Bereits zwei Kirchgemeinden haben den Projektierungskredit für den Pastoralraum «AG 20» abgelehnt. Die Grösse mit sieben Kirchgemeinden bereiten vielen Gläubigen Sorgen. Heute fällt ein wichtiger Vorentscheid. Eine Auslegeordnung.
Martin Linzmeier, Gemeindeleiter in Gipf-Oberfrick, setzt sich für das Foto auf den Stein in der Mitte des Labyrinths bei der Kirche Frick. Er wirkt, trotz Vorweihnachtszeit, die für Seelsorger besonders arbeitsintensiv ist, tiefenentspannt.
Das Foto hat Symbolcharakter. Das Labyrinth steht für die schwierige Suche der Kirche nach dem richtigen Weg in die Zukunft, steht für die Wirrungen um die Pastoralräume, die das Bistum flächendeckend einrichten will. Der Weg in diese Zukunft ist vielerorts steinig, der Widerstand – sei es von Seelsorgern, sei es von Gläubigen – gross.
Martin Linzmeier, einer der Seelsorger im künftigen Pastoralraum «AG 20» und möglicher Projektleiter ebendieses Pastoralraumes, wirkt da wie ein Fels in der Brandung. Dass er von der Idee der Pastoralräume hellauf begeistert ist, wäre übertrieben. Die Seelsorger der sieben Kirchgemeinden, die den Pastoralraum «AG 20» bilden sollen, hätten sich lange gegen die Grösse gewehrt, sagt er im Gespräch. Die heutige Grösse der Seelsorgeverbände wäre eine gute Zielgrösse gewesen, ist er überzeugt.
Solothurn sieht das anders; bei der Grösse des Pastoralraums lässt das Bistum nicht mit sich reden. Nun gibt es grundsätzlich zwei Optionen: schmollen und auf Konfrontations- respektive Verweigerungskurs gehen. Oder: mitarbeiten und das Beste für die Region herausholen.
Linzmeier plädiert für den zweiten Weg. «Das Bistum hat entschieden und nun gilt es, die Zukunft mitzugestalten», sagt er. Arbeite man nicht mit, bestehe zumindest latent die Gefahr, dass das Bistum irgend einmal bestimme, wie es läuft. «Das will ich nicht. Denn im Zentrum müssen die Gläubigen und ihre Bedürfnisse stehen.»
Dass die Schaffung der Pastoralräume, die im Grunde nichts anderes ist als eine kircheninterne Verwaltungsreform, bei vielen Gläubigen auf Skepsis und Ablehnung stösst, versteht Linzmeier. «Niemand hat es gern, wenn sich gewohnte Strukturen verändern», sagt er. Zumal den Pastoralräumen ein Stallgeruch von Seelsorge-Abbau und Bürokratie-Aufbau anhaftet.
In den Gesprächen mit Gläubigen spürt Linzmeier auch eine Angst davor, dass die Kirche unpersönlicher wird, dass im Pastoralraum Kirche vor Ort nicht mehr im gleichen Masse lebbar ist. «Ich höre immer wieder: ‹Wenn der Pastoralraum kommt, haben wir keine Gottesdienste mehr im Dorf›», sagt Linzmeier, blickt aus dem Fenster des kleinen Sitzungszimmers im Pfarrhaus, wo wir das Gespräch führen, auf die Kirche. «Wir Seelsorger werden alles dafür tun, dass es nicht so ist. Wir wollen Seelsorger vor Ort sein und bleiben.»
Aber, klar, das räumt auch Linzmeier ein, die personellen Ressourcen sind beschränkter als auch schon. Dies weniger deshalb, weil das Geld fehlt – davon hat die Kirche (noch) genug –, sondern weil sich immer weniger Menschen berufen fühlen, Seelsorger und insbesondere Priester zu werden. Es sei klar, dass das Bistum auf den Seelsorgermangel reagieren müsse, sagt Linzmeier. Der Weg führt, nicht nur in der Kirche, über die Formel: «Weniger Ressourcen = grössere Zuständigkeitsgebiete».
