Mehr als 50'000 Liegenschaften in der Schweiz gelten als Minergie-zertifiziert. Eine in Kaiseraugst gehört aus Sicht des Bezirksgerichts Rheinfelden jetzt nicht mehr dazu. Es entschied, dass der Schweizer Baustandard dafür nicht gelten kann. Freuen über die Rückerstattung eines Teils seines Mietzinses kann sich ein dort wohnender Mieter. Und das Urteil könnte weitere Zahlungen nach sich ziehen.
Sechseinhalb Jahre Dauer, mehrere Bundesordner Akten – was am Bezirksgericht Rheinfelden jetzt zu Ende ging, war ein Mammutverfahren, das 2015 begonnen hatte und jetzt ein Urteil fand.
Der Kläger darf sich über 8250 Franken freuen, die Summe, die er in den Augen des Bezirksgerichts für die Zeit bis Klageerhebung zu viel an Miete für seine Kaiseraugster Wohnung bezahlt hat. Als er im Juli 2010 in diese eingezogen war, verfügte die Liegenschaft, eine Grossüberbauung mit rund 100 weiteren Wohnungen, noch über das Minergie-Standard-Label, verlor dieses aber 2014.
Ein Gutachter hatte festgestellt, dass das Lüftungssystem nicht den Anforderungen entsprach. Die Vermieterschaft, ein Schweizer Versicherungskonzern, behauptete indes, die Minergie-Aberkennung sei zu Unrecht erfolgt. Sie bestritt das Vorliegen eines Mangels und lehnte die Forderungen des Mieters ab.
So kam es am 24. November 2021, sechseinhalb Jahre nach Klageerhebung, zur Verhandlung des Falls vor dem Bezirksgericht Rheinfelden. Inzwischen ist es zu einem Urteil gekommen, wie die «Basler Zeitung» berichtet. Und das gibt dem Kläger im Grundsatz recht. Der aberkannte Minergie-Standard stelle einen Mangel dar und der verlangte Mietzins für die Wohnung sei dementsprechend zu hoch.
Der Kläger hatte eine Mietzinsreduktion von acht Prozent geltend gemacht. Das Bezirksgericht indes gewährte fünf Prozent, total 8250 Franken. Warum das Gericht die Forderung nicht voll anerkannte, begründet es auf AZ-Anfrage nicht. Zunächst werde das den Parteien gegenüber in einer schriftlichen Urteilsbegründung erläutert. Diese auszuformulieren, werde wohl mehrere Wochen dauern.
Doch auf die beklagte Partei kommen neben den 8250 Franken noch weitere Zahlungen zu: 25'000 Franken Gerichtskosten und das Honorar des Klägeranwalts über 16'000 Franken.
Und womöglich könnte es für die Vermieterschaft finanziell noch dicker kommen. Denn beim vorliegenden Fall handelt es sich um ein Pilotverfahren. In der gleichen Angelegenheit sind bei der am Bezirksgericht Rheinfelden angesiedelten Schlichtungsstelle noch etwa 30 weitere Verfahren sistiert. Diese könnten weitere Zahlungen nach sich ziehen. Voraussetzung wäre, dass das Urteil des Bezirksgerichts rechtskräftig ist. Doch Klägeranwalt Andreas Béguin aus Basel sagt:
«Ich gehe davon aus, dass die Gegenseite das ans Obergericht weiterzieht.»
Dazu hat sie 30 Tage nach Zustellung der schriftlichen Urteilsbegründung Zeit. Ob sich daraus, dass die fragliche Liegenschaft in Kaiseraugst total rund 100 Wohnungen umfasst, weitere Forderungen ergeben könnten, bleibt für Béguin abzuwarten. «Das kommt darauf an, wie die Mietverträge formuliert sind, ob der Minergie-Standard darin explizit beworben ist», sagt er.
Beat Leuthardt vom Basler Mieterinnen- und Mieterverband begrüsst das Urteil des Rheinfelder Bezirksgerichts. Er sagt:
«Ich bin ich froh und dankbar darum, dass eine erste gerichtliche Klärung zu Gunsten der benachteiligten Mietparteien stattgefunden hat.»