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An den noch offenen Grenzübergängen kommt es zu stundenlangen Staus. Darunter leiden die Grenzgänger, von denen viele im Gesundheitswesen arbeiten. Spitäler und Heime fordern Sonderregelungen für das Medizinpersonal.
Es ist fast wie beim Roulette: Rien ne va plus, heisst es auch an den Fricktaler Grenzübergängen zu Deutschland. Oder zumindest fast. Denn seit die deutschen Behörden wegen der Corona-Krise die kleinen Grenzübergänge geschlossen haben und die Automobilisten an den verbleibenden Grenzübergängen – im Fricktal sind dies die drei Hauptübergänge in Laufenburg, Stein und Rheinfelden – rigoros kontrolliert werden, ist kein Vorwärtskommen mehr.
Das trifft die Grenzgänger hart. Für ihren Arbeitsweg brauchen sie plötzlich statt weniger Minuten mehrere Stunden. Aber auch, wer durch Laufenburg oder Stein fahren will, oder derzeit besser: fahren muss, steht in langen Kolonnen; die Rückstaus sind kilometerlang.
Besonders hart trifft dies den Gesundheitsbereich, der durch die Corona-Krise ohnehin schon an den Anschlag kommt. Denn im Pflegebereich arbeiten, je nach Betrieb, zwischen 5 und 30 Prozent Grenzgänger. Im Laufenburger Alterszentrum Klostermatte etwa kommt jeder vierte Mitarbeitende aus Deutschland. Die Situation sei für die betroffenen Mitarbeitenden «eine Katastrophe», sagt Zentrumsleiter Heinz Stucki. Sie müssen derzeit Stunden vor Schichtbeginn losfahren – oder kommen deutlich zu spät zur Arbeit.
Auf Unverständnis stösst bei den Angestellten, die in badisch Laufenburg wohnen, dass sie nicht mehr wie bisher zu Fuss über die alte Laufenbrücke zu Arbeit gehen können – die Laufenbrücke ist wie alle kleinen Grenzübergänge mit Gittern zugesperrt –, sondern den zeitaufwendigen Umweg über die neue Brücke machen müssen.
Mehrere Aargauer Kliniken fordern deshalb, dass die kleineren Grenzübergänge für das dringend benötigte Pflegepersonal wieder geöffnet werden. Dieser Forderung kann sich Andre Rotzetter, Geschäftsführer des Vereins für Altersbetreuung im Oberen Fricktal und CVP-Grossrat, voll und ganz anschliessen. Er will bei Innendirektor Urs Hofmann vorsprechen.
Aktiv geworden ist auch das Gesundheitszentrum Fricktal (GZF), das in Rheinfelden und Laufenburg Spitäler und Pflegeheime betreibt. Gut ein Viertel der 274 Mitarbeitenden sind Grenzgänger. Man setze sich für die Öffnung des alten Grenzübergangs in Rheinfelden für Mitarbeitende des Gesundheitswesens ein, sagt GZF-Sprecherin Miriam Crespo.
«Rund ein Drittel aller Arbeitsplätze in Rheinfelden entfallen auf die vier Gesundheitsbetriebe von Rheinfelden medical», sagt Crespo. Diese Gesundheitsbetriebe seien für die Gesundheitsversorgung in der Region eminent wichtig und «werden in Anbetracht der sich täglich zuspitzenden Krise stark gebraucht – jetzt mehr denn je». Das GZF fordert deshalb «schnelle und unbürokratische Lösungen», um den Versorgungsauftrag sicherzustellen.
Bereits gestern hat der Kanton auf die Situation entlang der Grenze reagiert. Zum einen will er mithelfen, Übernachtungsmöglichkeiten für Grenzgänger zu organisieren. Zum anderen gelangt der Regierungsrat mit der Forderung an den Bundesrat, er solle bei den Nachbarländern intervenieren; die Öffnung zusätzlicher Übergänge für das Medizinpersonal ist eine der Forderungen. Auch beim GZF prüft man derzeit Übernachtungsmöglichkeiten auf Schweizer Seite.
Sorgen bereitet den Heimen und Spitälern aber auch die Zukunft. «Was ist, wenn die Grenze ganz zugeht?», bringt Rotzetter das Problem fragend auf den Punkt. Die Antwort ist simpel – und doch komplex: «Dann müssen wir unsere Mitarbeitenden aus Deutschland in der Schweiz unterbringen.» Das wäre aber nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern birgt auch ein soziales Spannungsfeld. Viele der Mitarbeitenden haben jenseits der Grenze Familie. Rotzetter hofft denn auch eines inständig: «Dass es nicht so weit kommt.»
Sollte der Fall eintreten, dass bei einer Grenzschliessung selbst das Medizinpersonal nicht mehr über die Grenze gelassen würde, sieht Crespo ernsthafte Probleme. Man wäre dann auf Unterstützung und Sonderregelungen angewiesen; diese Unterstützung hat der Kanton den Gesundheitsanbietern gestern zugesichert. Das GZF bemüht sich daneben selber «um gute und auch kreative Lösungen».
Auch Alain Gozzer, Sprecher der Tertianum-Gruppe, zu welcher der Salmenpark in Rheinfelden gehört, befürchtet, dass eine Grenzschliessung «früher oder später zu Personalmangel führen würde». Beim Salmenpark kommen 15 der 118 Mitarbeitenden aus Deutschland oder Frankreich. Probleme im Betrieb verursache das verschärfte Grenzregime – abgesehen von den langen Anfahrtszeiten – laut Gozzer bislang zum Glück noch nicht.
«Wir arbeiten in verschiedenen Schichten und berücksichtigen bei der Planung die Situation der Grenzgänger ganz bewusst.» Zudem haben alle Grenzgänger der Tertianum-Gruppe das Angebot einer kostenlosen Unterkunft sowie Verpflegung erhalten. Das Angebot wird laut Gozzer genutzt.
Ähnlich tönt es beim Wohn- und Pflegezentrum Stadelbach in Möhlin. Hier arbeiten acht Grenzgänger; das entspricht knapp acht Prozent der Mitarbeitenden. Auch sie verlieren ein bis zwei Stunden pro Arbeitsweg, wie Sprecher Hanspeter Müller sagt. Das Stadelbach sei jedoch flexibel bezüglich der Dienstzeiten. «Wir versuchen, die Dienstzeiten derjenigen Personen anzupassen, damit sie nicht im grössten Stau sehen», so Müller.
In Laufenburg wirkt sich der Verkehrs-Beinahe-Kollaps rund um die noch offenen Grenzübergänge stark auf den Betrieb aus– besonders am Morgen, wenn die Frühschicht ihren Dienst antritt, oder besser: antreten sollte. «Wir versuchen, den Betrieb mit den Leuten aufzufangen, die da sind», sagt Stucki. Für die Bewohner bedeutet das: Sie müssen bisweilen etwas warten, bis eine Pflegekraft Zeit hat, um ihnen beim Aufstehen zu helfen. Dies sei «kein tolerabler Zustand», sagt Stucki. Gefordert ist jetzt die Politik.