Viele Menschen wollen derzeit Flüchtlingen helfen, Die Hilfszentren werden regelrecht überflutet. Margund Graf hilft aber bereits seit 35 Jahren – eine Anleitung
Menschen auf der Flucht. Die Bilder bewegen. Und sie bewegen Menschen, sich zu engagieren. Allein beim Verein Netzwerk Asyl haben sich mehr als 100 Aargauer gemeldet, um zu helfen. Sie wollen spenden, Zeit wie Geld, wollen da sein für die Flüchtlinge, wollen sie bei sich zu Hause aufnehmen. «Ich bin nicht mehr die einzige Verrückte», sagt Margund Graf, lacht. «Es ist schön, dass es Menschen gibt, die sich um Asylsuchende kümmern.»
«Zeit schenken» hält Margund Graf für die wichtigste Hilfe, die Privatpersonen für Flüchtlinge leisten können. Für das Materielle sei mehr oder weniger gesorgt – nicht aber für die Fragen rund um das Alltagsleben. «Indem wir ihnen zeigen, wie das Leben bei uns funktioniert, leisten wir einen grossen Beitrag, dass sie sich willkommen fühlen.»
Margund Graf, 72, ehemalige Lehrerin, dreifache Mutter, sechsfache Grossmutter – und «Mutti» von ungezählten Flüchtlingen. Seit 35 Jahren setzt sich die Frickerin für Asylsuchende ein, mit viel Zivilcourage und noch mehr Herz. Sie hat die Gruppe «humanes Wohnen für Asylsuchende» ins Leben gerufen, wurde für ihr soziales Engagement mehrfach ausgezeichnet.
Graf hilft den Ankommenden, sich in der Schweiz zurechtzufinden, hilft den Angekommenen, sich in der Fremde einzuleben. Sie lehrt die Asylsuchenden Deutsch, zeigt ihnen, wie man kocht, näht und gelegentlich auch, wie man Fenster putzt.
Sie erklärt ihnen den Alltag, bisweilen mit Händen und Füssen. «Es sind einfache Dinge», sagt sie. «Aber in ihrer Heimat kennen die Flüchtlinge dies nicht.» Den Menschen zeigen, wie es bei uns funktioniert, «ist die beste Hilfe». Hilfe zur Selbsthilfe.
«Die Menschen brauchen für die alltäglichen Dinge eine Anlaufstelle vor Ort», sagt Graf. Es reiche nicht, wenn der kantonale Sozialdienst ab und an vorbeischaue. Sie versteht nicht, weshalb der Kanton die Hürden zu helfen, eher hoch ansetzt. «Hilfe muss unbürokratisch sein», sagt sie «sonst erlahmt die Hilfsbereitschaft.»
Seit bald 35 Jahren vermietet Graf auch die beiden Studios in ihrem Einfamilienhaus an Flüchtlinge. Seit August wohnt eine Eritreerin mit ihrem zwei Monate alten Baby im einen; in wenigen Tagen bezieht eine weitere Frau aus Eritrea die zweite Wohnung. «Das ist gut, denn so haben sie einen Austausch.»
Die Eritreer erlebt Graf als aufgeschlossen, interessiert, anständig und integrationswillig. So wie die Tamilen, damals, 1980, als sie in ihr Engagement für Flüchtlinge «hineinrutschte», wie sie es nennt.
Schwieriger sei es mit den Libanesen, Kurden und Afghanen gewesen, alle sehr nett, alle auch anhänglich, «aber die Integration war eine echte Herausforderung». Und was sagen die Nachbarn? «Die Reaktionen sind gemischt», räumt Graf ein.
Einige sind offen, andere haben Angst, dritte mögen die Asylsuchenden nicht. Manchmal staune sie auch, erzählt sie, dann etwa, wenn ein SVP-Sympathisant komme und frage: Kann ich helfen?
Graf erlebte die Flüchtlinge in ihrem Haus stets als Bereicherung. Natürlich habe sie ab und an auch negative Erfahrungen gemacht, eine Enttäuschung erlebt, «aber im Vergleich zu dem, was mir die Menschen gaben, ist dieser Teil winzig». Es sei nicht schwierig, jemanden aufzunehmen, bilanziert sie, es brauche dazu nur zweierlei: «Respekt und den Willen zu teilen.»
Margund Graf blickt in den Garten. Gross ist er, verwunschen wirkt er – und nach viel Arbeit riecht er. «Mir wird alles etwas zu viel», sagt sie dann, leiser, eine Prise Melancholie schwingt mit. Sie werde im nächsten Jahr ausziehen, in eine Wohnung.
Wie es genau mit dem Haus weitergeht, ist noch offen. Eines indes ist bereits klar: «Das Haus kommt Flüchtlingen zugute.» Am liebsten wäre ihr, eine Familie mit Kindern würde einziehen und die sechs Zimmer bevölkern.
Solch kleinere Einheiten hält Graf ohnehin für sinnvoller als Grossunterkünfte. «In jeder Gemeinde hat es Liegenschaften, die leer stehen und sich eignen würden», ist Graf überzeugt. Um jede dieser Unterkünfte, so spinnt sie den Gedanken fort, sollten sich Menschen gruppieren, die den Asylsuchenden mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Hier nimmt die SP-Frau auch die Kirchen in die Pflicht: «Es reicht nicht, Projekte finanziell zu unterstützen. Ich erwarte von den Kirchen mehr persönliches Engagement.» Zugespitzt formuliert: Nächstenliebe zu predigen, reicht nicht; sie muss auch (vor-)gelebt werden.
Geboren, um zu leben. Darauf habe jeder ein Anrecht. «Die Menschen kommen zu uns, ob wir das wollen oder nicht.» Sie auszugrenzen, sei der falsche Weg. «Wir müssen ihnen helfen, sich bei uns zurechtzufinden.» Und das heisst auch: «Ihnen zeigen, wie sie aus ihrem Kulturkreis in unseren wachsen können.» In all den Jahren, in denen Margund Graf Flüchtlinge betreut, ist ihr dies oft gelungen. «Daran halte ich mich, daraus schöpfe ich Kraft.»