Explosion in Gansingen
Brandermittler: «Eine Gasflasche kann ausreichen, um ganze Wände wegzusprengen»

Brandermittler Frank D. Stolt spricht im Interview mit der az über die Sprengwirkung einer Gasflasche, Zigarettenstummel und Aufklärungsquoten.

Thomas Wehrli
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«Man findet den Zigarettenstummel, wenn er denn der Auslöser war» Frank D. Stolt auf einem Brandplatz.

«Man findet den Zigarettenstummel, wenn er denn der Auslöser war» Frank D. Stolt auf einem Brandplatz.

zvg

Der Brandplatz in Gansingen stellte die Ermittler vor Herausforderungen. Denn die Explosion, die nach Berichten von Anwohnern gigantisch war, hat das Einfamilienhaus bis auf die Grundmauern zerstört.

Die Ermittlungen zeigten, dass der 59-jährige Hausbesitzer A. zuerst seine 50-jährige Freundin erschoss und sich dann selbst mit einem Kopfschuss getötet hat. Brand und Explosion – drei Gasflaschen mit offenem Ventil wurden gefunden – ereigneten sich erst, nachdem die beiden bereits tot waren. Der Brand wurde absichtlich gelegt. Wie, das sagte die Staatsanwalt bislang nicht.

Im Interview erklärt Frank D. Stolt, ein international anerkannter Brand- und Explosionsursachenermittler aus Mannheim, wie er arbeitet. Er sagt: Die Brandursache findet man fast immer – auch wenn es ein weggeworfener Zigarettenstummel war.

Zur Person: Frank D. Stolt Der Sicherheitsfachwirt Frank D. Stolt ist Brandschutz- und Sicherheitsexperte und als Sachverständiger für Brand- und Explosionsursachenermittlung im In- und Ausland tätig. Er war in die Ermittlungen beim Brandplatz in Gansingen nicht involviert.

Zur Person: Frank D. Stolt Der Sicherheitsfachwirt Frank D. Stolt ist Brandschutz- und Sicherheitsexperte und als Sachverständiger für Brand- und Explosionsursachenermittlung im In- und Ausland tätig. Er war in die Ermittlungen beim Brandplatz in Gansingen nicht involviert.

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Herr Stolt, wie gross ist der Schaden, den eine einzelne Gasflasche anrichten kann?

Frank D. Stolt: Der kann sehr gross sein, das wird oft unterschätzt. Ein Kilogramm Propan-/Butan-Gas in einer Gasflasche hat die Sprengkraft von einem halben Kilogramm TNT, also Sprengstoff. Handelsübliche Gasflaschen enthalten drei bis elf Liter Gas. Bei einer grossen Gasflasche haben wir eine eventuelle Sprengwirkung von ungefähr sechs Kilogramm TNT.

Dann reicht eine einzelne Gasflasche bereits aus, um Wände wegzusprengen?

Eine Flasche kann ausreichen, um Wände wegzusprengen. Das heisst aber nicht, dass es zwangsläufig zu einer Explosion kommen muss, wenn eine Gasflasche leckt. Das ist nur eine von drei Möglichkeiten. Das Gas kann auch einfach nur abbrennen. Die dritte, verheerendere Variante ist, dass es zu einem sogenannten BLEVE kommt, also zu einer Gasexplosion einer expandierenden siedenden Flüssigkeit.

Wie entsteht eine solche Explosion?

Dieser entsteht immer dann, wenn infolge eines Nachbarschaftsfeuers ein Flüssiggasbehälter von aussen oberhalb des Flüssigkeitsspiegels aufgeheizt wird. Das Metall wird geschwächt und mit ansteigendem Innendruck kommt es zu einem plötzlichen Zerplatzen des Behälters. Die siedende Flüssigphase geht schlagartig in die Gasphase über und das Gas verbrennt explosionsartig. Diese Technik wenden sehr viele Brandstifter an. Sie legen um die Flasche einen Brand.

In Gansingen explodierte am frühen Sonntagmorgen, 19. März 2017, ein Einfamilienhaus. Das Feuer brach am frühen Sonntagmorgen in einem Einfamilienhaus in der Fricktaler Gemeinde Gansingen aus.
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Die Flammen zerstörten das Haus weitgehend.
Nachdem die Feuerwehr den Brand gelöscht hatte, bargen Rettungskräfte zwei Leichen aus dem Innern der Brandruine.
So wüteten die Flammen am Sonntagmorgen.
Die Flammen griffen auch auf ein Haus in der Nachbarschaft über.
Die Flammen zerstörten das Haus weitgehend.

In Gansingen explodierte am frühen Sonntagmorgen, 19. März 2017, ein Einfamilienhaus. Das Feuer brach am frühen Sonntagmorgen in einem Einfamilienhaus in der Fricktaler Gemeinde Gansingen aus.

Peter Rippstein

Was passiert, wenn Gas «nur» aus einer Flasche ausströmt?

Dann fliesst es zu Boden. Es bildet sich ein unsichtbarer See aus Gas. Würde man barfuss auf diesen See treten, wären Erfrierungen die Folge. Das erlebt man im Kleinen auch, wenn man eine Gasfalsche anschliesst. Selbst mitten im Sommer kann sich an der Anschlussstelle eine feine Eisschicht bilden.

Das Gas bleibt aber nicht flüssig.

Nein, es setzt sich langsam wieder um in das Gas. Erst wenn das Mischungsverhältnis Luft-Gas ausreicht, kann es zur Explosion kommen. Bei Propan-/Butan-Gas liegt das optimale Mischungsverhältnis bei rund neun Volumenprozent, das heisst die Luft ist mit neun Prozent Gas gesättigt. Das dauert, je nach Grösse des Raumes, in dem das Gas ausfliesst, einige Zeit.

