Michael Derrer ist Laienrichter aus Überzeugung. Mit einem Verband kämpft er für den Erhalt des Amtes.
Michael Derrer ist gut gelaunt. Dazu hat der Rheinfelder Laienrichter auch allen Grund: Seinem Aufruf, einen Verband Schweizerischer Laien- und Fachrichter zu gründen, sind bislang 75 Richter gefolgt. Am Samstag wird der Verband gegründet – in Rheinfelden, natürlich.
Der Verband soll das Laienrichteramt stärken, es weiterentwickeln – und vor allem sichern. Die Alarmglocken läuteten bei Derrer vor gut einem Jahr. Da beschloss der Kanton Zürich, seine Laienrichter abzuschaffen. Und auch die Aargauer Regierung stellte zeitweilig ähnliche Überlegungen an.
Der 49-Jährige dagegen ist überzeugt: Die Laienrichter braucht es – und sie sparen sogar Geld. Weil Berufsrichter teurer sind und weil die Laienrichter aus der Berufspraxis kommen. «Dank diesem beruflichen Know-how haben sich die Gerichte schon manch eine teure Expertise gespart», ist er überzeugt.
Michael Derrer ist Laienrichter mit Herz und Seele. «Ich identifiziere mich stark mit dieser Rolle», sagt er. Zwei bis drei Tage im Monat ist er als Laienrichtiger im Einsatz. Daneben arbeitet er als Unternehmensberater für Osteuropa, Dolmetscher und Wirtschaftsdozent.
Michael Derrer: Das grosse positive Echo – nicht nur aus dem Kanton Aargau, sondern aus der ganzen Schweiz – auf die Ankündigung der Gründung des Verbands Schweizerischer Laien- und Fachrichter zeigt, dass der Bedarf nach einem solchen Verband latent vorhanden war.
Es freut mich natürlich, dass wir nach nur drei Monaten bereits so viele Mitglieder in unseren Reihen wissen. Täglich gehen weitere Anmeldungen ein, aus allen Ecken unseres Landes. Aber von Vorschusslorbeeren halte ich nicht viel. Zufrieden sein kann ich erst dann, wenn wir konkrete Resultate unserer Verbandstätigkeit vorweisen können. Fragen Sie doch in zwei Jahren nochmals nach (lacht).
Laien- und Fachrichter hatten bisher kein Organ, das ihre Interessen vertritt und kein Forum, in dem sie ihre Ansichten einbringen und ihre Bedürfnisse diskutieren konnten. Der neue Verband erlaubt den Erfahrungsaustausch unter den Laien- und Fachrichtern und die Organisation geeigneter Weiterbildungsangebote für die Mitglieder. Kurzfristig geht es jedoch darum, der Tendenz Einhalt zu gebieten, dass das Laienrichteramt in weiteren Kantonen infrage gestellt wird.
Die Tatsache, dass die Aargauer Regierung die Prüfung der Abschaffung der Laienrichter ins Programm der möglichen Sparmassnahmen aufgenommen hatte, zeugt davon, dass diese urschweizerische Institution den Politikern nicht heilig ist. Nach der Abschaffung des Laienrichteramts im Kanton Zürich vor einem Jahr wird behauptet, Laienrichter wären auch in anderen Kantonen nicht mehr zeitgemäss.
In der Politik wird halt oftmals oberflächlich argumentiert. Leider weiss kaum jemand, dass das vormalige Zürcher System ein anderes war, als es in den meisten Kantonen besteht, da Laienrichter dort als Einzelrichter funktionierten. In anderen Kantonen ist dies die Ausnahme. In der Regel beurteilen Laienrichter einen Fall in einem Gremium unter dem Vorsitz eines Berufsrichters, der die Bandbreite der rechtlichen Möglichkeiten klar absteckt.
In der Mitteilung des Regierungsrates vom Mai 2017 war die Prüfung der Abschaffung des Laienrichteramts angekündigt worden. In der Liste der Sanierungspakete, die nun Ende August vom Aargauer Regierungsrat präsentiert wurde, war davon nichts mehr zu lesen – vielleicht ein erster Erfolg unserer Verbandsgründung?
