Das grosse Doppel-Interview
Fredy Böni: «Es war extrem. Das ging bis zu Morddrohungen»

Zwei Gemeinden, zwei Welten: Franco Mazzi und Fredy Böni über Rivalitäten, Mentalitätsunterschiede, den Stadt-Land-Graben, Betroffenheitspolitik – und darüber, wie die sozialen Medien die Hemmschwelle herabsetzen.

Thomas Wehrli
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Zwischen ihren Gemeinden besteht eine «sportliche Rivalität»: Der Rheinfelder Stadtammann Franco Mazzi (links) und der Möhliner Gemeindeammann Fredy Böni.

Zwischen ihren Gemeinden besteht eine «sportliche Rivalität»: Der Rheinfelder Stadtammann Franco Mazzi (links) und der Möhliner Gemeindeammann Fredy Böni.

Thomas Wehrli

Möhlin und Rheinfelden sind Nachbargemeinden. Was hätten Sie, Herr Mazzi, gerne von Möhlin?

Franco Mazzi: Wir sind schon lange neidisch auf den Ausdruck «Möhlin-Jet». (Lacht.) Im Ernst: Mich beeindruckt das Vereinsleben in Möhlin und auch die Flächen, die Möhlin hat.

Was nähmen Sie gerne von Rheinfelden, Herr Böni?

Fredy Böni: Uns fehlt ein Zentrum. Wir haben zwar mehrere kleinere Zentren, aber ein wirkliches Zentrum gibt es im Dorf nicht. In Rheinfelden geht man in die Altstadt, wenn man sich treffen will. Wir haben keinen solchen Treffpunkt. Je mehr Restaurants schliessen, desto mehr akzentuiert sich die Situation. Wir sind derzeit daran, ein Zentrum beim Gemeindehaus zu planen.

Ein Zentrum, wie es eine Altstadt ist, gibt einem Ort ein Gesicht. Ist Möhlin gesichtslos?

Böni: Nein, sicher nicht. Die Vereine fangen einen grossen Teil auf. Sie geben Möhlin ein Gesicht und vermitteln ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Dennoch: Etwas neidisch bin ich schon auf die Rheinfelder Altstadt.

Und wohl auch auf die Finanzen der Stadt.

Böni: (Lacht.) Ich würde nicht Nein sagen, wenn mir Rheinfelden etwas von seinem Vermögen abtreten würde. Mit einer vollen Kasse lässt es sich leichter politisieren und gestalten.

Mazzi: Das ist so. Nur: Rheinfelden war auch nicht immer auf Rosen gebettet. Wir hatten 1996 in Rheinfelden rund 60 Millionen Schulden, 2003 waren es immer noch 30 Millionen.

Heute hat die Stadt ein Vermögen von rund 60 Millionen Franken. Was ist das Rezept?

Mazzi: Wesentlich war das Wachstum. Wir haben heute rund 2000 Einwohner mehr als vor zehn Jahren. Das heisst: Der Steuerertrag ist in dieser Zeit um rund sechs Millionen gestiegen. Zudem ging es unseren Unternehmen in den letzten Jahren gut, was sich positiv auf die Aktiensteuern ausgewirkt hat.

Dann ist der Erfolg von aussen gemacht?

Mazzi: Nein, wir haben selber viel dazu beigetragen. Wir haben in den letzten zehn Jahren in sämtlichen Abläufen Effizienzsteigerungen erzielt. Das half uns, dass wir das Wachstum mit den bestehenden Strukturen auffangen konnten. Das spart viel Geld.

Wieso gab es diese Dynamik in Möhlin nicht im gleichen Mass?

