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Immer weniger Stimmbürger besuchen in den Fricktaler Gemeinden die Gemeindeversammlung – die Gemeinden sind machtlos.
Ein Gutschein für ein Getränk in der Dorfbeiz, eine Rolle Abfallsäcke als Geschenk, ein Gratis-Apéro – Fricktaler Gemeinden versuchen immer wieder, Anreize für ihre Einwohner zu schaffen, an einer Gemeindeversammlung teilzunehmen.
In der Hoffnung, dass mehr Stimmberechtigte kommen und mitreden, wenn es um die Zukunft der Gemeinde geht.
Denn die Präsenzzahlen an den Einwohnergemeindeversammlungen sinken stetig. Das bestätigt ein Blick in die Statistiken von fünf zufällig ausgewählten Gemeinden: Gansingen, Sisseln, Magden, Möhlin und Frick.
Grosse Schwankungen
Ein Vergleich von Zeitperioden von jeweils fünf Jahren zwischen 1996 und 2000 sowie 2011 und 2015 zeigt:
Früher waren prozentual gesehen mehr Einwohner an den Geschäften und der Zukunft der Gemeinden interessiert.
Deutlichstes Beispiel ist Gansingen. Nahmen zwischen 1996 und 2000 noch 12,6 Prozent der Stimmberechtigten an den Versammlungen teil, sind es zwischen 2011 und 2015 noch 7,7 Prozent.
Die Präsenzzahlen sind allerdings grossen Schwankungen unterworfen. Speziell noch in den kleineren Dörfern wie Gansingen und Sisseln mit ihren 757 respektive 957 Stimmberechtigten (letzte Gemeindeversammlung im Herbst 2015). In den grösseren Gemeinden sind die Präsenzzahlen im Allgemeinen tiefer. Aber auch hier gibt es Ausreisser nach oben.
«Die Teilnahme ist primär von den politischen Themen abhängig», sagt der Möhliner Gemeindeschreiber Dieter Vossen.
Seine Amtskollegen in den anderen befragten Gemeinden bestätigen das unisono.
Ein Thema, das – zumindest einst – viele interessiert hat, ist Tempo 30. Genauer: dessen flächendeckende Einführung. Sowohl in Magden als auch in Möhlin waren die Gemeindeversammlungen, in denen es darum ging, die am besten besuchten der vergangenen zehn Jahre.
Das Phänomen der Betroffenheit
Noch bessere Zahlen liefern einzig die ausserordentlichen Gemeindeversammlungen (siehe auch Kontext). So kam 2007 etwa mehr als jeder dritte Stimmberechtigte von Gansingen (35,2 Prozent) an die Gmeind, als es um eine Fusion mit den anderen Talgemeinden ging. Ebenfalls knapp jeder dritte Stimmberechtigte (32,8 Prozent) tat seine Meinung in Sisseln kund, als es um die Schliessung des Hallenbads im Dorf ging.
«In den letzten Jahren ist eine Tendenz zur Betroffenheitspolitik zu beobachten», sagt der Magdener Gemeindeschreiber Michael Widmer. «Wenn die Leute für sich eine persönliche Konsequenz aus einem zur Diskussion stehenden Geschäft ableiten, so gehen sie zur Gemeindeversammlung – sonst nicht.» Der Anteil von Personen hingegen, die den Besuch der Gmeind als Bürgerpflicht sehen und auch hingehen, wenn es nur um das Budget und das Protokoll der letzten Versammlung geht, nehme stetig ab, so Widmer.
Möglichkeiten, die Präsenzzahl zu beeinflussen, bleiben den Gemeinden kaum. Die befragten Gemeinden berücksichtigen bei ihrer Terminwahl wann immer möglich gleichzeitig stattfindende Anlässe – wie etwa wichtige Fussballspiele. «Aus Rücksicht auf die Weltmeisterschaft haben wir auch schon mal eine Versammlung verschoben», sagt der Fricker Gemeindeschreiber Heinz Schmid.
Womöglich falsche Motive
Die Vereine werden ausserdem früh über die Termine informiert, Broschüren möglichst attraktiv gestaltet und Pressekonferenzen abgehalten, um medial auf die Themen hinzuweisen.
Aber: «Die Anzahl anwesender Stimmberechtigter lässt sich kaum beeinflussen», sagt die Gansinger Gemeindeschreiberin Patricia Bur. Das zeigen auch die einst angebotenen Gutscheine für die Dorfbeiz. Der Effekt des Anreizes blieb aus.
Überhaupt sind sich die befragten Gemeinden uneins über Sinn und Zweck solcher Anreize:
«Es ist in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich, dass sich die Stimmbürger Zeit für die Versammlung nehmen. Dafür gebührt ihnen ein Dankeschön», argumentiert Heribert Meier, Gemeindeschreiber von Sisseln.
Der Apéro sei eine gute Gelegenheit, Themen mit einzelnen Gemeinderäten abseits der Versammlung zu vertiefen, sagt Vossen. Dem entgegen argumentieren Widmer und Schmid.
«Die Leute sollen wegen des Interesses am Thema kommen und nicht wegen des Gratisbiers», sagt Widmer.
Und: «Aus meiner Sicht spiegelt die tiefe Beteiligung auch wieder, dass die Bevölkerung in den Gemeinden mit guter Infrastruktur und einem umfassenden Dienstleistungsangebot lebt und damit zufrieden ist.»