Andrea Worthmanns Hund ist blind. Mit ihm erkundet sie Laufenburg – und lacht mit ihm über Missgeschicke.
Ein Blindenhund? Nein, ein blinder Hund. Ein kleiner aber erheblicher Unterschied, der auch nicht ganz gewöhnlich ist. Meine Familie und ich haben seit April einen Hund, der blind ist. Es ist ein junger Hund und er ist von Geburt an blind. Sein Name ist Mirio, Anfang September wurde er ein Jahr alt und er trägt sein Schicksal tapfer, denn natürlich kennt er es nicht anders. Er ist lebensfroh, verspielt, verschmust, frech, lustig und alles andere, was junge Hunde eben so sind.
Gut, die anderen laufen nicht gegen einen Baum oder eine Laterne, die plötzlich mitten in der Geruchsspur auftaucht. Mirio passiert das hin und wieder und er ist hart im Nehmen. Beabsichtigt ist das nicht, aber es kann schon mal sein, dass ich oder mein Mann nicht aufpassen oder der Hund plötzlich zur Seite zieht, so dass man das wichtige «Achtung!» nicht mehr rufen kann. Dann nämlich weiss Mirio, dass ein Hindernis kommt und driftet in die andere Richtung.
Was aber hat uns bewogen, einen blinden Hund zu nehmen? Es ist ja klar, dass so ein Tier eine besondere Pflege und Erziehung braucht. Tatsächlich war es nicht geplant, es war schlichtweg Zufall. Naja, vielleicht auch Schicksal. Wie viele andere Menschen auch, haben wir die Coronazeit und das damit verbundene Homeoffice als Sprungbrett für die Anschaffung eines Hundes nutzen wollen. Vor ein paar Jahren hatten wir schon mal eine Hündin aus dem Tierschutz, das ging leider nicht gut und ist eine andere Geschichte.
Nach dieser Erfahrung haben wir ein bisschen Zeit gebraucht, bis wir wieder bereit für einen Hund waren. Also schauten wir genau hin. Vor allem, was den Charakter des Hundes angeht, war für uns klar, dass es diesmal ein überaus menschenfreundlicher Genosse sein sollte. Mein Mann stiess dann auf die Anzeige von Mirio und die Charakterbeschreibung entsprach zu 100 Prozent unseren Vorstellungen.
Dass er blind ist, spielte dann keine grosse Rolle mehr. Die Fotos hatten es uns ausserdem auch sehr angetan und als wir dann noch sahen, dass er am Tag unserer Hochzeit geboren wurde, war klar: Wir müssen ihn kennen lernen. Bei dem ersten Besuch, wickelte er uns sofort um die Pfote, wir holten ihn in die Schweiz und nun macht er Laufenburg unsicher.
Trotzdem: Es gibt natürlich ein paar Einschränkungen und Besonderheiten, die den Umgang mit einem blinden Hund, herausfordernd machen. Als Hundeführer muss man natürlich dem Hund die Augen ersetzen. Das funktioniert über die schon erwähnten Kommandos, viel Geduld und vor allem Vertrauen. Treppenlaufen musste er lernen und diese werden von uns angekündigt. Im Haus bewegt sich Mirio mittlerweile sicher.
Auch das Spielen mit an- deren Hunden gestaltet sich manchmal schwierig, denn wenn es nicht gerade auf einer grossen Wiese stattfindet, ist die Gefahr gross, dass Mirio im Eifer des Spiels irgendwo gegen läuft. Die Körpersprache seines Gegenübers kann er nicht sehen und somit schwer interpretieren. Momentan ist er aber praktisch immer im Spielmodus und selbst wenn er mal unfreundlich angeblafft wird, findet er das witzig und will weiterspielen.
Da er seine Umwelt mehr über den Geruch und das Gehör wahrnimmt, werden entgegenkommende Geräusche und Gerüche – oft in Form von Menschen – direkt angesteuert. Und genau das wollen wir ihm abtrainieren, da natürlich nicht jeder Mensch gerne von Hunden angeschnuppert werden möchte. Unser Hund hat eine Blindenplakette an seinem Geschirr, was im Zweifelsfall sein Verhalten rechtfertigt. Zickzack mässig scannt er Spazierwege ab. Kennt er einen Weg gut, weil wir ihn oft laufen, braucht es kaum noch Kommandos.
Natürlich kommen wir oft mit anderen Menschen ins Gespräch. Nach dem üblichen «Ach, der Arme» und unserem beschwichtigen «Nei, der kennt es ja nicht anders, der ist ganz glücklich» kommt zu 95 Prozent irgendwann die Frage: «Und der sieht wirklich gar nichts mehr?» Mittlerweile müssen wir darüber schmunzeln und wer weiss, vielleicht würden wir diese Frage ja auch stellen, wenn wir nicht so oft miterleben, würden wie unsere Katze an ihm vorbei- spaziert und er es nicht mitbekommt oder er vor Freude über den angekündigten Spaziergang an uns hochspringen will, uns aber verfehlt. Das sind lustige Momente und wenn wir lachen, dann lacht Mirio mit – denn er spürt, dass es ein liebevolles Lachen und kein Auslachen ist.