Zwei Frauen messen zwei Nächte lang, wie viel sauberes Wasser durch die Kanalisation fliesst
Fahles Mondlicht, vereinzelte Wolken am Himmel, Stille. Um 1 Uhr nachts beginnt der Arbeitseinsatz von Vera Wyrsch und Sarah Aellen. Am Rande des Belvédère-Quartiers in Zufikon öffnen sie einen Schachtdeckel. Rauschen. Wyrsch lässt eine kleine gelbe Box an einer Schnur in die Dunkelheit hinunter gleiten, eine elektronische Nase, die vier verschiedene Gaskonzentrationen misst.
Ungefährlich, meldet die Nase, Wyrsch klettert im Lichtkegel der Stirnlampe den Schacht hinunter. Sie versucht herauszufinden, wie viel Wasser pro Minute durch die Kanalisation fliesst. Aber warum nicht bei Tageslicht? «Wir wollen den Anteil des Fremdwassers ermitteln, also zum Beispiel Grund- oder Hangwasser, das durch die undichte Kanalisation eindringt. Das müssen wir zu einer Zeit machen, in der der Trinkwasserverbrauch möglichst niedrig ist, also in der Nacht», erklärt Aellen.
Würde währenddessen jemand den Stöpsel der Badewanne ziehen, würde dies das Resultat beeinflussen. Aber warum spielt es überhaupt eine Rolle, wenn sauberes Wasser in die Kanalisation läuft? «Wenn in der Abwasserreinigungsanlage das Schmutzwasser zu stark verdünnt ist, haben die Organismen auf der Kläranlage weniger Nahrung, sodass diese ineffizient wird. Zudem muss das Wasser an manchen Stellen gepumpt werden – mehr Wasser bedeutet mehr Pumpleistung, also auch mehr Energieverbrauch.»
An acht Stellen führt das Team von der Holinger AG in dieser Nacht Messungen durch. Dafür stehen ihm verschiedene Instrumente zur Verfügung. Im Belvédère wird die Wassertiefe und die Neigung des Gefälles eruiert, später werden die Ergebnisse mit einer Formel in Liter pro Sekunde umgewandelt. «Zufluss rechts, 17 cm Gefälle, h-Teil etwa 2 cm», tönt die hallende Stimme aus dem Loch im Boden. Wyrsch notiert. «Es ist aber nur eine Momentaufnahme», macht Aellen klar, als sie wieder an der frischen Luft ist.
In den nächsten Wochen wird die Messung wiederholt. Dazu muss es aber vier bis fünf Tage trocken sein. Beträgt der Fremdwasseranteil mehr als 30 Prozent, besteht Handlungsbedarf. Dann wird noch genauer geprüft, um festzustellen, auf welchem Weg das unverschmutzte Wasser in die Kanalisation gelangt. Denn unter den Füssen der Zufiker läuft auch das Abwasser aus Berikon und Widen durch. Nicht zuletzt sind solche Messungen auch ein Indiz für einen möglichen Kostenteiler zwischen den Gemeinden. Mit Kameras müssen dann die Kanäle geprüft werden. Ursprung des Fremdwassers können je nach Region und Gelände grosse Quellen, Brunnen, Drainagen oder eingedrungenes Grund- oder Hangwasser sein.
Bis spätestens um 6 Uhr müssen Wyrsch und Aellen fertig sein. Duschen und WC-Spülungen machen die Messung dann ungenau. Zum Glück müssen die beiden Frauen nur etwa ein- bis zweimal pro Jahr die Nacht durcharbeiten. «Sonst sitzen wir am Schreibtisch. Zwischendurch rauszufahren und draussen zu arbeiten, ist für uns eine willkommene Abwechslung», sind sich beide einig.