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Ein Mann, dem die Sozialhilfe gestrichen wurde, drohte den Behörden mit einem «Fall Leibacher». Am Mittwochabend stand er vor Gericht – und versuchte sich zu verteidigen.
Weil ihm die Sozialhilfe gestrichen wurde, schrieb ein 47-jähriger Schweizer mehrere E-Mails, unter anderem an einen leitenden Beamten, an die Murianer Gemeinderätin Yvonne Leuppi und an Gemeindeammann Hampi Budmiger. Darin beschimpfte er die Behördenvertreter mit Ausdrücken wie «Arschloch», «Sonderschüler» oder «nicht qualifizierten Zufallsidioten».
Am Mittwochabend musste er vor Gericht erklären, warum er diese Mails geschrieben habe. «Jeder Sozialfall ist anders, das kann man nicht einfach nach einem Schema beurteilen.» Die Beamten seien zu faul gewesen, seinen Fall genauer zu begutachten. «Irgendwann ist die Schmerzgrenze erreicht. Ich war wütend.» Wütend war er wohl auch, als er in einem weiteren E-Mail schrieb: «Die Gemeinde Muri gefährdet mit ihrem Verhalten unsere Existenz und Zukunft! Sie wollen doch nicht einen zweiten Leibacher...»
Mit der Anspielung auf das Attentat im Zuger Kantonsparlament hat es der Beschuldigte laut Staatsanwaltschaft geschafft, die Behördenvertreter «in Schrecken und Angst zu versetzen». Zu diesem Mail wollte sich der Angeklagte nicht äussern.
Es ist kein einfacher Fall, den das Bezirksgericht Muri behandeln muss. Das zeigte sich schon bei Verhandlungsbeginn: Ein Arztzeugnis bescheinigt, dass der Angeklagte nicht verhandlungsfähig sei. Er ist aber vor Gericht erschienen und entscheidet sich schliesslich dafür, dass er fit genug für die Befragung ist. Ebenfalls im Raum steht die Niederlegung des Mandats des Pflichtverteidigers. Er sitze wegen der Verhandlung schon seit geraumer Zeit auf Nadeln, deshalb sei die Kommunikation zwischen ihm und seinem Anwalt nicht immer reibungslos verlaufen, erklärte der Angeklagte, der sich dann doch vom besagten Anwalt vertreten lässt.
Die Kommunikation scheint im Leben des Angeklagten grundsätzlich mit gewissen Schwierigkeiten verbunden zu sein. Er hatte bei der Gemeinde Muri materielle Hilfe beantragt. «Diese wurde mir zuerst um die Hälfte gekürzt und schliesslich ganz gestrichen, obwohl ich alle Informationen immer rechtzeitig geliefert hatte», so der Angeklagte. In einer Aussprache fragte der Beschuldigte dann einen leitenden Angestellten, «wann er das letzte Mal unter der Dusche onaniert hätte».
Vor Gericht verteidigt er sich: «Ich betreibe eine Internetseite mit erotischem Inhalt. Mir wurde nun vorgeworfen, ein Bordell zu betreiben, dazu wurden unzählige Seiten aufgeführt, mir gehört aber nur eine.» Weil er annehme, dass besagter Angestellter das Material selber sichtete, sei es eine berechtigte Frage gewesen. «Und es war ja nur eine Frage, er musste sie nicht beantworten.»
Nach seinen persönlichen Umständen gefragt, witzelte der Angeklagte, er habe im Lotto gewonnen und es gehe ihm prima. Im Anschluss erzählte der Schweizer, der eine Zeit lang in Tschechien gelebt hat, seit seiner Rückkehr im Jahr 2010 gehe es nur noch bergab. «Ich hatte keine Arbeit und musste mich selbstständig machen. Ich arbeitete im Gartenbau, was auch ein Erfolg war. Das Geld war knapp, aber es reichte.» Dann sei ihm der Führerausweis wegen Fahren unter Alkoholeinfluss entzogen worden. «Damit war ich wieder arbeitslos, ich kann diesen Beruf ja schlecht nur mit dem Velo und dem Leiterwägeli ausführen.»
Gesundheitlich gehe es ihm schlecht, wegen einer Leberzirrhose und zwei geplatzten Arterien sei er nicht mehr fähig, körperlich zu arbeiten. Er habe zwar als Koch in einem Restaurant begonnen, der Chef habe ihm aber in zwei Monaten nur 20 Franken bezahlt. «Nun bin ich wieder arbeitslos und ich und meine Frau müssen uns bei Familie und Freunden verschulden.» Anfang 2013 habe er IV beantragt. «Es tut sich nichts.» Auf Frage von Plattner beschrieb der Angeklagte sein Verhältnis zum Alkohol: «Normal. Ich trinke meine 18 Halbliterdosen Bier pro Tag. Das ist das billigste Ernährungsmittel.»
Im Raum steht noch eine Zusatzklage von der Ehefrau des Angeklagten. Sie wollte bei der Gerichtsverhandlung am Mittwochabend die Klage zurückziehen. Das geht aber nicht, weil es sich um ein Offizialdelikt handelt: Er soll seine Frau geschlagen haben. Nach Aussage des Beschuldigten habe er lediglich einen Streit schlichten wollen. «Meine Frau war sturzbetrunken und ist sich mit einer Kollegin in die Haare geraten. Als ich ihre Hände festhielt und sie um sich schlug, bin ich abgerutscht und habe sie am Auge getroffen.» Das Gericht wollte dazu die Frau befragen. Das war aber nicht möglich, weil sie nicht genug Deutsch versteht – ein Dolmetscher sei besser, meinte sie.
Deshalb musste die Verhandlung unterbrochen werden. In rund einer Woche gibt das Gericht bekannt, wann die Verhandlung fortgesetzt werden kann.