Startseite
Aargau
Fricktal
Der iranische Künstler Reza Saba lebt im Asylzentrum – und stellt nun seine Werke aus.
Anfang Advent findet im reformierten Kirchgemeindehaus Kaiseraugst eine Ausstellung statt. Einer der Ausstellenden ist Reza Saba, ein iranischer Künstler, der zurzeit im hiesigen Asylzentrum lebt. Wir treffen uns spätabends im Pfarrhaus zum Gespräch. Die Verständigung erfolgt teils in Englisch, teils in unseren Muttersprachen, Farsi und Deutsch, mittels einer iranischen Übersetzerin.
Saba kam 1962 zur Welt, wuchs mit vier Geschwistern in Teheran auf, städtisch, mittelständisch, liberal. Der Vater war Offizier unter dem Schah, später Beamter im Bereich Import-Export. Reza Saba, dessen Name an den Schah sowie an einen bedeutenden schiitischen Imam erinnert und übersetzt «Zufriedenheit» bedeutet, hatte eine glückliche Kindheit, er wollte immer nur zeichnen, erzählt er. Statt Hausaufgaben zu machen, kritzelte er Zeichnungen ins Heft.
Dann, 1979, kamen die Mullahs. Saba ahmt mit seinen Händen einen langen Bart nach. Zur Zeit der Revolution Khomeinis war er 17 Jahre alt. Zwei Jahre lang war er Soldat im Krieg gegen den Irak, glücklicherweise nicht an der Front, sondern am Telefon. Die Universität war in jener Zeit geschlossen. Als er endlich studieren konnte, wurde sein Talent bald entdeckt.
Er wurde Assistent des Professors, bald hielt er eigene Vorlesungen. Und er arbeitete für Zeitschriften – für die renommierten Zeitschriften jener Zeit, ergänzt die Übersetzerin. Seine Arbeiten waren provokativ. Auf einem Cover ist im Hintergrund ein antikes Mosaik zu sehen. Es symbolisiert die uralte persische Geschichte. Darin Krawatten, Symbole einer säkularen, weltoffenen Gesellschaft. Und auf alles drauf ein schwarzer Fussabdruck. Hier, so lautet die nicht zu übersehende Botschaft des Bildes, werden Kultur und Geschichte eines Landes mit Füssen getreten, zerstampft.
«Zukunft des Irans» lautete der Name der Zeitschrift. Nach der Ausgabe mit besagtem Cover wurde das Büro gestürmt, die Redakteure wurden festgenommen, Reza Saba, der Illustrator, befand sich zufällig zu Hause. Er flüchtete in die Türkei. Doch all dies war nur ein Vorspiel. Sein wirkliches Problem ist ein religiöses. Ein Intimes, Persönliches. Seit drei Jahrzehnten ist er Mitglied eines Sufi-Ordens.
Der Sufismus ist die mystische Ausprägung des Islam. Er befasst sich statt mit dem Äusseren mit dem Inneren des Menschen. Saba beschreibt den Unterschied zwischen einem Sufi und einem Mullah so: Der Sufi versucht, Kontrolle über sich selber zu gewinnen. Der Mullah kontrolliert die anderen. Wenn alle Menschen lernen würden, sich selber zu kontrollieren, wäre die Welt eine bessere, ist Saba überzeugt. Die Kritik des Sufismus an den Mullahs ist scharf.
Sufis sind stille Leute. Sie treffen sich in ihren Gebetshäusern, lesen Gedichte – zum Beispiel jene des grossen persischen Mystikers Rumi, der auch hierzulande bekannt ist –, praktizieren Dhikr, eine Form von Meditation. Doch eben das wird von den Mullahs als Bedrohung erlebt. In regelmässigen Abständen berichtet Amnesty International von der Zerstörung von Versammlungsorten der Sufis, von Prügel- und Haftstrafen für Anhänger dieser religiösen Richtung.
Reza Saba würde im Iran lebenslänglich Gefängnis drohen. Grund dafür sind Gemälde, die er von Rumi und anderen Sufi-Meistern gemalt hat. Sie wurden bei der Räumung des Gebetsraums seines Ordens gefunden. Inzwischen hat er sich auch über die sozialen Medien zu seiner Zugehörigkeit zum Sufismus bekannt. Als einer seiner Glaubensbrüder inhaftiert wurde, sagte er in einem auf Facebook publizierten Video, wenn der Sufismus ein Verbrechen sei, dann sei auch er ein Krimineller. Das Video ist schon mehrere zehntausend Mal angeklickt worden.
Reza Saba lebt im Asylzentrum Kaiseraugst. Er flüchtete damals, 2015, als die Balkanroute noch nicht durch Grenzzäune gesperrt war, aus der Türkei über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Österreich in die Schweiz. Ein Afghane, den er unterwegs kennen gelernt hatte, empfahl ihm, in der Schweiz und nicht in Deutschland Asyl zu beantragen. Von Yverdon wurde er in den Aargau verlegt, ein Freund nach Zürich. Vieles ist zufällig. Das Leben hier sei «not good, not bad», sagt Reza. Er würde sich wünschen, dass er arbeiten könnte. Reza liebt seine Arbeit, doch derzeit könne er nur malen, wenn seine Zimmergenossen schlafen.
Also bricht er um Mitternacht von unserem Interview auf. Ich bleibe zurück mit der Übersetzerin, einer mit mir befreundeten iranischen Chemikerin. Ich frage sie nach ihren Gedanken zum Gespräch. Sie sagt, sie sei froh, Chemie studiert zu haben. Das habe nichts mit Religion zu tun, ihre Wege haben sich nicht mit jenen der Mullahs gekreuzt, jene von Reza Saba schon. Dass politisch-kritische Bilder wie jenes mit dem Fussabdruck ihn weniger gefährden als ein intimes Porträt von Rumi, das erschüttere sie. Und dass Saba im ganzen Spektrum von Öl- und Wasserfarben, Bleistift und Acryl, Photoshop und CorelDraw ein grosser Künstler sei, das sei für sie gar keine Frage.
*Andreas Fischer ist Pfarrer der Reformierten Kirchgemeinde Rheinfelden-Kaiseraugst-Magden-Olsberg