Die Stadtratswahlen vom 13. Juni sind mit vielen Fragen verbunden und zugleich spannend wie selten zuvor. Acht Kandidaten werben für fünf Sitze um die Gunst der Wähler. Im dritten Teil der vierteiligen Serie stellt die AZ mit Susanna Schlitter (FDP) die einzige Frau im Stadtrat vor und mit Michael Derrer einen Kandidaten, der nach seinem Entscheid anzutreten, von der GLP ausgeschlossen wurde.
Drei Fragen interessieren bei den Stadtratswahlen vom 13. Juni in Rheinfelden besonders: Feiert die SP nach vier sitzlosen Jahren ein Revival im Stadtrat? Die laufende Amtsperiode ist die erste seit mindestens 1945, in der die Sozialdemokraten nicht in der Stadtregierung vertreten sind. Zeitweise stellte die SP zwei, von 1962 bis 1965 sogar drei Vertreter – und damit die Mehrheit in der Regierung.
Die zweite Frage: Gelingt es SP-Grossrätin Claudia Rohrer den frei werdenden Sitz – als Einziger tritt Hans Gloor (parteilos) nicht mehr an – zu erobern und damit den Frauenanteil auf 40 Prozent zu erhöhen? Aktuell sitzt mit Susanna Schlittler (FDP) eine Frau im Stadtrat; ihre Wiederwahl ist ungefährdet.
Die dritte Frage: Wie goutieren die Rheinfelder die wilde Kandidatur von Michael Derrer? Der Bezirksrichter gehörte lange der GLP an, wurde dann aber nach seinem Entscheid, bei den Wahlen ohne die Unterstützung der Partei anzutreten, aus der GLP ausgeschlossen. Dies deshalb, weil die GLP mit Dominik Burkhardt bereits im Stadtrat vertreten ist und die Partei ihn an der Nominationsveranstaltung einstimmig und als einzigen Kandidaten nominiert hatte. Die AZ stellt in einer vierteiligen Serie die acht Stadtratskandidaten vor. Heute: Susanna Schlittler und Michael Derrer.
Was motiviert Sie, als Stadtrat (erneut) zu kandidieren?
Susanna Schlittler: Rheinfelden liegt mir am Herzen! Ich habe das Gefühl, dass ich in meinem Amt als Stadträtin nun richtig angekommen bin. Aufbauend auf den Erfahrungen der letzten vier Jahre möchte ich der Bildung, der kulturellen Vielfalt und dem breiten Sportangebot weiterhin eine Stimme geben.
Michael Derrer: Während zwei Jahrzehnten war Rheinfelden faktisch bloss mein offizieller Wohnsitz – ich befand mich häufig beruflich im Ausland, oftmals für mehrere Monate. In den letzten Jahren hat sich dies geändert: Je mehr Menschen ich hier kennenlernte, desto stärker wurde der Wunsch, meinem schönen Wohnort etwas zurückzugeben. Ich möchte die Erfahrung als Unternehmer und die Erkenntnisse als Dozent für Wirtschaft und Soziologie für unsere Stadt einsetzen und einen Beitrag leisten, um sie neu zu beleben.
Welche zentralen Herausforderungen sehen Sie in den nächsten Jahren auf Rheinfelden zukommen?
Schlittler: Die Neugestaltung des Bahnhofs mit den angrenzenden Arealen wird uns fordern. In meinem Ressort steht die Umsetzung der neuen Führungsstrukturen an den Schulen im Fokus. Daneben werden uns die Fertigstellung der neuen Dreifachturnhalle und die Sanierung der Schulanlage Robersten beschäftigen. Spannend wird sein, ob auch der Kanton die Vorzüge sieht, die die geplante «Mittelschule Fricktal» für Rheinfelden und die angrenzenden Gemeinden hätte. Für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist die Zeit reif für eine Tagesschule.
Derrer: Die strukturellen Probleme der kleinen Läden haben sich in der Pandemie verschärft – sie benötigen Unterstützung. Eine stärkere Durchmischung des Angebots würde die Attraktivität der Altstadt steigern. Durch eine wirksamere Kommunikation gegen aussen und intelligente Massnahmen könnten wir mehr Touristen nach Rheinfelden holen. Die Arbeitsbedingungen für Künstler sollten verbessert werden, und Kultur könnte stärker in den Alltag integriert werden. Mit Kreativität überwinden wir die Stagnation.
Was haben Sie für Rheinfelden erreicht respektive wie haben Sie sich bislang für Rheinfelden engagiert?
Schlittler: Die Schulanlage Engerfeld wurde erneuert und erweitert. Erfolgreich konnten wir in die Kreisschule Unteres Fricktal wie auch in die Musikschule Unteres Fricktal neue Verbandsgemeinden integrieren. Kindergarten Anlagen wurden saniert. Die Planung der Dreifachturnhalle mit einem Provisorium steht. Ein Ausbau der Angebote und die Erweiterung der Standorte beim Mittagstisch sind umgesetzt. Als Präsidentin vom Trägerverein für Schüler-, Jugend und Kinderkultur bin ich stolz auf den hervorragenden Ruf als Ausbildungsbetrieb für junge Berufsleute. Im Bereich Kultur arbeiten wir am Kulturkonzept und die Schiffacker Anlage wird ausgebaut.