Böni: Wir vergleichen uns laufend mit anderen Agglomerationsgemeinden von Aargauer Städten. Dabei sieht man durchgehend, dass die Steuerkraft pro Einwohner in den Gemeinden um die Städte deutlich tiefer ist als in den Städten. Städte sind Anziehungspunkte für «Besserverdienende». Wir haben einen Steuerertrag von rund 2300 Franken pro Einwohner, Rheinfelden einen solchen von rund 3000 Franken. Bei 11 000 Einwohnern ergibt das schon einen Minderertrag von 7,7 Millionen. Zudem erzielen unsere Unternehmen nicht die gleich hohe Wertschöpfung wie jene in Rheinfelden. Franco Mazzi beneidet uns um die Flächen. Es ist schön, diese zu besitzen, eine «grüne Lunge» zu haben – aber sie kosten uns auch viel. Wir müssen 70 Kilometer geteerte und 115 Kilometer nicht geteerte Strassen unterhalten und haben ein ausgedehntes Wasser- und Abwasserleitungssystem. Der Kostenblock ist entsprechend höher als in einer kompakten Stadt.

Fühlt man sich in Möhlin als Agglomeration von Rheinfelden?

Böni: Nein, wir betrachten uns als Agglomerationsgemeinde des Raumes Basel. Das Wachstum, das wir beide haben, also Möhlin wie Rheinfelden, verdanken wir zu einem guten Teil auch Basel. Im Unterschied zu Rheinfelden, das schon immer städtisch war und auch so gedacht hat, ist Möhlin von einem Bauerndorf mit 4000 Einwohnern zu einer Gemeinde mit 11 000 Einwohnern gewachsen. Die Zuzüger haben ein anderes Denken als die Einheimischen. Das spürt man, es fehlt oft eine Identität mit dem Dorf. Der Wandel war dabei derart rasant, dass die einheimische Bevölkerung fast nicht mehr mitgekommen ist. Deshalb tauchen auch immer wieder Wachstums-Ängste auf. Ein Teil der Bevölkerung kann noch nicht akzeptieren, dass wir heute eine Grösse haben, in der man automatisch städtische Züge bekommt, sei es bei der Bauart, sei es bei der Ausnützung der Parzellen.

Man spricht immer wieder von einem Mentalitätsunterschied zwischen Stadt und Land? Gibt es diesen?

Mazzi: In Rheinfelden ist man seit je ein Städtli-Bewohner. Darauf ist man stolz, auch darauf, Bezirkshauptort zu sein. Man ist ein Städter, denkt städtisch und damit vielleicht etwas unabhängiger als in den umliegenden Dörfern. Das macht die Identität aus. Wir unterstützen dies, indem wir immer gesagt haben: Für uns kommt kein anderer Verwaltungssitz infrage als das alte, historische Rathaus. Die Investitionen ins Rathaus waren zu einem guten Teil Investitionen in die Identität.

Ist Rheinfelden weltoffener als die umliegenden Landgemeinden?

Mazzi: In gewisser Weise schon. Man sieht das sehr gut bei den Abstimmungen. Rheinfelden stimmt eher wie die Städte, also weltoffener, die umliegenden Gemeinden eher konservativer. Die Mentalitätsunterschiede ergeben sich aus der unterschiedlichen Entwicklung der beiden Orte heraus.

Böni: Das ist so. Ich beobachte daneben noch ein weiteres Phänomen: Wir haben viele Zuzüger aus Basel. Diese stimmen anders als die Ur-Möhliner, deutlich linker. Heute sind wir deshalb Trendsetter bei kantonalen Abstimmungen.

Mazzi: Diese Beobachtung mache ich auch. Oft kommt es bei kantonalen Abstimmungen so heraus, wie Möhlin stimmt. Bei nationalen dagegen so, wie wir Rheinfelder stimmen.

In Möhlin treffen neue und alte Welt, städtische Zuzüger und ländliche Dorfbewohner aufeinander. Hat das Konfliktpotenzial?

Böni: Jein. Es ist eine Frage der Integration. Wir haben über 100 Vereine und viele Zuzüger integrieren sich via Vereine. Es gibt aber auch einen guten Teil, die nur hier leben und sich nicht weiter integrieren wollen. Ihr Lebensmittelpunkt ist nach wie vor die Stadt, also Basel. Manchmal gibt es Reibungspunkte, aber auch Koalitionen, wie bei der letzten Gemeindeversammlung, wo viele Neuzugezogene zusammen mit alten Einheimischen gegen ein weiteres Wachstum stimmten.

Es sind doch oft gerade die Zugezogenen, die gegen eine weitere Öffnung sind.

