Bezirksgericht Bremgarten
Wohler Messerstecher zu sechs Jahren Haft verurteilt

Ein Kosovare sticht seine Frau nieder. Die Familie seiner Frau hatte sich seiner Meinung nach zu stark in die Beziehung eingemischt. Jetzt wurde er vom Bezirksgericht Bremgarten wegen versuchten Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt.

Dominic Kobelt
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Kurz nach der Tat: Die Polizei am Einsatzort.

Kurz nach der Tat: Die Polizei am Einsatzort.

AZ

Es war Ende Januar, als Endrit* seine Heimat im Kosovo verliess und in die Schweiz einreiste. Seine Frau hatte sich bemüht, für ihn Einreisepapiere zu besorgen, er durfte als Familiennachzug nach Wohlen kommen.

Geheiratet hatten die beiden bereits nach einer kurzen Kennenlernphase, sie besuchte ihn mehrmals im Kosovo, sie verlobten sich, in den Sommerferien kam sie, um ihn zu heiraten.

Beide beteuern, es sei keine arrangierte Ehe gewesen, sie hätten sich geliebt. Als Endrit in die Schweiz kam, bemühte er sich um Arbeit, arbeitete zuerst auf dem Bau, dann auf seinem eigentlichen Beruf als Coiffeur.

«Anfangs war es sehr friedlich, es lief gut, wir wollten eine Familie gründen», sagt Endrit. Vier Wochen später stach er mit einer 15 Zentimeter langen Klinge auf seine Frau ein.

Ein Moment, der eskalierte

«Sie träumten von einer gemeinsamen Zukunft, vier Wochen später dann diese Messerattacke. Wie konnte es so weit kommen?», fragt Gerichtspräsident Lukas Trost, der den Fall zu beurteilen hatte.

Endrit erzählt, dass sich die Familie seiner Frau stark in die Beziehung eingemischt habe. Er wollte gerne einmal ein Wochenende mit seiner Frau verbringen, das sei aber nicht möglich gewesen, weil sie so oft bei ihrer Mutter war. Und die Familie seiner Frau als auch sie selbst hätten ihn herablassend behandelt. Er fühlte sich isoliert, belogen und verraten.

An dem Tag, an dem alles aus dem Ruder lief, fand Endrit einen Zettel in seinem Briefkasten. Weil er kein Deutsch kann, rief er seine Frau an, die den Zettel übersetzen sollte.

Sie war bei ihrer Mutter und bat Endrit zu sich. Als er dann da war, schickte sie ihn zuerst wieder weg, kam dann aber trotzdem zum Eingang.

«Ich fragte sie, warum sie das mit mir macht. Ich hatte das Gefühl, sie spielt ein Spiel mit mir», sagt Endrit. Er habe seinen Koffer packen wollen, um zurück in den Kosovo zu gehen. Seine Frau habe ihm den Schlüssel zum Keller nicht geben wollen, wo sich der Koffer befand. «Sie sagte zu mir, sie hätte mein Leben in ihren Händen.»

Dann eskalierte die Situation. Endrit nahm ein Messer aus seiner Jackentasche und stach auf seine Frau ein, verletzte sie am Hals und im Gesicht, an Armen und Beinen. Dann liess er plötzlich von ihr ab und floh.

Das Opfer kommt nicht zur Verhandlung. Durch ihre Anwältin lässt sie ihrem mittlerweile Ex-Ehemann aber eine Frage stellen: «Warum hast du mein Leben zerstört?» Endrit kann darauf keine klare Antwort geben.

«Es war ein Moment, der eskaliert ist.» Endrit spricht während der ganzen Verhandlung leise, ruhig, schaut vom Gerichtspräsidenten zum Übersetzter, lässt den Kopf hängen. Wie er sich bei der Tat gefühlt habe, will Trost wissen.

«Fast bewusstlos, ich weiss nicht mehr, was ich erreichen wollte», sagt der Angeklagte. «Was erreicht man, wenn man mit einem Messer auf jemanden einsticht?» fragt Trost. «Es kann viel passieren. Daran habe ich in diesem Moment nicht gedacht», sagt Endrit.

Sechs Jahre Haft

Trost kauft ihm das nicht ab. Endrit war in seiner Heimat schon in ein oder zwei Delikte verwickelt, in denen ein Messer zum Einsatz kam – genau lässt sich das nicht sagen, weil es offenbar schwierig ist, zu den entsprechenden Unterlagen zu kommen.

Die Bezirksrichter glauben dem Angeklagten, dass er die Tat aufrichtig bereut. Die Staatsanwaltschaft kann auch nicht beweisen, dass die Tat geplant war – sie geht davon aus, dass Endrit zu Hause das Messer geholt hat, während dieser aussagte, er habe immer ein Messer dabei gehabt.

Deshalb wurde er nicht der versuchten Tötung, sondern «nur» wegen versuchten Totschlags für schuldig befunden. Dass er von seinem Opfer abliess, fällt nicht stark ins Gewicht.

«Sie gingen davon aus, alles dafür getan zu haben, dass ihr Opfer stirbt», sagt Trost. Auch wenn die Gefühle nachvollziehbar seien, «was sie getan haben, ist eines der schlimmsten Delikte, Gefühle hin oder her».

Das Urteil fällt einstimmig: sechs Jahre Haft und eine Genugtuung von 20 000 Franken für das Opfer, plus eine Entschädigung. Das Urteil kann allerdings noch weitergezogen werden.

* Name geändert