Coronapandemie
«Ein Studium anzufangen oder den Lehrabschluss ausgiebig zu feiern, lässt sich nicht verschieben»

Die Coronapandemie wirbelt auch die Pläne vieler junger Fricktaler durcheinander. «Die Jugend geht teilweise verloren und lässt sich nicht einfach nachholen», sagt SP-Präsident Rolf Schmid, 28. Die Jungen haben aber einen grossen Vorteil: Sie kannten sich schon vor der Krise gut mit digitalen Tools aus – etwas, was ihnen nun nützt.

Thomas Wehrli
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Rolf Schmid, 28, Präsident der SP Bezirk Laufenburg.

Rolf Schmid, 28, Präsident der SP Bezirk Laufenburg.

Thomas Wehrli / Aargauer Zeitung

Junge Fricktalerinnen und Fricktaler reden Klartext zur Coronastrategie des Bundes: «Der Bundesrat hat die Jungen im Stich gelassen», sagte Melanie Holle, 20, im Corona-Interview. Den Jungen fehlen die sozialen Kontakte, die Freiräume – und vor allem: eine Perspektive.

Rolf Schmid, 28, Präsident der SP des Bezirks Laufenburg kann dies nachvollziehen. Er sagt: «Die Bedürfnisse junger Menschen wurden in den Überlegungen der Regierung der Solidarität gegenüber betagten Menschen und Risikogruppen untergeordnet.»

Hat die Coronakrise aus Ihrer Warte junge Menschen vermehrt politisiert?

Rolf Schmid: Dass die Pandemie konkret junge Menschen politisiert, bezweifle ich. Wohl aber stelle ich erfreut fest, dass der öffentliche und mediale Umgang mit der Rolle der jungen Menschen in unserer Gesellschaft vermehrt thematisiert wird. Nicht kommerzielle Freiräume, Toleranz und Leistungsdruck sind dabei Bereiche, die mit den geltenden Massnahmen an Brisanz gewonnen haben. Nicht nur die Vorkommnisse in St. Gallen, auch die Situation generell zeigt, dass die Bedürfnisse junger Menschen in den Überlegungen der Regierung der Solidarität gegenüber betagten Menschen und Risikogruppen untergeordnet wird beziehungsweise worden sind.

Wir alle verzichten aber doch auf viel.

Ja, wir alle verzichten auf viel, nicht wenige bangen um ihre Existenz, dennoch tut es mir besonders weh, wenn ich mir vergegenwärtige, was der aktuellen Jugend, besonders den Abschlussklassen und neuen Studierenden fehlt beziehungsweise entgeht. Wenn ich meinen Urlaub aufgrund der Massnahmen nicht antreten kann, verschiebe ich ihn auf nächstes Jahr. Eine Abschlussreise zu machen oder ein Studium anzufangen, neue Menschen kennen zu lernen oder den Lehrabschluss oder die Diplomierung ausgiebig zu feiern, lässt sich nicht verschieben. Die Jugend, eine so bedeutsame und prägende Zeit im Leben eines Menschen, geht teilweise verloren und lässt sich nicht einfach nachholen.

Wie erleben Sie gleichaltrige Menschen in der Pandemie?

Grundsätzlich erlebe ich, dass Menschen in meinem Alter, also kurz vor und nach 30 Jahren, mit den Massnahmen gut zurechtkommen. Wir sind eine Generation, die sich bereits mit digitalen Tools auskennt und überhaupt sehr flexibel ist. Veränderungen am Arbeitsplatz, in der Schule oder an der Universität sind wir gewohnter als ältere Generationen. Klar wünschen wir uns wieder mehr Kontakt und die Möglichkeit sich zu treffen, aber zumindest in meinem Umfeld überwiegt der Solidaritätsgedanke mit Gefährdeten.

Was vermissen Sie selber am meisten?

Das Reisen und das Gefühl von Freiheit. Obschon wir dank äusserst liberaler Massnahmen in der Schweiz während der ganzen Pandemie relativ viele Freiheiten geniessen, sind die Einschränkungen und Vorschriften immer präsent. Gerade in der politischen Arbeit oder im Freiwilligenbereich müssen wir stets abwägen und unsere Pläne und Vorhaben kurzfristig anpassen.

Für wie wichtig halten Sie die aktuell beschlossenen Öffnungsschritte mit Blick auf die junge Generation?

Immerhin sind Sport- und Freizeitaktivitäten wieder möglich, doch ich glaube, dass sich das Befinden durch solche Schritte nicht grundlegend verändert. Die Open Airs sind abgesagt, Ferien im Ausland nur mit Impfung möglich, sofern denn vor den Ferien überhaupt eine zu bekommen ist. Wann der Präsenzunterricht an Hochschulen effektiv wieder losgeht, ist immer noch unklar.

Was erwarten Sie von der Politik bezüglich weiterer Schritte?

Die Politik muss ihre Entscheidungen zum Wohl der ganzen Gesellschaft fällen. Es kann nicht sein, dass diejenigen nun mehr Rechte oder Möglichkeiten erhalten, die am lautesten rufen. Die wirtschaftlichen Einschränkungen sind dann aufzuheben, wenn es epidemiologisch und nach heutigem Wissensstand möglich ist und nicht wenn es Politikerinnen und Politiker oder Lobbyverbände fordern. Vor allem darf nebst der finanziellen Diskussion nicht vergessen gehen, dass die Pandemie auch sehr viele Schwachstellen und Herausforderungen offenbart hat. Hier gilt es nun, Ausstiegsstrategien und Verbesserungsmöglichkeiten zu entwickeln. Ein Beispiel: die Arbeitsbedingungen in der Pflege, der Logistik oder in anderen Bereichen, aber auch die psychische Gesundheit.

Wie beurteilen Sie die bisherige Coronapolitik?

Grundsätzlich gut, vergleichsweise ist die Schweiz bislang gut durch diese Pandemie gekommen. Obschon ich Verständnis dafür zeige, dass der Bundesrat und die Kantonsregierung arg unter Druck stehen, war beziehungsweise ist das häufige Hin und Her bei den Massnahmen sehr ermüdend. Besonders gestört haben mich aber vor allem Massnahmen und insbesondere Öffnungsschritte, die vor allem beschlossen wurden, weil der Staat nicht mehr länger wirtschaftliche Unterstützung für Unternehmungen und Arbeitnehmende finanzieren will beziehungsweise wollte. Vor allem, dass er sich immer noch nicht dazu durchringt, den Vermietern einen Teilerlass vorzuschreiben, ist absolut unverständlich.

Wurde für die Jungen genug getan?

Eine schwierige Frage. In vielen Punkten wurden sie einfach mit der restlichen Bevölkerung zusammengezählt. In Bezug auf die Bestimmungen zum Fernunterricht oder die Maskenpflicht an Schulen glaube ich, dass die Berücksichtigung angemessen war beziehungsweise ist. Bestimmt hätten die Überlegungen und Massnahmen für Jugendliche und junge Erwachsene besser oder anders kommuniziert werden sollen. Mir ist nicht bekannt, ob spezifische Einrichtungen für Junge – wie beispielsweise Treffpunkte, Beratungsdienste, Sport- und Freizeiteinrichtungen – einen Vorzug erhalten haben oder speziell bedacht wurden. Bei der Freiwilligenarbeit und den Integrationsangeboten merke ich jedoch, dass die Aargauer Behörden so grosszügig wie möglich entscheiden, weil sie um deren Bedeutung für die Gesellschaft wissen.