Böni: Das ist so. Ihr Argument: Wir sind nach Möhlin gezogen, weil wir den städtischen Kontext verlassen wollten. Wir wollen nun keine neuen Bauten neben uns.

Mazzi: Bei uns ist das etwas anders. Nicht wenige Zuzüger kamen nach Rheinfelden, weil sie urban wohnen wollen. Sie suchen nicht primär die Grünflächen, sondern den Komfort einer Stadt mit einer guten Anbindung an den öffentlichen Verkehr und einer guten Infrastruktur.

Rheinfelden hat die Altstadt als Markenzeichen. Sie ist schön, kostet aber auch. Ist sie mehr Fluch oder Segen.

Mazzi: Klar mehr Segen. Sie ist unser Identifikationsmerkmal. Wenn jemand zu Besuch kommt, führt der erste Weg meist in die Altstadt und an den Rhein.

Sie dürfen eine Stärke Ihrer Gemeinde nennen. Welche nennen Sie?

Mazzi: Die Lage zwischen Zürich und Basel mit ihrer guten Verkehrsanbindung.

Böni: Die Familienfreundlichkeit und Offenheit unseres Dorfes.

Grössere Gemeinden delegieren die Einbürgerungen immer häufiger an den Gemeinderat. Rheinfelden hat diesen Schritt vor zwei Jahren gemacht. Weshalb Möhlin nicht?

Böni: Möhlin ist konservativer als Rheinfelden, viele wählen SVP. Es ist vielen Einwohnern deshalb wichtig, so viele Rechte wie möglich direkt beim Bürger zu behalten, egal, ob das – wie bei den Einbürgerungen – fast nur noch eine Farce ist. Hier kann die Gemeindeversammlung seit einem Bundesgerichtsentscheid praktisch nicht mehr Nein sagen. Ich gehe aber davon aus, dass sich dies in den nächsten Jahren ändern wird und irgendwann ein Einwohner, wie es in Rheinfelden war, aufsteht und den Antrag stellt, die Einbürgerungen an den Gemeinderat zu delegieren.

Mazzi: Ich kann es nur empfehlen. Es entschlackt die Gemeindeversammlung gewaltig und schafft Raum für zentrale Geschäfte. Das System funktioniert sehr gut. Uns war es wichtig, dass sich trotzdem jeder Bürger äussern kann. Das ist mit der Ausschreibung der Gesuche sichergestellt.

Beide Gemeinden haben über 10 000 Einwohner. Ich schlage einen Einwohnerrat vor. Was würden die Möhliner davon halten?

Böni: (Lacht.) Wenig. Ein solcher Vorschlag würde garantiert abgelehnt. Denn auch das wäre ein Abbau der direktdemokratischen Rechte und das wollen die Möhliner nicht. Selbst in Rheinfelden wurde ein Einwohnerrat ja inzwischen bereits dreimal verworfen. Ich glaube auch nicht, dass es politisch Sinn macht, denn die Parteien verlieren laufend an Einfluss. An ihre Stelle treten oft Interessengemeinschaften, die sich von Thema zu Thema bilden. Das System Einwohnerrat aber basiert auf festen Parteistrukturen.

Weshalb wurde ein Einwohnerrat in Rheinfelden dreimal verworfen?

Mazzi: Menschen wollen dann eine Veränderung, wenn etwas nicht funktioniert. Rheinfelden funktioniert recht gut und eine Mehrheit sagte deshalb jedes Mal: Nein, es braucht keine Veränderung.

Stört aber nicht, dass nur ein bis zehn Prozent an die Gemeindeversammlung gehen und somit jeder Entscheid ein Minderheitsentscheid ist?

Mazzi: Natürlich wäre es schön, wenn mehr Einwohner an die Gemeindeversammlung kämen. Aber es kommen jene, die sich für die Politik interessieren und mit den Themen befassen. Bei denen, die fernbleiben, gibt es zwei Gruppen: Die einen sagen: «Die machen eh, was sie wollen.» Dies ist die schlechtere Variante. Die bessere: «Die machen das schon recht.» Ich denke, auch das dreifache Nein zum Einwohnerrat zeigt, dass es für die meisten kein Bedürfnis ist, etwas zu ändern.

