstens entschuldigt hat) zu verklagen, reut Thommen im Nachhinein ein bisschen. Auf die neue Aufgabe als Ammann freut er sich. Das Engagement für die Ecopop-Initiative, mit der das Bevölkerungswachstum begrenzt werden soll, habe ihm bei der Wahl vermutlich eher genützt als geschadet, glaubt Thommen.

Gerade bei den älteren Einwohnern. Das Dorf hat nie einen Boom erlebt, die Einwohnerzahl ist seit Jahren mehr oder weniger konstant. Den Effingern sei bewusst: Ihre Landschaft und Natur sind ihr Kapital. Und das deckt sich durchaus mit der Botschaft ihres neuen Ammanns: «Wenn es so weiter geht, ist die ganze Schweiz in ein paar Jahrzehnten mehr oder weniger eine einzige städtische Agglomeration. Wollen wir das wirklich?»

Die Effinger wohl so wenig wie ihr neuer Ammann. Und Partei-Ideologien spielen in der Gemeindepolitik sowieso keine so grosse Rolle. Die Verbundenheit mit der Dorfgemeinschaft schon.

Wohnen im Schulhaus

Als sie hierher gezogen seien, hätten viele Effinger ihm und seiner Frau kaum länger als ein Jahr in dem Haus gegeben, das durch einen Brand arg in Mitleidenschaft gezogen worden war. In einem früheren Anlauf hatte es auch noch nicht für die Wahl in den Gemeinderat gereicht. Dass sie in das geschichtsträchtige Schulhaus einzogen, das der Mitbegründer des Kantons Aargau Johannes Herzog der Gemeinde abgekauft hatte, ist nun aber 18 Jahre her. Und jetzt wird in Effingen unter Ammann Thommen eine Natur- und Umweltkommission eingesetzt.

Ein liberaler Grüner, so sieht sich der Ecopop-Aktivist. Dass seine Karriere an der Spitze der Kantonalpartei nur kurz dauerte, hat neben atmosphärischen auch inhaltliche Gründe. Ihm sei es im Parteiapparat manchmal zu langsam und schwerfällig gegangen, sagte die damalige Co-Präsidentin Gertrud Häseli zur Trennung. Als Abkömmling einer Viehhändler-Dynastie sei es Andi Thommen gewohnt, zackig zu entscheiden. Die Teilung der Führung sei für ihn nicht ideal gewesen, bestätigt Thommen, aber er habe auch unterschiedliche Ansichten zur Mehrheitsmeinung in der Partei gehabt. Nach seiner Vorstellung hätten sich die Grünen idealerweise so entwickelt, dass die Grünliberalen im Aargau gar nicht als eigene Partei aufgekommen wären.

Ecopop sei durchwegs grün

Die Dissonanz zeigt sich an der Initiative zur Begrenzung der Einwanderung exemplarisch. Den Grünen ist sie suspekt, die nationale Parteispitze hat immer wieder versucht, Ecopop in die rechte Ecke zu stellen. Thommen dagegen kann schlicht «nicht begreifen, warum die Grünen gegen uns sind». Das Bevölkerungswachstum einzudämmen müsste nach seiner Überzeugung vielmehr ein Ur-Anliegen der Partei sein. «Wenn wir in der Schweiz in zwölf Jahren wieder eine Million mehr Einwohner haben, werden wir die Atomkraftwerke nicht abstellen können» – so sieht er das.

Durch ein überbordendes Bevölkerungswachstum geraten die Umweltziele ausser Reichweite, und dem mit flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit oder verdichtetem Bauen beikommen zu wollen, ist für Thommen unrealistisch: «Bis das greift, ist längst alles zugepflastert.» Die Grünen machen ihm zu oft nur auf Opposition.

Gegen alle Strassenprojekte anzukämpfen und regelmässig zu verlieren ist nicht seine Vorstellung von konstruktiver Politik. «Die Leute sehen ein Problem und verlangen eine Lösung dafür, da stehen wir mit dem kategorischen Nein auf verlorenem Posten.» Seine Gleichung: Die Gefahr für Natur und Umwelt sind immer mehr Menschen auf begrenztem Raum, die zu viel Ressourcen verbrauchen. Darum «geht es nicht auf, wenn wir neben der Senkung des Pro-Kopf-Verbrauchs nicht auch aktiv gegen die Überbevölkerung antreten.» Er fürchte, seine Partei verliere sonst an Glaubwürdigkeit, sagt Thommen.

Den Vorwurf, sich mit der SVP ins Bett zu legen, deren Initiative gegen die Masseneinwanderung im Prinzip das Gleiche verlangt wie die Ecopop-Initiative, trägt der grüne Ammann von Effingen mit Fassung. «Ja, aber», ist seine Haltung zur SVP-Initiative. Im Gegensatz zur SVP, die keine konkrete Zielgrösse nennt, ist Ecopop noch radikaler und will das Wachstum durch Zuwanderung auf 0,2 Prozent beschränken. Gerade hier liegt eine entscheidende Abgrenzung, findet Thommen – abgesehen davon, dass Ecopop mit der Aufstockung der Entwicklungshilfe für Aufklärung und Verhütung auch global etwas bewirken will.

Bei der SVP bleibe der Verdacht, das Thema Überbevölkerung für fremdenfeindliche Propaganda zu missbrauchen und am Schluss Forderungen aus der Wirtschaft nach höheren Einwanderungs-Kontingenten doch wieder nachzugeben. Dass aus ökonomischer Sicht ein Bedarf nach starker Zuwanderung von Arbeitskräften bestehen könnte, lässt der liberale Grüne schon gar nicht gelten: «Wir haben in 10 Jahren 400 000 Arbeitsplätze geschaffen, 200 000 davon in der öffentlichen Verwaltung, und die Arbeitslosenzahlen sind immer gleich geblieben. Was bringt uns das?»