Kein Zweifel – die Kantonsfinanzen müssen zurück ins Gleichgewicht finden. Entweder schraubt man da an den Einnahmen oder an den Ausgaben. Wenn man sich für Letzteres entscheidet, darf dies aber nicht dazu führen, dass Altbewährtes kurzum über Bord geworfen wird. Ausserdem bin ich überzeugt, dass mit der Abschaffung der Laienrichter die Kosten des Justizsystems steigen würden.
Stellen wir uns kurz vor, dass in den heutigen Laienrichtergremien ausschliesslich Berufsrichter Einsitz nähmen. Was würde passieren? Ganz einfach: Aufgrund höherer Entschädigungsansätze würde dies zu höheren Kosten führen. Heute ist andererseits eine Tendenz zu beobachten, dass man sich in Gerichtsentscheiden immer häufiger auf Expertengutachten abstützt. Solche Gutachten sind kostspielig und verzögern die Entscheide. Fachwissen, das in einem Gremium mit Laien- und Fachrichtern abgerufen werden kann, vermeidet oftmals, dass eine externe Expertise in Auftrag gegeben werden muss.
So lautet das Schlagwort derjenigen, die das Laienrichteramt abschaffen wollen. Der Einbezug von Laienrichtern in die Rechtsprechung ist jedoch ein wichtiges Element zur demokratischen Abstützung unseres Justizsystems und trägt zu dessen Verankerung in der Bevölkerung bei.
Laienrichter tragen dazu bei, dass sich Recht und Gerechtigkeit nicht zu weit voneinander entfernen. In einem Laienrichtergremium spiegelt sich auch das sich wandelnde Gerechtigkeitsempfinden in der Gesellschaft wieder. Da besteht, zusätzlich zum Mechanismus von politischen Wahlen und Abstimmungen, ein direkter Draht zwischen der Bevölkerung und dem Rechtssystem.
Der Wert der Laienrichter misst sich nicht an Ihrer Kenntnis der Gesetze. Natürlich müssen sie auf deren Grundlage urteilen; es ist aber nicht die Aufgabe von Laienrichtern, sich in den Windungen von Bundesgerichtsentscheiden auszukennen, das können Berufsrichter und Gerichtsschreiber viel besser.
Laienrichter können Kenntnisse aus ihrem eigenen Berufsfeld und ihre Lebenserfahrung in die Urteile einbringen. Punkto Urteilsfähigkeit stehen Laienrichter den Berufsrichtern in nichts nach. Wissenschaftliche Studien attestieren im Übrigen Laienrichtern eine grössere Unabhängigkeit.
Ich finde es im Gegenteil wichtig, dass das Laienrichteramt als eine Institution wahrgenommen wird, die modernen Anforderungen genügt. Dabei gibt es sicherlich Spielraum, um die Rolle der Laienrichter zu optimieren und ihre Kompetenzen den neuen Anforderungen und Entwicklungen anzugleichen.
Persönlich könnte ich mir vorstellen, dass das individuelle berufliche Fachwissen der Laienrichter noch stärker abgeholt wird. Zum Beispiel könnten Laienrichter künftig auch in anderen Regionen tätig werden als im Bezirk, in dem sie gewählt wurden.
Es bräuchte einen Pool, in dem die Kompetenzen und Erfahrungen der Laienrichter eines Kantons systematisch erfasst werden. Im Kanton Aargau könnte ein Gerichtspräsident in einem solchen Modell nicht mehr nur vier Laienrichter aus seinem Bezirk aufbieten, sondern zum Beispiel zwei Laienrichter aus dem Bezirk und zwei von ausserhalb, die jedoch aufgrund ihrer hauptberuflichen Tätigkeit über besonderes Fachwissen für den zu beurteilenden Fall verfügen.
Damit das Laienrichteramt auch in Zukunft noch besteht, müssen wir heute zeigen, dass der Erhalt und die Weiterentwicklung dieser traditionsreichen Institution lohnenswert ist – das ist eine der Aufgaben unseres Verbandes.