Ära endet
Wohlens erste Bäckerei verschwindet nach über 100 Jahren

Barbara und Albrik Kuhn schliessen ihr Geschäft am Wohler Postplatz Ende September. 35 Jahre lang haben sie die Feinbäckerei geführt. Damit endet auch die Ära der Familie Kuhn, die über vier Generationen hinweg eine Bäckerei betrieb.

Toni Widmer
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Ende September ist Schluss: Barbara und Albrik Kuhn haben 35 Jahre die Feinbäckerei am Wohler Postplatz geführt.

Ende September ist Schluss: Barbara und Albrik Kuhn haben 35 Jahre die Feinbäckerei am Wohler Postplatz geführt.

Toni Widmer

Er hat schon einen Eiffelturm aus Schoggi modelliert, einen VW Bulli und eine DC 3. Das Schweizer National-Heidi mit Schafen und Sennenhund fertigte er aus Marzipan, die beiden Störche auf der Torte für werdende Eltern auch und das Konfekt aus seiner Backstube ist legendär.

«Die besondere Torte zum Geburtstag, die süsse Überraschung mit Firmenlogo am Betriebsfest, das Dessertbuffet zur Hochzeit – ich war immer gern kreativ und habe mit speziellen und exklusiven Produkten meine Leidenschaft ausgelebt, auch wenn dafür viel zusätzlicher Aufwand nötig war», sagt Albrik Kuhn.

Vor 35 Jahren hat er mit seiner Gattin Barbara die «Feinbäckerei Konditorei Confiserie Kuhn» übernommen, Ende September ist Schluss. Für immer. Die vierte Bäcker-Generation Kuhn am Wohler Postplatz war die letzte.

«Wir freuen uns auf das, was kommt. Nicht mehr sechs oder sogar sieben Tage im Geschäft sein. Nicht mehr den Fernseher nach der ersten Halbzeit im spannenden Fussballmatch abstellen, weil man um drei Uhr in der Früh wieder aus den Federn muss. Zeit haben für unsere Familie und ganz besonders unsere Enkelkinder, unsere Freunde pflegen und unsere Hobbys», sagen Barbara und Albrik Kuhn.

Wehmut und Seelenschmerz

Doch Wehmut ist auch da. Und leichter Seelenschmerz. «Ich habe als Bub meinen Vater auf der täglichen ‹Kehri› begleitet. Vorerst mit Ross und Wagen, später im VW-Bus. 1980 habe ich die Bäckerei übernommen, die schon mein Urgrossvater geführt hat. Diese lange Ära nach vier Generationen zu beenden – das ist ein komisches Gefühl», erklärt Albrik Kuhn.

Anderseits, sagt er weiter, habe er 45 Jahre hier gearbeitet und 35 Jahre das Geschäft selber geführt. Da dürfe er ohne schlechtes Gewissen in Pension gehen. «Es ist ein schöner Beruf, ich mag ihn immer noch. Und es war eine schöne Zeit. Doch mit dem Alter meldet sich der Körper, den man in der Backstube nie geschont hat. Es passt schon, dass es jetzt fertig ist.»

Lehre in der Confiserie Sprüngli

Albrik Kuhn hat in der legendären Confiserie Sprüngli in Zürich die Lehre gemacht und in renommierten Betrieben weitere Berufserfahrung gesammelt. Dann kehrte er nach Hause zurück, wollte dort aber vorerst nicht für ewig bleiben: «Mein Vater hat die grossen Vierpfünder gebacken und daneben Torten, 15er- und 20er-Stückli, Berliner und Krapfen – Handfestes halt, wie das damals auf dem Land üblich und von der Kundschaft gewünscht war. Ich hingegen träumte vom exklusiven Konfekt, von kunstvollen Kreationen und von der grossen weiten Welt, in die ich hinausziehen wollte. Dann habe ich mich doch reingekniet und hier zusammen mit meiner Frau etwas aufgebaut. Barbara war meine Stütze in all den Jahren. Ohne die richtige Frau kannst du das, was wir gemacht haben, gar nicht machen.»

Neben Vierpfündern, Berlinern und Krapfen gab es am Postplatz bald immer mehr Konfekt und dekorative Kreationen. Dank dem künstlerischen Flair des Ehepaares waren die Kunden nicht nur vom Angebot zunehmend begeistert, sondern ebenso vom Ambiente im Laden und von der Präsentation der Produkte.

Die Qualität der Confiserie und Patisserie machte das Geschäft am Wohler Postplatz zur ersten Adresse für Kunden aus einer weiten Region. Das Unternehmen florierte, Albrik Kuhn investierte 1995 in eine moderne Backstube und der Personalbestand wuchs mit der Zeit auf rund 20 Personen.

Vom beruflichen Können des Meisters und seiner Liebe und Begeisterung für das Metier konnten über die Jahre auch zahlreiche Lehrlinge und Lehrtöchter profitieren.

Mode und Wohnen geht weiter

Barbara Kuhn baute sich in der ehemaligen Wohnung über dem Betrieb ihr eigenes Geschäft für Mode und Wohnen auf, einen Bereich, den sie auch künftig pflegen will: «Ich mache das sicher nicht mehr im gleichen Stil wie heute, aber ich habe eine grosse Stammkundschaft, die ich weiterhin betreuen werde.»

Die Bäckerei Kuhn war die erste Bäckerei, die es in Wohlen gegeben hat. Sie wird definitiv verschwinden. Dort, wo das markante, 1870 von einer Scheune zu einem Wohnhaus umgebaute und 1910 mit einem Anbau ergänzte Gebäude steht, ist eine Überbauung geplant. An die feinen Produkte, die man hier noch bis Ende September kaufen kann, wird sich die Region aber noch lange erinnern.

Am Anfang war die Mühle

Die Ära Kuhn am Wohler Postplatz hat mit einer Mühle begonnen, die Ende des 19. Jahrhunderts von Meinrad Albrik Kuhn, dem Grossvater von Albrik Kuhn, übernommen wurde. Schon 1870 hatte er neben der Mühle eine alte Scheune zu einem Wohnhaus umgebaut – jenes Gebäude, in dem die Bäckerei Kuhn bis Ende September noch betrieben wird. Wann genau Meinrad Albrik in Wohlen mit Backen angefangen hat, lässt sich nicht exakt eruieren. Bäcker gab es damals in ländlichen Gebieten kaum, die Bauern haben ihr Brot meist noch selber hergestellt. Verbrieft ist hingegen, dass um 1910 der Anbau entstand (Bild unten) in welchem Brot und andere Backwaren verkauft wurden, bis 1957 an der gleichen Stelle das heutige Ladenlokal entstanden ist. Nach Albriks Tod wurden Mühle, Bäckerei und Landwirtschaft unter den Söhnen aufgeteilt. Die Mühle Kuhn wurde bis 1987 noch betrieben.

Die Bäckerei wurde in der zweiten Generation von Karl Kuhn geführt, der selber aber nicht Bäcker war, sondern einen solchen beschäftigte. 1950 übernahm Albrik Josef Kuhn in der dritten Generation. Er lieferte, vorerst mit dem Pferdegespann und später mit einem VW Bus, Brot und Backwaren in Wohlen und Waltenschwil aus. Albrik und Barbara Kuhn sind am 1. Juli 1980 gestartet. Vorerst haben sie noch über der Bäckerei gewohnt, später ist dort der Bereich Mode und Wohnen eingerichtet worden. 1995 haben sie die Backstube hinter dem Haus neu gebaut. (to)