Kolumne von Annemarie Pieper
Sydebolle

Annemarie Pieper über Kerle wie Samt und Seide, Donald Trump und neue Hoffnung.

Annemarie Pieper
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Eins der ersten Mundartwörter, das ich, von München nach Basel gekommen, auf Anhieb verstand, war «Sydebolle». Eine Studentin schaute verzückt einem vorbei schlendernden Kommilitonen nach und flüsterte «Sydebolle». Mir war sofort klar, was sie meinte, als der junge Mann sich mit einem eleganten Schlenker umdrehte und ihr lächelnd eine sanfte Kusshand zuschickte.

Die Frauen aus der Generation meiner Mutter pflegten schwärmerisch von einem Kerl wie Samt und Seide zu sprechen. Damit war beileibe nicht die Rede von einem Typen, den man heutzutage als Weichei oder als Softie zu bezeichnen pflegt. Im Gegenteil ging es um einen echten Kerl, der mit guten Manieren und umwerfendem Charme aufwartete. Solche männlichen Exemplare sind rar geworden.

Der Kerl auf der einen und Samt und Seide auf der anderen Seite wurden rigoros getrennt, wobei die eine Hälfte an die Durchsetzungsfähigen und Führungsstarken delegiert, die andere ins Rotlichtmilieu verbannt wurde. Hin und wieder hört man noch, dass ein galanter älterer Herr als Kavalier alter Schule tituliert wird, aber dabei wird gnädig darüber hinweg gesehen, dass ein alter Knacker längst nicht mehr als Kerl zählt.

Gibt es überhaupt noch Vorbilder für den antiquiert scheinenden Männertyp? In der Politik sucht man vergeblich. Ueli Maurer, Johann Schneider-Ammann, Guy Parmelin: lauter Sydebollen? Sollten sie privat Charmeure sein, ist von dieser Ausstrahlung auf dem politischen Parkett wenig zu spüren. Als nonchalante und weltgewandte Mannsbilder sind sie jedenfalls bisher nicht aufgefallen.

Putin, Trump und Kim: Kerle wie Samt und Seide? Dass sie gern die harten Jungs geben, die die Welt das Fürchten lehren wollen, macht sie zwar gefährlich, aber nicht zu Kerlen, geschweige denn zu Gentlemen. Was Samt und Seide betrifft, fehlt es ihnen wie allen nur in sich verliebten Narzissten an Einfühlungsvermögen, ganz davon abgesehen, dass ihren infantilen Selbstinszenierungen etwas Unappetitliches anhaftet.

Fündig wird man am ehesten in den Illustrierten, die Filmstars wie Leonardo di Caprio und George Clooney als eine Art Sydebolle-Kandidaten feilbieten. Ihnen wird - gleichsam als Wiedergängern von Agent 007 - der smarte Schmusetiger auf den knackig maskulinen Leib geschrieben. Aber mehr als ein Rollenklischee ist es wohl nicht.

Doch es gibt Hoffnung. Neulich hörte ich es wieder, das magische Wort, auf dem Bahnsteig in Rheinfelden. «Hääärzig», ertönte es neben mir, und dann ein lang gezogenes «Sydebolle». Eine Passantin deutete auf einen Kinderwagen, aus dem ein kleiner Junge strahlende Blicke verschoss und hingebungsvoll seinen Teddy liebkoste. Dieser Wonneproppen hatte unübersehbar das Zeug zu einem Kerl wie Samt und Seide.