Seit 30 Jahren ist er Chef in «seinem» Wald

Genau am 1. Februar 1990 hat Urs Meyer, 58, als Förster den Wald des heutigen Forstbetriebs Lindenberg übernommen.

Andrea Weibel
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Urs Meyer zwischen Birken, die seit dem Orkan Lothar (1999) auf der Sturmfläche natürlich nachgewachsen sind.

Urs Meyer zwischen Birken, die seit dem Orkan Lothar (1999) auf der Sturmfläche natürlich nachgewachsen sind.

Bild: Colin Frei

Im Wald stehen Bäume, manchmal fallen sie um oder werden gefällt, sonst passiert da eigentlich nicht viel. Bei dem Satz werden sich Urs Meyers Augenbrauen ungläubig nach oben verschieben. Dann wird er vermutlich lachen, denn so was Absurdes kann niemand ernst meinen. Mit all den Geschichten aus den Waldgebieten von Uezwil, Büttikon, Sarmenstorf, Fahrwangen, Meisterschwanden und Bettwil könnte der 58-Jährige alleine ganze Bücher füllen. Er hat viel erlebt in «seinem» Wald. Genau heute vor 30 Jahren, am 1. Februar 1990, hat er die Stelle als Förster im Forstbetrieb Bettwil/Fahrwangen übernommen, der 2011 zum Forstbetrieb Lindenberg erweitert wurde. In den 30 Jahren durchlebte er mehrere verheerende Stürme, aber auch Schönes, das daraus entstand.

«Diese Birken hier sind gewachsen, nachdem der Sturm Lothar im Winter 1999 riesige Baumbestände in unserem Gebiet umgefegt hat», erzählt er und zeigt auf stramme Bäume, die sich wunderbar für ein Foto eignen. Sein Lieblingsbaum ist eine Eiche auf Meisterschwander Boden, die er mindestens einmal im Jahr besucht und anfassen muss. «Und natürlich die wunderschönen Douglasien beim Forsthaus hinten», zählt er weitere seiner Favoriten auf. Man merkt, dass sich der gebürtige Villmerger, der seit seiner Anstellung im Forstrevier vor 30 Jahren in Bettwil wohnt, im Wald auskennt wie in seinem selbst mitgebauten Blockhaus.

Unbekanntes Ungeheuer im Bettwiler Wald

Als der frisch gebackene junge Förster 1990 die Arbeit im Betrieb aufnahm, konnte er noch nicht ahnen, dass bereits Ende Monat ein Grossteil seines Baumbestands einem schweren Orkan zum Opfer fallen würde. Vivian hiess der Sturm, der am 26./27. Februar 1990 über das Freiamt fegte. «Wie Zündhölzli hat es die teilweise 100 bis 120 Jahre alten Bäume umgeknickt», erinnert er sich gut. «Ich leitete den Betrieb erst ganz frisch und hatte keine Ahnung, wie ich dem in einer solchen Situation gerecht werden sollte.» Doch er hatte Glück im Unglück. Eine Lokalzeitung titelte damals: «Unbekanntes Ungeheuer im Wald». Damit war der allererste grosse Vollernter gemeint, der im Schweizer Wald je eingesetzt wurde. Ein Lohnunternehmer aus der Gegend hatte sich kurz zuvor einen solchen gekauft und ihn in den Dienst des Forstbetriebes gestellt. «Heute können wir uns die Arbeit ohne Vollernter nicht mehr vorstellen. Damals war das aber so speziell, dass sogar das Schweizer Fernsehen mit einem Aufnahmewagen in den Wald kam», erinnert sich Meyer mit seinem bekannten Grinsen.

Noch schlimmer wurde der Wald auf dem Lindenberg vom Orkan Lothar Ende 1999 mitgenommen. «Beim Sturm Vivian hatte ich noch keine emotionale Bindung zu diesem Wald aufgebaut, ich war ja ganz neu. Aber bei Lothar hat es mich schon sehr mitgenommen, zu sehen, dass so vieles, was wir aufgebaut hatten, einfach an einem einzigen Tag niedergemäht worden ist.» Doch im Nachhinein kann er sagen: «Wenn ich jetzt durch den Wald gehe, fallen mir überall Bäume auf, die seither nachgewachsen sind. Das freut mich enorm. Grundsätzlich machen die Stürme der Natur ja nichts aus, die erholt sich wieder. Nur wir Menschen haben ein Problem damit.»