Böni: Zudem haben wir ja im Schweizer System das Korrektiv des Referendums.

Mazzi: Rheinfelden ist hier ein Beweis dafür. Wenn eine Gruppierung das Gefühl hat, ein Entscheid sei falsch, sammelt sie Unterschriften und die Frage wird an der Urne entschieden. Das war in den letzten zehn Jahren drei- bis viermal der Fall.

Häufig geht dies unter die Rubrik: «Betroffenheitspolitik». Eine gute Entwicklung?

Böni: Die Politik ist unberechenbarer geworden – und dabei spielen die sozialen Medien eine wesentliche Rolle. Innert kurzer Zeit können über diese Kanäle viele Leute mobilisiert werden. Das macht das Politisieren nicht einfacher, rein schon organisatorisch. Zum Teil hört man bis kurz vor einer Gemeindeversammlung nichts aus der Bevölkerung und rechnet mit einer normalen Teilnahme, die in Möhlin bei rund 300 Einwohnern liegt. Dann geht die Post über die sozialen Kanäle ab und es kommen 600 Leute.

Die Betroffenheitspolitik ist auch Ausdruck der Ich-Gesellschaft. Man engagiert sich nicht mehr für die Gemeinschaft, sondern nur noch dann, wenn es um persönliche Interessen geht. Beunruhigt Sie diese Entwicklung?

Mazzi: Es macht es nicht einfacher, dass viele heute nicht mehr für das Gesamte, sondern nur noch für sich selber denken. Für die Gesellschaft ist diese Entwicklung schlecht.

Böni: Auch für die Arbeit, die man leistet. Es braucht extrem viel Vorarbeit, um ein Projekt überhaupt an die Gemeindeversammlung bringen zu können. Wenn, wie bei uns, eine Mehrheit vor fünf Jahren sagt: Der alte Sportplatz muss überbaut werden und eine W3-Zone bewilligt und dann fünf Jahre später eine Mehrheit sagt: Nein, das wollen wir nun nicht, dann schafft das Probleme. Man hat eine Zielrichtung, arbeitet im Auftrag der Bevölkerung – und wird dann plötzlich durch Interessensgemeinschaften ausgebremst. Natürlich: Der Bürger hat immer recht. Aber manchmal schmerzt es und macht einen nachdenklich: Wie weit geht das noch.

Mazzi: Im Moment, so habe ich das Gefühl, herrscht im ganzen Land, nein: auf der ganzen Welt eine negative Stimmung. Ich höre immer wieder Stimmen, die sagen: «Jetzt geht alles bergab.» Dem ist nicht so, denn es ging uns noch nie so gut wie heute. Aber das Gefühl ist anders. Das hängt auch mit dem Konsumverhalten der Medien zusammen. Viele springen nur noch von Schlagzeile zu Schlagzeile, die oft unerfreulich sind. Das befeuert eine negative Grundstimmung.

Diese negative Stimmung bekommen auch Politiker zu spüren. Heidi Wanner trat im Juli nach 14 Jahren als Gemeindeammann von Koblenz zurück. Sie sagte, der Umgangston sei ihr zu rau geworden. Ist dem so?

Mazzi: Ich hatte wenige negative Begegnungen. Natürlich gibt es immer einzelne Exponenten, die sich im Ton vergreifen. Aber damit kann ich umgehen.

Böni: Wir hatten in den letzten Jahren viele heikle Themen wie die Zonenplanung. Die Belastung war immens. Ich bekam viele verletzende und drohende Mails und auch Briefe nach Hause, die dann oft meine Familie öffnete. Das war extrem. Das ging bis zu Morddrohungen. Auch jetzt, als es um den Verkauf des ehemaligen Sportplatzes ging, gab es viele böse Mails, auch mit Anschuldigungen gegen mich und den Gemeinderat.

Welche Rolle spielen da die sozialen Medien?

Böni: Sie haben die Hemmschwelle heruntergesetzt, auszuteilen. Es sind Wellen, die hochbranden, wenn es um heikle Geschäfte geht. Bei nicht heiklen Geschäften bleibt es auch bei uns ruhig.

