Interview
Alt Nationalrat Peter Bircher: «Manche Dörfer werden Mühe haben»

Der alt Nationalrat und Buchautor Peter Bircher über der Aargauer Jura, seine Vorzüge – und seine Probleme.

Fabrice Müller
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«So kann man mit der Landschaft nicht umgehen»: Peter Bircher will mit seinem Buch das Bewusstsein für die Werte dieser Region fördern.Archiv/twe

«So kann man mit der Landschaft nicht umgehen»: Peter Bircher will mit seinem Buch das Bewusstsein für die Werte dieser Region fördern.Archiv/twe

Mit seinem Buch «Der Aargauer Jura» ruft alt Nationalrat Peter Bircher die Werte der Landschaft zwischen Aare und Rhein ins Bewusstsein. Im Interview äussert er sich kritisch zu aktuellen geplanten Grossprojekten wie Tiefenlager oder Deponien in der Region.

Peter Bircher, Sie haben kürzlich Ihr Buch über den Aargauer Jura herausgegeben. Was hat Sie dazu bewogen, ein Buch über die Region zu schreiben?

Peter Bircher: Ich bin schon lange im Natur- und Landschaftsschutz aktiv. Das war denn für mich auch der Auslöser zum Buchprojekt. Das Buch soll den Menschen ins Bewusstsein rufen, welche Werte im Aargauer Jura stecken. Der Kanton Aargau wird ja immer noch stark «nur» als Industrie- und Zementkanton wahrgenommen. Das muss nicht negativ sein, doch es besteht die Gefahr, dass dabei der Lebensraum und die Landschaft des Aargauer Juras übersehen werden. So habe ich mich in den letzten zwei Jahren mit diesem Buchprojekt beschäftigt.

Was fasziniert Sie besonders am Aargauer Jura?

Es ist ein unglaublich faszinierender und vielfältiger Teil des Kantons mit seiner Auffächerung in über 20 grössere und kleinere Täler von Magden bis Erlinsbach. Faszinierend ist aus meiner Sicht auch die Tatsache, dass der Aargauer Jura als ländlich-bäuerlich geprägte Region trotzdem direkt umgeben ist von verschiedenen Regionalzentren wie Aarau, Brugg, Laufenburg, Frick, Stein und Rheinfelden. Manche davon sind attraktive mittelalterliche Kleinstädte in unmittelbarer Nähe. Das ist für eine Region keine Selbstverständlichkeit. Gerade dieses Wechselspiel zwischen Landschaft und Regionalzentren steht für eine hohe Lebensqualität. Ganz zu schweigen von der guten Vernetzung mit dem öffentlichen Verkehr.

Trotz der landschaftlichen Bedeutung des Aargauer Juras ist er doch in der restlichen Schweiz wenig bis gar nicht bekannt. Woran liegt das?

Die geringe Bekanntheit unserer Region ist in der Tat ein Phänomen. Auf meinen Exkursionen durch den Aargauer Jura sind die Leute immer wieder erstaunt, dass es in unserem Kanton solche Freiräume gibt. Im Gegensatz zu anderen Regionen haben wir keine dominanten landschaftlichen «Magnete» wie etwa hohe Berge oder einen See.

Sondern?

Bei uns ist alles etwas kleinräumiger und überschaubarer. Für den sanften naturnahen Tourismus bietet sich hingegen das liebliche Hügelland, das schon die Römer als solche besungen haben, geradezu an. Hinzu kommt, dass wir über keine grosse Hotellerie- und Tourismusindustrie im Sinne einer Feriendestination verfügen, dafür viele gut geführte Betriebe und Gasthöfe.

Wäre ein höherer Bekanntheitsgrad überhaupt wünschenswert?

Es kommt immer darauf an, was man bekannter machen möchte. Es braucht in den Dörfern ein moderates Wachstum, wenn wir Schlafdörfer verhindern wollen. Der Verkauf von Regionalprodukten kann noch mehr gefördert werden. Der Mensch und die Natur sollen zusammen mit den Arbeitsplätzen im Zentrum stehen.

Seit einiger Zeit muss sich der Aargauer Jura mit Projekten wie Tiefenlager oder die Deponie Buech zwischen Herznach und Ueken auseinandersetzen. Wie schätzen Sie die Auswirkungen solcher Projekte auf die Qualität der Landschaft ein?

Das Tiefenlager gilt sicher als das schwierigste Projekt, das uns derzeit beschäftigt. Die geplante Deponie Buech in Herznach oder auch die geplanten Windräder auf Jurakreten sind weitere umstrittene Projekte.

Was stimmt Sie so kritisch?

Überall besteht die Gefahr, dass der Freiraum unserer Natur im Aargauer Jura tangiert oder gar beschädigt wird. So können wir mit unserer Landschaft nicht umgehen. Es braucht neben den Industriezonen im Sisslerfeld oder im Mittelland auch Kompensationsflächen, freie Landschaft. Deshalb mache ich mich auch für einen konsequenten Juraschutz stark. Gleichzeitig frage ich mich: Braucht es wirklich zum Beispiel eine neue Deponie im Raum Buech? Sind die anderen Gruben alle bereits aufgefüllt? Wenn man mal irgendwo den Landschaftsschutz aufweicht, sinkt schnell die Hemmschwelle und öffnet sich für weitere Eingriffe Tür und Tor.

Mit welcher Entwicklung im Aargauer Jura rechnen Sie in Zukunft?

Manche Dörfer mit weniger als tausend Einwohnern werden Mühe haben, eine Infrastruktur mit Schule, Dorfladen und Dorfgasthof aufrechtzuerhalten. Doch diese «Minimal»-Infrastruktur als Grundgerüst braucht es, damit das Dorf überleben kann. Da kann die Natur drum herum noch so schön sein. Die Dörfer müssen eine Lebenschance für junge Menschen und Familien bieten.

Und welche Entwicklung sehen Sie für die Natur?

Ich sehe auch die Gefahr, dass die Natur ausgebeutet und zerstört wird, der «Freiraum Jura» für alle möglichen Eingriffe herhalten muss. Das wäre die bittere Kehrseite unserer «Geiz ist geil»-Wegwerfgesellschaft. Doch ich bin optimistisch, dass es zu dieser Entwicklung mehr und mehr eine Gegenbewegung gibt.

Warum?

Viele Menschen stellen zu Recht hohe Ansprüche an eine gute Lebensqualität und engagieren sich entsprechend für das Gemeinwohl.

Was wünschen Sie dem Aargauer Jura?

Eine ideenreiche kulturbewusste Entwicklung, die auf ein moderates, besonnenes Wachstum abzielt. Ich wünsche mir, dass die Menschen auch in Zukunft die Natur als wichtiges Gut und elementare Lebensgrundlage erkennen, schätzen und schützen.

Lesung von Peter Bircher: Samstag, 21. Mai, 16.30 Uhr, Willihof, Herznach