Derzeit haben Aargauer und Fricktaler Fledermausbetreuer keine Freude an ihrer Passion. Grund ist das massenhafte Sterben der Jungtiere, das sie beobachten müssen. In manchen Kolonien ist der Nachwuchs 2021 zu 100 Prozent verendet. Die Ursachen liegen im vergleichsweise kühlen und nassen Sommer.
Clemens Wunderlin wollte seinen Augen nicht trauen, als sich ihm im Dachstock der Wegenstetter Kirche ein trauriger Anblick bot: 50 auf dem Boden liegende tote Fledermausjungtiere – praktisch der komplette Jahrgang 2021 der Wochenstube vom Grossen Mausohr - jener Art, die seit Jahren schon in der Kirche heimisch ist. Zum einen seien die Kadaver kaum fingernagelgross gewesen, dass Wunderlin sie mit blossem Auge kaum hat entdecken können. Er schätzt:
«Darunter müssen zahlreiche Totgeburten gewesen sein aus sicher einer ganz frühen Phase der Trächtigkeit.»
So manches sonst war Wunderlin schon zu Beginn des Fledermausjahres 2021 komisch vorgekommen: Dass die Tiere früher als gewöhnlich kamen, es vergleichsweise wenige waren, sie dann zeitweise wieder verschwanden und der Nachwuchs erst relativ spät auf die Welt gekommen ist.
Für Andres Beck, der schon seit 33 Jahren kantonaler Fledermausschutz-Beauftragter im Aargau ist, sind Wunderlins Beobachtungen kein Einzelfall. Beck weiss von einem Beispiel aus Rheinfelden, wo in einer in der St. Martinskirche heimischen Mausohrkolonie nahezu der komplette 2021er Nachwuchs nicht überlebt habe. In einer Autobahnbrücke nahe Sisseln/Eiken befinde sich eine Wasserfledermaus-Wochenstube. Auch dort hätten Passanten zahlreiche tote Jungtiere entdeckt. Auch für das Wegenstetter Flederhaus, wo eine Kolonie der in der Schweiz nur noch seltenen Grossen Hufeisennase zuhause ist, hat Beck wenig Hoffnung. Er sagt:
«Ich muss leider davon ausgehen, dass es denen auch nicht gut ergangen ist.»
Sicherheit habe er aber erst im September, wenn er die Aufzeichnungen der im Flederhaus installierten Videokamera auswertet. Beck sagt:
«Das massenhafte Sterben des Fledermausnachwuchs findet derzeit überall statt – im Fricktal, im Aargau, in der ganzen Schweiz.»
Vereinzelt habe es Vergleichbares auch schon früher gegeben. «Aber so massiv und flächendeckend habe ich das in den 33 Jahren meiner Tätigkeit noch nie erlebt», sagt Beck. Auch für Wunderlin, seit zehn Jahren ehrenamtlicher Fledermausbetreuer, ist es eine neue Erfahrung – und eine traurige obendrein.
Bei den Ursachen sind sich er und Beck einig: Die Jungtiere sind verhungert. Beck erklärt:
«Wenn die Mütter nicht jagen können, gelingt es ihnen nicht, die Babys ausreichend mit Milch zu versorgen.»
Schuld sei das regnerische Wetter der vergangenen Wochen gewesen. Beck: «Bei Regen finden sich die Mütter bei der Jagd nur schwer zurecht, fliegen erst gar nicht los oder unterbrechen die Jagd.» Dann kehrten sie teils für mehrere Tage nicht zu ihren Jungen zurück und säugten sie auch nicht mit Muttermilch – tödlich für die Kleinen. Auch Wunderlin hat beobachtet, wie in der Wegenstetter Kirche eines Tages die erwachsenen Tiere sämtlich verschwunden waren und der Nachwuchs allein seinem Schicksal überlassen war.
Ebenso einig sind sich Beck und Wunderlin in der Einschätzung der Konsequenzen. Beck sagt: «Ich denke, der Bestand erholt sich wieder, sofern der 2021er-Sommer die Ausnahme bleibt.» Auch Wunderlin glaubt: «Ein paar normale Sommer in den kommenden Jahren können das schon wieder ins Lot bringen.»