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Die Jugend-, Ehe- und Familienberatung Bezirk Muri stellt fest: Die Eltern haben hohe Ansprüche an sich selber. Die Beratungsstelle ist immer mehr mit Personen mit psychischen Problemen beschäftigt und mit Jugendlichen in einer Adoleszenz-Krise.
Probleme am Arbeitsplatz oder in der Schule, Schwierigkeiten mit Besuchsrechten, häusliche Gewalt und finanzielle Probleme – das sind die Bereiche, die bei der Jugend-, Ehe- und Familienberatung des Bezirks Muri überdurchschnittlich zugenommen haben. Generell sind die Fallzahlen im Verhältnis zu 2016 im letzten Jahr um 5,3 Prozent gestiegen. «Wir sind immer mehr mit Personen mit psychischen Problemen beschäftigt und mit Jugendlichen in einer Adoleszenz-Krise, bei denen die Familien, die Schulen und die Lehrstellen keine genügenden Ressourcen mehr zur Verfügung stellen können», hält Stellenleiter Peter Wiederkehr in seinem Jahresbericht 2017 fest.
Grundsätzlich würde die Zunahme der Fälle nicht nur die qualitative und quantitative Bevölkerungszunahme widerspiegeln, sondern auch die höhere Beratungsnachfrage von Eltern, die durch die Individualisierung und Pluralisierung und den damit einhergehenden Krisen ausgelöst würden. «Auch die Ansprüche an die Erziehungskompetenz der Eltern an sich selber, an die Förderung der Kinder durch Schule und Gesellschaft sind markant gestiegen und gehen teilweise mit Gefühlen des Versagens, des Unvermögens und des Nichtgenügens einher, die wiederum neuen Stress verursachen können.»
Es gebe bei der Tätigkeit der Jugend-, Ehe- und Familienberatung zwei Tendenzen: Einerseits die Zunahme von sehr komplexen, freiwilligen und gesetzlichen Kinderschutzfällen, die einen hohen Arbeitsaufwand mitbedingen, andererseits die langfristigen Beratungen, die zu einer Belastung auf einem sehr hohen Niveau führen. «Besonders gefordert wurden wir einerseits durch Kinder und Jugendliche, die fremdplatziert werden mussten, andererseits durch Familiensysteme, die durch viel Hilflosigkeit und Demoralisierung gekennzeichnet sind und für die die Beistände teilweise elterliche Rollen übernehmen mussten».
Die Erziehungsbeistandschaften haben sich mit 157 auf einem hohen Niveau stabilisiert. Sie werden vom Familiengericht angeordnet, wenn die Eltern ihre Kinder in deren psychosozialen Entwicklung ungenügend unterstützen. Eine Gefährdung liegt vor, sobald die ernstliche Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Kindeswohls vorauszusehen ist.
Eine solche kann zum Beispiel das Aufwachsen in einer hochkonflikthaften Trennungsfamilie sein. «Das Konfliktniveau solcher Familien ist meistens bereits vor der Trennung hoch und bleibt es auch nach der Trennung. Es besteht eine grosse Feindseligkeit und anhaltende Auseinandersetzung über Erziehungspraktiken. Es kommt zu verbaler und manchmal auch körperlicher Gewalt». In der Schweiz gehe man davon aus, dass etwa 50 Prozent der Erziehungsbeistandschaften dem Problembereich Besuchsrechtsschwierigkeiten und 30 Prozent dem Bereich Erziehungsprobleme zuzuordnen sind.
2017 wurden von der Jugend-, Ehe- und Familienberatung Bezirk Muri insgesamt 552 (Vorjahr: 524) Dossiers behandelt. In den Beratungsprozess wurden 1948 (1767) Personen einbezogen. Von den 552 Dossiers waren 314 Übernahmen und 238 Neuaufnahmen. Der Beratungsaufwand inklusive Hausbesuche betrug rund 3120 Stunden. 1666 Stunden wurden in den administrativen Bereich investiert. Weitere Stunden wurden für Öffentlichkeitsarbeit, Sitzungen und Supervision aufgewendet.
Die Geburtenzahl ist im Bezirk Muri im letzten Jahr um 14 Prozent auf 417 Säuglinge angestiegen. «Darum hat die Pensenerhöhung ab 1. Januar 2017 wenig Entspannung gebracht», halten die Mütter- und Väterberaterinnen Brigitte Hurst, Simone Kalt, Priska Kaufmann und Claudia Züttel fest.
Im Bereich Beratungen zeichnet sich eine Veränderung ab: Die Hausbesuche stiegen um zehn Prozent auf 527, was durch die Zunahme der Geburten, aber auch durch komplexere Beratungen bei Hausbesuchen, die zur besseren Einschätzung der Situation nötig sind, zu erklären ist.
Die Beratungszahlen in den Gemeinden zeigen sich weiterhin rückläufig; es wurden insgesamt 1902 Konsultationen gezählt. Dafür sind E-Mail-Beratungen wie erwartet deutlich angestiegen, und zwar um 70 Prozent. «Diese Zahl bestätigt den allgemeinen Trend zur medialen Beratung». Die Telefonberatungen stiegen um fünf Prozent auf 1198 an.
Die Beratungsschwerpunkte bleiben in etwa gleich: Messen, Entwicklung, Ernährung, Schlaf, Stillen, Gesundheit, Erziehung und Pflege. Die Familien hätten unterschiedliche Ressourcen, Wertvorstellungen und Erfahrungen. Die Bedürfnisse der Eltern und ihrer Kinder seien verschieden, heisst es weiter. «Als niederschwellige Beratungsstelle ist es unsere Aufgabe, unsere Grenzen zu kennen. Daher sind wir auf ein gutes Netzwerk von interdisziplinären Beratungsstellen in der Region angewiesen.» (es)