Derrer: Seit 2013 bin ich nebenamtlicher Richter am Bezirksgericht. Vier Jahre lang war ich Mitglied der GPFK. Im Rahmen der Grünliberalen Partei lancierte ich 2020 die Umfrage über prioritäre Investitionen in Rheinfelden. An der Hochschule Luzern initiierte ich eine Studie zum City Management. Aktuell sind wir an der Gründung des Vereins «Mehr Farbe für Rheinfelden», der sich für kreative Massnahmen und für die Stärkung des Gemeinschaftssinns in unserem schönen, aber etwas musealen Städtchen einsetzen wird.
Für welche Bereiche wollen Sie sich als Stadtrat hauptsächlich einsetzen?
Schlittler: Als Stadträtin trage ich zusammen mit meinen Stadtratskollegen eine Gesamtverantwortung für das Geschehen in unserer Stadt. In meinem Ressort arbeite ich mit vielen engagierten Menschen und Organisationen zusammen. Mit Freude möchte ich mich – zusammen mit ihnen – weiter einbringen, mitwirken und die laufenden Projekte vorwärtsbringen.
Derrer: Meinem Hintergrund entsprechend stehen mir wirtschaftliche Fragen am nächsten: Gewerbe, KMU, Standortförderung, Tourismus. Als Dozent und Didaktiker besitze ich einen Erfahrungsschatz für Bildungsfragen. Daneben interessiert mich auch die Förderung von Kunst und Kultur sowie der soziale Bereich, wo es mein Anliegen wäre, möglichst viele Personen zurück in den Arbeitsprozess zu bringen. Der ständigen Dialog mit den Menschen unserer Stadt ist mir in jeder Aufgabe wichtig.
Wie ist Rheinfelden derzeit aufgestellt?
Schlittler: Rheinfelden hat in den vergangenen Jahren vieles richtig gemacht und steht sehr gut da. In meinem Ressort wurde u.a. die Infrastruktur im Schulbereich verbessert. Ein Ausbau des Angebots und die Erneuerung der Strukturen beim Mittagstisch sind umgesetzt. Wir haben ein vielfältiges Sport- und Kulturangebot. Daneben bin ich – zusammen mit dem Ratskollegium – offen für den Dialog mit den Stimmbürgern, um Verbesserungsvorschläge zu diskutieren und zu prüfen.
Derrer: Rheinfelden verfügt über eine zeitgemässe Infrastruktur. Doch der Blick ist oftmals zu stark rückwärtsgewandt: Man ruht sich auf den Lorbeeren aus – den Bauwerken der Vergangenheit und dem Unternehmergeist früherer Generationen. Auch kommt heute zu viel von aussen: Aufträge der Stadt werden an Externe vergeben, obwohl hier Ansässige dieselbe Leistung erbringen könnten. Das Multikulti-Fest beispielsweise setzte auf Schausteller aus der Ferne. Wir können unsere eigenen Ressourcen besser nutzen und entwickeln.
Was macht die Stadt besonders?
Schlittler: Mit Blick auf Corona und auf die letzten Monate zeigte sich, dass wir in Rheinfelden trotz Pandemie überwiegend einen kühlen Kopf bewahrt haben. Die Verwaltung, der Stadtrat und auch die Stimmbürger ziehen an einem Strang mit dem Resultat, dass wir ein modernes, offenes und faires Rheinfelden haben mit einer starken Wirtschaft und einem funktionierenden Gesundheits- und Dienstleistungssektor. Menschen aller Altersklasse fühlen sich in Rheinfelden wohl und zuhause.
Derrer: Die Menschen, die hier wohnen. Ihr Potenzial könnte noch stärker genutzt werden. Dafür ist es wichtig, den Gemeinsinn zu entwickeln, und die Stadt kann hierbei eine Rolle als Katalysator spielen. Mein Vorschlag, Rheinfelden zu einer «Stadt der Blumen» zu machen, ist auch symbolisch gemeint. Denn wenn ich Blumen vor mein Fenster hänge, nützt dies weniger mir als den anderen. Im Gegenzug profitiere ich von den Blumen vor den Fenstern aller anderen.
Bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: Rheinfelden …
Schlittler: ... und das gesamte Fricktal bedeuten für mich «Heimat». Sehr gerne würde ich mich weiter als Stadträtin für das Wohlergehen unseres Städtli’s einsetzen und engagieren
Derrer: … ist heute der Ort, an dem ich aufgrund meines Wunsches, mich als Stadtrat zu engagieren, aus der eigenen Partei ausgeschlossen wurde – Zeugnis eines ungesunden Verständnisses von Macht und Demokratie. … ist morgen ein Ort der Kreativität, Quelle von Inspiration, Oase von Gesundheit und Harmonie, und ein vorbildhaftes Beispiel für die Kooperation von Wirtschaft, Kultur und Politik.