Der administrative Aufwand stieg auch im Forst enorm

Einen eigenen Vollernter hat der Forstbetrieb Lindenberg nie besessen, das hätte nicht rentiert. Aber sonst stehen unzählige Maschinen und Gefährte in den verschiedenen Gebäuden, vor allem im Forstwerkhof Zigi ob Sarmenstorf, wo Meyer sein Büro hat. Alle wurden gebührend eingeweiht. «Als wir 2001 eine neue Seilwinde erhielten, bauten wir damit eine Seilbahn für die Kinder. Das dürfte ich heute fast nicht mehr erzählen», sagt er lachend.

Heute zählt der gesamte Betrieb 580 Hektaren öffentlichen und rund 140 Hektaren privaten Wald. Nach heutigen Massstäben ist das ein mittlerer Betrieb. Durch sehr viele Dienstleistungen für Dritte, wie beispielsweise das Pflegen von Naturschutzgebieten, Wiesen und Hecken zusätzlich zur Holzwirtschaft, ist der Betrieb aber sehr gut aufgestellt, ist Meyer stolz.

«In den letzten Jahren ist natürlich vor allem der administrative Aufwand stetig gewachsen», sagt er. «Ich war früher immer Teil des Teams draussen im Wald, das war meine Hauptbeschäftigung. Heute geht das kaum mehr.» Zu Beginn seiner Amtszeit hätten sie einzelne Bäume sogar noch per Pferd aus dem Wald gezogen. Dazu ist Meyer wichtig: «Viele finden es schlimm, dass wir mit Vollerntern in den Wald fahren, weil wir so den Boden beschädigen. Dabei ist es so, dass wir eine einzige Fahrspur brauchen und gut 40 Meter darum herum keine Schäden anrichten müssen. Würden wir jeden Baum einzeln rausziehen, würde viel mehr Boden kaputt gehen. Das sehen viele nicht.»

Neben der normalen Arbeit war ihm die Sensibilisierung der Leute für den Wald immer ein Anliegen. So erinnern sich viele noch an das Lothar-Labyrinth, das er einige Jahre nach dem grossen Orkan in Bettwil anlegte, indem er die neu gewachsenen, dichten, jungen Baumbestände als Labyrinthwände zurechtstutzte.

Abschalten auf langen Reisen mit seiner Frau

Die Klimaveränderung und damit die Trockenheit macht ihm, abgesehen von den Stürmen, am meisten zu schaffen. «Wir müssen Bäume finden, die den neuen Gegebenheiten standhalten können. Das sind beispielsweise Birken, Nussbäume und Douglasien.» Daneben sind aber auch das Eschensterben sowie Parasiten wie der Borkenkäfer grosse Probleme für den Wald. «Ich würde mir wünschen, dass wir endlich wieder selber bestimmen können, wie und wo wir den Rohstoff Holz nutzen und den Wald pflegen, statt den Folgen solcher Stürme, Krankheiten und Tiere ausgeliefert zu sein. Nachhaltigkeit ist ein grosses Thema. Aber so ist es halt», sagt er schulterzuckend. Dann schüttelt er den Kopf, ein Lächeln dringt wieder bis zu seinen strahlend blauen Augen, und er fügt hinzu: «Das Wichtigste ist, dass wir alle jeden Abend gesund aus dem Wald nach Hause kommen.»

Daheim wartet seit all der Zeit seine Frau Bea, während seine beiden Kinder Silvan und Nadja bereits eigenständig sind. Urs Meyer ist zudem stolzer Grossvater der zweijährigen Melina. Ebenfalls sehr stolz ist er darauf, dass sein Sohn derzeit die Ausbildung zum Förster absolviert. «Ich bin froh, dass er das im zweiten Bildungsweg macht, sonst hätte ich vermutlich immer das Gefühl gehabt, ich hätte ihn gedrängt.»

Um abzuschalten, unternahm Urs Meyer immer wieder mit seiner Frau grössere Reisen. «Daheim könnte ich nicht abschalten, da kämen immer wieder Anrufe.» Im Urlaub wechselt er die SIM-Karte in seinem Handy und ist nur im Notfall erreichbar. So reiste das Paar schon 3,5 Monate durch Skandinavien, sieben Wochen durch Kanada und vier Wochen durch Island. «Einfach drauflos, so gefällt uns das.» Wenn alles geklappt hat, sitzen sie heute im Flugzeug nach Finnland. Das hat er sich nach 30 Jahren im Betrieb verdient.