In der kleinen Bücherwand hinter Linzmeier steht auch ein Handbuch zur Bibel, das eine Hilfestellung zur Lektüre der Bibel sein will, das einen Zugang zu den Texten eröffnen will, die Augen für einen neuen Blick öffnen möchte. «Es wäre fatal, wenn die Kirche vor der Realität einfach die Augen verschliessen würde», sagt er. «Dann wäre sie auf dem Holzweg.»
Auf dem Holzweg, so finden hingegen nicht wenige Gläubige, ist die Kirche gerade mit den Pastoralräumen. Bereits zwei der sieben Kirchgemeinden des künftigen Pastoralraums «AG 20» lehnten den Projektierungskredit ab. Mit dem Geld, gesamthaft 35 000 Franken, soll primär der Projektleiter entlöhnt werden.
Heute Mittwoch folgt die Abstimmung in Frick. Sie wird wegweisend sein, ob das Projekt 2018 überhaupt in Angriff genommen werden kann. Denn sagt die Kirchgemeinde Frick/Gipf-Oberfrick Nein, dann «macht ein Start ins Projekt kaum Sinn», sagt Linzmeier. Dann brauche es eine Pause und einen Neustart. Einen Reset.
Bereits mit dem Nein aus Wittnau und Wölflinswil sei es schwieriger, das Projekt zu starten, räumt Linzmeier ein. «Denn wir steigen in ein Projekt ein, in das sich ein Teil des angedachten Pastoralraums nicht einbringt.» Er sieht zwei Optionen: Entweder man ziehe die beiden Kirchgemeinden von Fall zu Fall bei. Oder «man verschiebt den Projektstart um ein Jahr».
Letzteres hält Linzmeier sogar für unumgänglich, sollte noch eine weitere Kirchgemeinde Nein sagen. Das Risiko für ein Nein ist dabei nicht klein; Linus Hüsser, Präsident der Kirchenpflege Herznach-Ueken, sagte der AZ vor wenigen Tagen, dass er in seiner Kirchgemeinde ebenfalls mit einem Nein rechne.
Ein Grund für das Nein war in Wittnau, dass man für ein Projekt bezahlen soll, aber noch nicht einmal den Projektleiter kenne. Linzmeier relativiert. Zum einen sei klar und auch kommuniziert, dass entweder er oder Bernhard Lindner, Gemeindeleiter in Oeschgen, das Projekt leiten wird.
Zum andern «darf man den Pastoralraum nicht an einzelnen Personen festmachen». Denn irgend einmal seien diese weg – «und der Pastoralraum muss gleichwohl funktionieren». Aber, das räumt Linzmeier auch ein, es wäre sicher einfacher gewesen, wenn der Projektleiter jetzt schon bestimmt wäre. Dies will das Bistum laut Bischofsvikar Christoph Sterkman bis spätestens Ende Jahr tun.
Den zweiten oft gehörten Vorwurf, man stimme über ein Projekt ab, von dem man noch kaum etwas wisse, kann Linzmeier nicht nachvollziehen. «Dazu ist ja gerade das Projekt da: um Klarheit und Entscheidungsgrundlagen zu schaffen.» Über den Pastoralraum selber stimme man erst nach Abschluss dieser Arbeiten ab. Linzmeier vergleicht es mit dem Bau eines Hauses. «Zu Beginn weiss auch kaum jemand bereits, wie er das Wohnzimmer oder die Küche einrichten will.»
Wie schätzt er die Chancen ein, dass die Fricker und Gipf-Oberfricker heute Abend Ja sagen zur Grundrissplanung? «Es wird kritische Stimmen geben», ist er überzeugt. Er rechnet allerdings gleichwohl mit einer Zustimmung zum Projektierungskredit.
Linzmeier lässt die Fotoprozedur im Labyrinth stoisch über sich ergehen, lächelt zwischendurch. Einen Wunsch habe er, sagt er dann. «Dass die Diskussion weniger emotional geführt wird.» Es dürfe nicht sein, dass man die Zusammenarbeit, die man heute habe – gerade auch mit Wittnau und Wölflinswil – und die bestens funktioniere, aufs Spiel setze. «Wir dürfen nicht Gräben aufreissen, wo heute keine sind.»
Man müsse den Weg gemeinsam gehen – von aussen nach innen, in die Mitte, ins Ziel. Manche Vorstellungen werden sich dabei als nicht umsetzbar erweisen, manche Wege als nicht zielführend. Wie im Labyrinth.