Wie geht man mit einer solchen Belastung um?

Böni: Es kommt immer wieder die Überlegung: Brauche ich das? Muss ich mir das antun? Je grösser die Anfeindungen sind, desto mehr macht man sich diese Überlegungen. Dann kommt natürlich auch der Druck von innen dazu, von der Familie, die genau die gleiche Frage stellt: Warum tust Du Dir das an? Die Familie leidet mit.

Muss man das als Politiker in Kauf nehmen?

Böni: Ein stückweit, ja. Es ist Teil des Politalltags, auch etwas aushalten zu können. Sonst ist man am falschen Ort. Es ist ein Wechselspiel. Wir sind als Gemeindeammänner auch Vorbilder. Einerseits für die Bevölkerung, andererseits für die Mitarbeiter. Sie haben Vertrauen zu einem. Kommt hinzu: Ob man sich durchbeisst oder den Bettel hinschmeisst, wenn man auf Widerstand stösst, ist eine Frage des Typs. Ich bin nicht der Typ, der sich ins Bockshorn jagen lässt – auch wenn es schmerzt. Ich habe immer gesagt: Ich trage eine Art kugelsichere Weste. Ich spüre die Kugeln zwar, aber sie verletzen mich nicht. Das hat inzwischen aber ein Mass angenommen, bei dem die Verletzungen spürbar sind.

Welche Rolle spielen hier die modernen Kommunikationsmittel wie Mail oder SMS?

Böni: Eine grosse. Aus dem Nichts heraus bildete sich beispielsweise die Interessengemeinschaft Leigrube, die verhindern will, dass in der Leigrube weitere Häuser gebaut werden. Die IG hatte innert kürzester Zeit eine Website erstellt und Visualisierungen angefertigt, die zeigen, wie die Leigrube aussehen könnte, wenn sie überbaut ist. Die Zeichnungen stimmten zwar nicht. Gewirkt hat es trotzdem: Viele Leute sahen die Visualisierungen und sagten: Nein, so will ich das aber nicht, so war das nicht gedacht. Die Gruppierungen können sich heute viel schneller, viel professioneller organisieren, um etwas zu verhindern. Das haben die modernen Geräte mit sich gebracht.

Die Welle kann aus dem Nichts auf einen zukommen, wie auch die Deponie Wäberhölzli zeigte.

Mazzi: Ich hatte keine Mühe damit. Für mich lag das, was die Gegner gemacht haben, im Rahmen dessen, was machbar und auch legitim ist. Ich empfand das nicht als schlimm, auch wenn die eine oder andere Äusserung in Leserbriefen, sagen wir mal: sehr pointiert war.

Rheinfelden und Möhlin sind Nachbarn. Beide wollen möglichst viele möglichst gute Steuerzahler anlocken. Ist man da eher Rivale oder Partner?

Mazzi: Unsere politischen Vorfahren waren eher Rivalen. Doch inzwischen haben beide Gemeinden erkannt, dass wir zusammenarbeiten müssen, wenn wir wollen, dass es uns gut geht. Ich sehe unser Verhältnis als sportliche Rivalität, wobei beiden Gemeinden bewusst ist, dass wir wirklich grosse Projekte nur zusammen stemmen können.

Böni: Dem ist so. Es ist natürlich auch eine Frage der Köpfe. Ist man sich sympathisch und versteht man sich, ist die Zusammenarbeit einfacher. Das ist bei Franco und mir der Fall. Wir sehen beide Vorteile in der Zusammenarbeit.

Hat man aber nicht gleichwohl stets im Hinterkopf, dass einen der andere übervorteilen könnte?

Böni: Als ich vor bald zwölf Jahren mein Amt antrat, sagte ich: Wir können Rheinfelden nie kopieren. Wir müssen unseren eigenen Weg finden in der Identität und der Entwicklung. Das haben wir auch versucht. Die Zusammenarbeit beschränkt sich dabei nicht auf den formellen Bereich, wir besuchen uns gegenseitig und lernen voneinander. Wir sind die beiden einwohnerstärksten Gemeinden im Fricktal. Wir tragen somit auch eine Verantwortung für die ganze Region.

