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Noch bevor die Sitzung des Wohler Einwohnerrats am Montagabend zu Ende war, verabschiedeten sich einige Mitglieder der SVP-Fraktion aus dem Saal mit Kritik am Verhalten des Gemeinderats. Diese unterstreicht Fraktionspräsident Peter Christen am Tag danach.
So hoch zu und her wie am Montagabend war es in den vergangenen Jahren bei einer Sitzung des Wohler Einwohnerrats nie mehr zugegangen. Das letzte Traktandum, die Behandlung oder besser gesagt die Nichtbehandlung der beantragten Entschädigungserhöhung für den Gemeinderat ab 2022, warf hohe Wellen. So hohe, dass sich die Mehrheit der zehnköpfigen SVP-Fraktion noch vor dem offiziellen Sitzungsende aus dem Casino verabschiedete.
SVP-Fraktionspräsident Peter Christen erklärte zuvor stinksauer am Rednerpult: «Was hier abgeht, ist ein Kasperlitheater. Wenn der Gemeinderat wirklich Interesse gehabt hätte, hätte er zuerst die Fraktionsmeinungen angehört. Aber wir diskutieren hier nicht weiter und gehen jetzt heim.» Auslöser der Erklärung Christens war der kurzfristig vom Gemeinderat wieder zurückgezogene Erhöhungsantrag.
Auf diesen Rückzug folgten unter anderem zwei Abstimmungen, ob die Diskussion übers Geschäft dennoch weitergeführt und die Fraktionsmeinungen angehört werden sollen. Quasi als Input für den Gemeinderat. Beide Abstimmungen bestätigte der Rat, was der SVP nicht passte und einige ihrer Mitglieder die Konsequenzen ziehen liess.
Die späteren Worte von SP-Urgestein Sepp Muff erreichten die Ohren der SVP-Einwohnerräte deshalb nicht mehr. Er fühle sich hier drin pudelwohl, meinte Muff angesichts der aufgewühlten Stimmung, er prangerte aber auch das Verhalten der SVP an:
«Ich finde es bedenklich, dass man einfach geht, wenn einem das Resultat nicht passt.»
Am Tag danach unterstreicht Peter Christen gegenüber der AZ die SVP-Kritik am Gemeinderat. «Der Rat zeigt sich mit einer 33-Prozent-Lohnerhöhung in diesen für viele Teile der Bevölkerung schwierigen Zeiten nicht sensibel, ein wenig Demut würde guttun», sagt er. Seine Partei unterstütze grundsätzlich eine faire Entschädigung der Gemeinderäte, aber auf Zahlen basierend.
Der Gemeinderat trägt nach Christens Ansicht eine Mitschuld am Eklat. «Er hätte zuerst locker die Fraktionsmeinungen und Einzelvoten anhören können und im Anschluss den Geschäftsrückzug vollziehen. So wäre alles rund abgelaufen. Aber so gab es für mich und meine Kollegen nichts mehr zu diskutieren an jenem Abend», erklärt Christen.
Der Rückzug des gemeinderätlichen Antrags folgte unmittelbar nach der Stellungnahme durch den Sprecher der Finanz- und Geschäftsprüfungskommission (FGPK), Werner Dörig. Dieser zeigte seinen Ratskollegen auf, wie heterogen schon innerhalb der FGPK, die übrigens von Peter Christen präsidiert wird, die Meinungen ausgefallen sind. Dörig sagte:
«Der falsche Zeitpunkt für eine Erhöhung ist es prinzipiell immer. Im Umkehrschluss gilt aber so auch: Es gibt keinen falschen Zeitpunkt.»
Die FGPK habe sich intensiv und kontrovers mit dem vorgeschlagenen neuen Vergütungsreglement auseinandergesetzt. Es fänden sich alle Meinungen darin wieder, von klarer Zustimmung, gewissen Kompromissmöglichkeiten bis hin zu klarer Ablehnung, so Dörig weiter. Das Abstimmungsverhalten in der FGPK mit 1 Ja, 4 Nein und 4 Enthaltungen widerspiegelt dies.
Dörig blickte in seiner FGPK-Stellungnahme auch knapp vier Jahre zurück, als der Einwohnerrat die Vorlage für ein neues Verwaltungsführungssystem genehmigte. «Das Milizsystem wird entlastet. Gemäss neuem Modell ergeben sich tiefere Kosten für die Vergütung der Exekutivmitglieder, hiess es damals», sagte Dörig. Man frage sich, ob nun ein solcher Quantensprung bereits nötig sei.
Die FGPK betrachte es kritisch, dass fünf Sechstel der bisherigen Entschädigung der Schulpflege an den Gemeinderat fliessen sollen. Insbesondere, da noch nicht bekannt sei, wer die Schulführung ab 2022 übernehme. Der Gemeinderat hatte sich im Antrag total 60'000 Franken jährlich zusätzlich vergüten wollen, die Schulpflege erhielt bis anhin 70'000 Franken.
Gemeindeammann Arsène Perroud betonte seinerseits, dass Wohlen heute den günstigsten Gemeinderat in den letzten 20 Jahren habe. «Wir bewegen uns mit den Entschädigungen im unteren Drittel im Aargau. Die Grundentschädigung entspricht nie und nimmer dem Aufwand», verglich er. Das Pensum eines Gemeinderates liege bei rund 30 Prozent.
Bekannt sei mittlerweile auch, dass keine Schulkommission eingesetzt wird und dass die strategische Führung der Schule künftig beim Gesamtgemeinderat liege. Deshalb sei die Erhöhung des Sockelbetrags und des Globalbetrags für das neue Ressort Volksschule gerechtfertigt.
«Wir sind uns bewusst, dass wir den Mehraufwand, der seitens der Schule kommen wird, in der Vorlage zu wenig klar kommuniziert haben.»
Nun wird der Entwurf des neuen Vergütungsreglements vom Gemeinderat nochmals überarbeitet, begleitet von einer politischen Spiegelgruppe. Und zu einem späteren Zeitpunkt dieses Jahr nochmals dem Einwohnerrat zur Diskussion vorgelegt – dann wieder mit Beteiligung der SVP und ohne Kasperlitheater.
Zurzeit stehen den vier nebenamtlich tätigen Mitgliedern des Gemeinderates Wohlen pro Jahr folgende Bruttovergütungen zu: ein Sockelbetrag pro Mitglied von 30’000 Franken sowie ein Globalbetrag von 40’000 Franken, den der Gemeinderat individuell nach Arbeitsbelastung unter sich aufteilen kann. Die bisherige Schulpflege erhielt gesamthaft 70’000 Franken Entschädigung. Neu hätte der Sockelbetrag pro nebenamtliches Gemeinderatsmitglied 40’000 Franken betragen und der Globalbetrag 60’000 Franken. Von alldem nicht betroffen ist der hauptamtliche Gemeindeammann. Er verdient je nach Stellenpensum (zwischen 60 und 80 Prozent) einen Lohn zwischen 114’000 und 152’000 Franken. (az)
Der Kommentar zum Eklat im Einwohnerrat: