Rheinfelden
Wo aus Füssen Blumen wachsen: Dieser Künstler ist mit Draht auf den Spuren der Gesellschaft

Der Rheinfelder Künstler Stefan Rüegg schafft aus eigenartigen Figuren, Objekten und szenischen Arrangements eine Welt, in der die Fantasie biologische Normen aushebelt und der Gesellschaft ein Schnippchen schlägt. Sein wichtigstes Material dabei: Draht.

Peter Schütz
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Stefan Rüegg, Künstler aus Rheinfelden, fertigt aus Draht Figuren und Gruppen und regt damit zum Nachdenken an.

Stefan Rüegg, Künstler aus Rheinfelden, fertigt aus Draht Figuren und Gruppen und regt damit zum Nachdenken an.

Peter Schütz/ «Aargauer Zeitung»

Füsse, so viele Füsse. Stehen in Bilderrahmen oder auf Ablagen, und würden ihnen nicht bunte Blumen auf langen Stängeln entwachsen, wären sie schnell vergessen. So aber bleibt der Blick an ihnen hängen, weil Füsse normalerweise keine Blumenbeete sind. Aber was ist schon normal in der Kunstwelt von Stefan Rüegg.

Der 48-jährige Schöpfer eigenartiger Figuren, Objekte und szenischer Arrangements aus Rheinfelden schafft eine Welt, in der die Fantasie biologische Normen aushebelt und der Gesellschaft ein Schnippchen schlägt. Dafür greift er vorzugsweise zu Draht, der ihm als Ausgangsmaterial dient:

«Am liebsten Stahldraht, weil er rostet.»

Am Anfang habe er viele einzelne Männlein gemacht, auch Tänzerinnen, erzählt er. Dann ist er in komplexe, plastische Collagen übergegangen. Hat mehrteilige Ansammlungen von Figuren geschaffen, die in derselben Gestik verharren. Titel: «Schuldzuweiser». In einer Gruppe zeigen alle auf den Himmel, weil die Sterne schuld sind. In einer anderen Gruppe zeigen alle aufeinander, weil die anderen schuld sind. Oder sie zeigen auf die Betrachterinnen und Betrachter, weil die schuld sind – woran auch immer.

Draht genügt ihm

Die Figuren sind rund sieben Zentimeter hoch, filigran, jedoch weitgehend ohne auffällige Charakterzüge. Sie sind austauschbar, archaisch, primitiv im positiven Sinn. Stefan Rüegg geht es nicht darum, Körperlichkeit im konventionellen Stil darzustellen, sondern um die Idee.

Dafür genügt ihm Draht, den er von Hand und manchmal mit der Zange biegt. Und natürlich greift er auch zu anderen Materialien wie Papier, Fischkleister, Nagellack, um die Geflechte mit Kugeln und sonstigen festen Untergründen zu kombinieren.

Im «Garten der Toleranz» wachsen aus Füssen Blumen.

Im «Garten der Toleranz» wachsen aus Füssen Blumen.

Peter Schütz/ «Aargauer Zeitung»

Was immer im Spiel ist: Ironie, Schalk, Witz. Da steht zum Beispiel eine Figur auf einer schmutzig-grauen Kugel, welche die Erde darstellt, und verrichtet ihr Geschäft darauf, sodass die Körperflüssigkeit sich wie Flüsse von oben nach unten verteilt. «Donald Trump», lautet Rüeggs Hinweis. Woanders stehen Touristen auf einer Aussichtsplattform und schiessen Selfies – weswegen sie dort sind, interessiert sie weniger als sie selber. Rüegg sagt mit einem Lächeln:

«Schräge Leute haben auch viel Wert.»

Zur Kunst ist er auf Umwegen gekommen. Geboren 1973 in Winterthur, verbrachte er die Schulzeit im Baselbiet. Danach lernte er Elektroniker, später studierte er Elektroingenieur, den Beruf, den er heute noch ausübt.

Nach Rheinfelden ist er vor zehn Jahren gelangt. Vor sechs Jahren hat er die Künstlerin Yannina Döbeli kennen gelernt. Über drei Jahre lang war er alle zwei Monate in ihrem Atelier zu Gast, lernte Malerei und schuf die ersten Drahtfiguren. Er sei dann schnell selbstständig gewesen, nachdem er festgestellt hat, dass er beim Draht «daheim ist». Finanziell ist er nicht von der Kunst abhängig, weshalb er viele Freiheiten hat und diese auch nutzt.

Niemand wollte die Krone zertrampeln

Seit einem halben Jahr arbeitet er in einem Atelier unweit von seiner Wohnung. Verleiht dort seinen Beobachtungen physische Präsenz als humorvolle Reaktion auf den Zustand der Gesellschaft. Den er mit 24 Kronen als «Die Corona der Schöpfung» in einer Ausstellung im Kurbrunnen manifestiert hat. Ein dezenter Hinweis auf die selbstzerstörerische Kraft der Menschheit. Der Plan war, dass die Käufer die Kronen kaputt trampeln sollten – was sich ausser ihm niemand traute.

Und was hat es nun mit den Füssen, denen Blumen entwachsen, auf sich? «Das ist der Garten der Toleranz.»