Ungewöhnliches Hobby
Dieser junge Freiämter sucht stundenlang nach Abfall – und findet dabei Erstaunliches

Seit einem Jahr liest der 17-jährige Simon Reiss das auf, was andere achtlos wegwerfen. Bis zu 16 Stunden pro Woche geht der Abfalljäger aus Bünzen auf die Pirsch. Vor allem Scherben sucht er, damit sich niemand verletzt. Doch er findet auch Unterwartetes.

Nathalie Wolgensinger
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Simon Reiss ist fast täglich unterwegs im Freiamt und liest auf, was andere wegwerfen.

Simon Reiss ist fast täglich unterwegs im Freiamt und liest auf, was andere wegwerfen.

Britta Gut

Dass es eine Pistole sein könnte, die schwach in der Bünz glitzerte, hat Simon Reiss zwar vermutet, dennoch konnte er es kaum fassen, als er sie in der Hand hielt. «Als ich nochmals nachschaute, entdeckte ich noch einen Ausweis und einen Schlüsselbund», erzählt er von seinem Fund, den er kürzlich in Wohlen machte. Und während er noch überlegte, was er mit dem Schiesseisen anstellen sollte, fuhr prompt eine Patrouille der Regionalpolizei vorbei, der er die Fundstücke gleich abgeben konnte.

Die Mehrheit seiner Einsätze im Freiamt sind nicht ganz so spektakulär. Fast täglich unternimmt der begeisterte Pontonier mit seinem Fahrrad kleinere und grössere Touren in die Umgebung und sammelt ein, was andere achtlos auf den Boden werfen. Auf die Idee kam er während der Heimfahrt von seinem Training in Bremgarten. Auf dem Veloweg von Bremgarten nach Bünzen fiel ihm auf, dass der angrenzende Wald voller Müll war. Er erzählt:

«Statt mich aufzuregen, beschloss ich, den Abfall einfach einzusammeln.»

Gesagt, getan. Seither steigt der 17-Jährige immer wieder vom Rad ab, sammelt die Getränkedosen, Verpackungen und Papierchen ein und entsorgt sie im nächsten Abfallkübel.

Simon Reiss sammelt Abfall, um damit Mensch und Tier vor Verletzungen zu schützen.
10 Bilder

Simon Reiss sammelt Abfall, um damit Mensch und Tier vor Verletzungen zu schützen.

Britta Gut

Er fand eine Flaschenpost und ganz viele Scherben

Was im Sommer vor einem Jahr im Kleinen begann, wurde mittlerweile zu einer freizeitfüllenden Beschäftigung. Während den wärmeren Monaten bringt er es locker auf 16 Stunden pro Woche. «Ich sammle meist am Feierabend, manchmal auch schon auf dem Heimweg und an den Wochenenden», erzählt er. Längst hat er auch seinen Radius erweitert und nimmt für seine Littering-Touren an der Reuss und am Hallwilersee auch Taucherbrille und Schnorchel mit. Er erzählt:

«Sobald die Wassertemperatur zehn Grad und mehr beträgt, tauche ich nach Abfall.»

Sein Hauptaugenmerk richtet er auf Scherben und zerbrochene Flaschen, damit sich niemand daran verletzen kann.

Velos, Kickboards und immer wieder Baustellenlampen: Die Ausbeute von Simon Reiss' Streifzügen.

Velos, Kickboards und immer wieder Baustellenlampen: Die Ausbeute von Simon Reiss' Streifzügen.

zvg

Weshalb tut der junge Mann das? «Mir bereitet das Sammeln viel Freude, ich finde immer wieder etwas Unerwartetes», erzählt er. Begeistert berichtet er von Papierschiffchen und einem Panzer, der aus einer Milchverpackung gebastelt worden war. Gewundert hat er sich über die fünf Kanister, die mit Petroleum gefüllt im Villmerger Naturschutzgebiet deponiert waren. Ganz besonders in Erinnerung blieb ihm aber die Flaschenpost, die er letzten Sommer fand:

«Sie wurde von einem kleinen Mädchen aus der Region abgeschickt. Ich habe sie dann mit einer Tafel Schokolade überrascht.»

Keine Unterstützung von kleineren Gemeinden

Längst hat er es aufgegeben, Mitstreiter zu suchen. Die meisten seiner Freunde fänden sein Engagement zwar lässig, aber zum Mitmachen fehle ihnen die Zeit. «Ich habe es bisher einmal geschafft, fünf Kollegen zum Sammeln mitzunehmen», erzählt er. Kürzlich machte Simon Reiss auf Facebook auf seine Sammelaktion aufmerksam. Mit den Fotos von verschlammten Velos, verrosteten Kickboards und Baustellenlampen bewies er die Notwendigkeit seiner Aktion und fragte um finanzielle Mithilfe an.

Manche Gemeinden stellen ihm zum Abtransport des Abfalls ihre Fahrzeuge zur Verfügung.

Manche Gemeinden stellen ihm zum Abtransport des Abfalls ihre Fahrzeuge zur Verfügung.

zvg

Das Geld benötigt er für den Kauf von Abfallsäcken, Bahnbilletten und den Unterhalt seines Velos. «Ich bin bereits zweimal in Scherben gefahren und musste die Pneus ersetzen», erzählt er. Der 17-Jährige tritt im April ein Praktikum als Fachmann Gesundheit im Spital in Muri an. Als Lehrling verfügt er über wenig finanzielle Mittel, er sei über jeden Franken froh, den er erhalte.

Erstaunlich ist, dass viele Gemeinden der Region seine Sammlung nicht unterstützen. Er erzählt:

«Es sind vor allem kleinere Gemeinden, die nicht bereit sind, mir Abfallsäcke oder Greifzangen zur Verfügung zu stellen.»

Ein unverständlicher Entscheid. Zumal Reiss seine ganze Freizeit für das Abfallsammeln einsetzt. Das bekümmert ihn jedoch wenig. Er freut sich, dass die Temperaturen gestiegen sind und so das Sammeln angenehmer wird. Wer den jungen Mann unterstützen möchte bei einer seiner Sammeltouren, kann ihn unter der Nummer 079/850'11'75 unverbindlich kontaktieren.