Wie geht ein Brandermittler vor, wenn er auf einen Schadenplatz kommt?

Man sucht immer die Brandausbruchstelle. Man geht von aussen nach innen vor. Im Innern sucht man den Ort, der am stärksten schadenbelastet ist und sucht hier nach der möglichen Zündquelle. Brandermittlung ist so gesehen ein Puzzle mit 10'000 Teilen.

Wie weiss ein Ermittler, dass er die Zündquelle gefunden hat?

Leider sind oft viele Spuren vernichtet. Gerade bei Bränden wie jenem in Gansingen, wo nur noch die Grundmauern stehen. Er geht in solchen Fällen nach dem Eliminationsverfahren vor, das heisst man schliesst Brandursache um Brandursache aus. Er sucht dazu nach brennbarem Material und möglichen Zündquellen. Am Schluss bleiben meist nur noch ein oder zwei mögliche Szenarien zurück.

Nehmen wir an, eine Zigarette verursacht einen Brand. Wie stellt man das fest? Der Stummel ist doch verbrannt?

Nein, der ist nicht weg. Der Zigarettenstummel verbrennt oft nicht; man findet ihn, wenn er denn der Auslöser war. Aber: Der Zigarettenstummel hat oft gar nicht die Energie, um etwas zu entzünden. In den wenigsten Fällen ist ein Zigarettenstummel alleine die Brandursache. Es braucht dazu weitere Faktoren, sonst bleibt es in der Regel beim Brandloch. Die Zigarette als Brandursache – das ist oft nur eine Notlüge. Wie ist das in der Schweiz? Darf man an Tankstellen auch nicht rauchen?

Ja, an vielen Tankstellen steht: Rauchen verboten, Brandgefahr!

Das ist nur halb richtig. Denn die Zigarette selber hat meist nicht die Energie, um die ausströmenden Benzindämpfe zu zünden. Das Feuerzeug hat diese Energie. Das eigentlich Gefährliche ist also nicht das Rauchen per se, sondern das Anzünden einer Zigarette.

Ist das nun ein Plädoyer fürs Rauchen-Lassen an der Tankstelle?

Nein, überhaupt nicht! Es ist absolut richtig, dass nicht geraucht wird. Denn sonst zündet ein Raucher irgendwann auch eine Zigarette an – und dann wird es gefährlich.

Welche Hilfsmittel setzen Sie bei der Brandermittlung ein?

Das hängt stark vom Brandplatz ab. Als Erstes muss ich mir einen Überblick verschaffen. Ich sehe mir dazu die Brandplätze gerne von oben an, ab einer Feuerwehrdrehleiter oder bei einem grossen Brandplatz auch einmal aus einem Helikopter. Zum Einsatz kommen heute auch Drohnen. Hilfreich ist oft auch der Einsatz eines Brandmittelspürhundes. Er ist, ähnlich wie ein Drogenhund, auf verschiedene Brandlegungsmittel abgerichtet. Er erschnüffelt diese Mittel.

Man kann an Brandplätzen beobachten, wie die Ermittler Proben nehmen. Was geschieht damit?

Sie werden im Labor ausgewertet. Zum Beispiel mit dem Rasterelektronenmikroskop. Unter diesem kann man sehen, ob sich Metall durch einen Brand verformt hat oder durch eine Explosion. Chemische Proben werden im Gas-Chromatograph in ihre Bestandteile aufgeschlüsselt.

Welche Art von Bränden stellen Sie vor die grössten Herausforderungen?

Da, wo die meisten Zerstörungen sind. Gansingen dürfte ein solcher eher schwieriger Brandplatz gewesen sein. Ich suche ja die Zündquelle und wenn ich so gut, wie nichts mehr habe, um die Zündquelle zu finden, wird es natürlich schwieriger. Nur: Man findet die Zündquelle eigentlich fast immer.

Wie das?

Ein Brand entwickelt sich stets nach oben. Die Zündquelle aber ist unten und bleibt erhalten. Ist wirklich einmal ein Zigarettenstummel der Auslöser, so ist er noch auffindbar.

Dann gibt es nur wenige Fälle, in denen Sie die Brandursache nicht finden?

Meist finde ich sie in der Tat, auch bei grosser Zerstörung. Damit ist die Arbeit aber noch nicht getan. Im Fall von Gansingen steht ein erweiterter Suizid oder ein Mord mit anschliessender Selbsttötung im Vordergrund. Um genau zu sagen, was passiert ist, muss ich die Spuren dem Täter nachweisen können. Das ist oft sehr schwierig, je nach Zerstörungsgrad sogar unmöglich. Den Tatablauf genau zu rekonstruieren oder den Täter stichhaltig zu überführen, ist nicht immer möglich – gerade an komplexen Brandplätzen wie Gansingen, wo so gut wie alles zerstört ist.

Wie kann man dann Schuss- oder Stichverletzungen noch feststellen?

Das ist gar nicht so schwer. Ich hatte einen Fall, da hat ein Mann seine Mutter mit einem japanischen Messer erstochen. Er brachte das Haus mit Erdgas zur Explosion. Kein Stein blieb auf dem anderen, das Haus wurde quasi pulverisiert. Bei einer Explosion werden aber nur Materialien zerstört, die Widerstand leisten. Die Mutter war bereits tot, als er das Feuer legte. Sie blieb deshalb gut erhalten und man sah die Einstiche. Nachgewiesen wurden sie dann in der Rechtsmedizin.

In wie vielen Fällen finden Sie die Brandursache?

Die reine Brandursache finde ich in über 90 Prozent der Fälle. Viele Täter glauben, man finde keine Spuren mehr, wenn sie ein Haus abfackeln. Sie irren sich. Zum Glück.