Mazzi: Wir konnten auch schöne und wichtige Projekte gemeinsam realisieren. Sei es die Planung der Pflegeheime, die wir sogar fricktalweit koordiniert haben. Oder die gemeinsame Spitex, die wir realisiert haben.

Böni: Auch die Regionalpolizei ist ein gutes Beispiel, dass die Zusammenarbeit funktioniert. Diese haben wir vor rund zehn Jahren als gemeinsames Projekt umgesetzt. Noch vor 30 Jahren wäre eine solche Errungenschaft kaum möglich gewesen. Da hätte sich auch Möhlin gesträubt und auf einer eigenen Dorfpolizei beharrt.

Wo sind die Grenzen der Zusammenarbeit?

Mazzi: Wir haben im Rahmen des Raumentwicklungskonzeptes Fricktal einige Grundsätze angeschaut. Ein zentraler lautet: Die Zusammenarbeit macht nur dann Sinn, wenn sich daraus Kooperationsgewinne ergeben. Und: Eine Zusammenarbeit funktioniert nur dann, wenn diese Kooperationsgewinne auch korrekt verteilt werden. Das ist eigentlich schon das Geheimnis: Man soll dann zusammenarbeiten, wenn daraus für alle ein Mehrwert oder eine Verbesserung resultiert. Mit diesem Grundsatz beschränken sich Kooperationen auf Projekte, die allen etwas bringen und bei denen man sich einigt, wer wie viel des Kooperationsgewinns bekommt.

Die grösstmögliche Kooperation wäre eine Fusion der beiden Gemeinden. Kann das je zum Thema werden?

Mazzi: (Lacht.) Als Spruch höre ich es ...

Böni: ... Ja, an der Fasnacht (lacht ebenfalls). Unmöglich ist nichts, das zeigt ein Blick in die nähere Geschichte. Allein in den letzten 10, 20 Jahren gab es tiefgreifende Veränderungen. Auch in der gegenseitigen Zusammenarbeit. Wir haben ein Projekt aus der Raumentwicklung, bei dem wir den Raum rund um den Bahnhof Möhlin – auch im Auftrag des Kantons – entwickeln dürfen und müssen. Wenn man dieses gemeinsame Projekt anschaut, dann wachsen Rheinfelden und Möhlin schon ein Stück weit zusammen. Da werden auch wieder Ängste aufkommen, die genau das thematisieren.

Mazzi: In den nächsten 20 oder 30 Jahre wird eine Fusion kein Thema sein. Wir beide werden das nicht mehr erleben.

Böni: Davon bin ich auch überzeugt. Wir haben gewachsene Strukturen, die Sinn machen und die auch Ausdruck von Identität sind. Gemeinde-Sein hat viel mit Emotionen zu tun. Ich denke, weder die Möhliner noch die Rheinfelder würden heute einem Zusammenschluss zustimmen. Klar ist aber auch: Würde man die Region heute neu auf dem Reissbrett zeichnen, sähen die Gemeinden anders aus.

Mazzi: Das sieht man auch bei anderen Gemeinde-Paaren, Wettingen und Baden beispielsweise. Wettingen betont, dass es ein Dorf ist und auch bleiben will; Baden dagegen ist seit je eine Stadt. Den Wechsel von der einen in die andere Gemeinde merkt man nur noch, weil man eine Ortstafel passiert. Die beiden Gemeinden sind zusammengewachsen. Dennoch ist auch hier ein Zusammenschluss kein Thema.

Wo stehen Möhlin und Rheinfelden in 20 Jahren?

Böni: Wir werden uns, langsamer als in der Vergangenheit, weiterentwickeln und weiter wachsen. Wir werden den Namen «Dorf» behalten, aber wir werden in 20 Jahren eine moderne, attraktive Agglomerationsgemeinde des Grossraums Basel sein.

Mazzi: Wir werden 2000 oder 3000 Einwohner mehr haben, die in modernen Bauten wohnen werden. Sonst wird es keine wesentlichen Änderungen geben. Rheinfelden bleibt Rheinfelden, einfach grösser.