Beim Bahnhof richtete Rudolf Lüthi sein Verteilzentrum für Printmedien und Prospekte ein. Er selbst war schon in seiner Jugend Verteiler der «Freiämter Nachricht» – neben seinem Beruf als Gärtner.
Viele SBB-Güterschuppen sind schon verschwunden, letzthin auch jener in Muri. Anders in Wohlen: Dort steht der Güterschuppen noch immer, weil ihn die SBB als Zeitzeugen aus dem 19. Jahrhundert unter regionalen Schutz stellten.
«Zum Glück», findet der Transportunternehmer Rudolf Lüthi (61) aus Anglikon. Denn im Schuppen richtete Lüthi vor fünf Jahren sein Verteilzentrum für Printmedien und Prospekte ein.
Keiner hätte an seiner Wiege gesungen, dass Lüthi einmal Transportunternehmer werden sollte. «Ich bin im Oberaargau in Lotzwil aufgewachsen, arbeitete früher als Gärtner und suchte einen Nebenjob für die Nacht», berichtet er.
Das Badener Tagblatt bot ihm 1983 die Chance, die auch im Freiamt verbreitete Zeitung auszutragen. «Am Tag in der Gärtnerei und nachts Zeitungskurier – das forderte alles von mir ab», erinnert sich Lüthi.
«So wurde ich, weil ich mit der Zeit haushälterisch umgehen musste, unweigerlich zum Kurzschläfer. Ich schlafe normalerweise auch heute nur ein paar Stunden. Das muss genügen.»
Neue Produkte aus dem BT-Verlag kamen mit der Zeit dazu. Wer erinnert sich noch an die BT-Regionalausgaben des Bremgarter Tagblatts und der Freiämter Nachrichten? Wanner punktete im Freiamt auch mit seinen Gratiszeitungen, die Lüthi ebenfalls in die Haushaltungen bringen liess.
«Früher verteilte ich weitherum auch die Gelben Seiten des Telefonbuchs», berichtet Lüthi. «Den Auftrag habe ich aber verloren.» Vor vielen Jahren sei man mit dem Auto «noch vorwärts» gekommen, erinnert er sich. Denn es gab – Tempi passati – einst noch keine Tempolimiten auf den Strassen.
Nun konnte er einen Mitarbeiter anstellen. Heute zählt Lüthi 13 Chauffeusen und Chauffeure zu seinem Mitarbeiterstab. «Sie sind aber alle selbstständig tätig und nicht bei mir angestellt», betont er.
Ein Glücksfall sei es gewesen, dass er vor fünf Jahren den grössten Teil des SBB-Güterschuppens mieten und darin die Drehscheibe seines Unternehmens einrichten konnte. «Vorher war ich an verschiedenen Orten eingemietet. Der zentrale Standort am Bahnhof in Wohlen ist natürlich ideal», sagt Lüthi.
Von Wohlen aus liefern die Chauffeure nachts verschiedene Zeitungen, unter ihnen auch die Aargauer Zeitung, und Illustrierte an die Depots in den Gemeinden aus. Dort holen sie die Verträger ab und stecken sie in die Briefkästen.
Am Tag verteilen sie Prospekte, Kataloge und Direct-Mails aller Art in 92 600 Haushaltungen. «Damit alle ihre Sendungen pünktlich erhalten, braucht es einigen organisatorischen Aufwand», sagt Lüthi. «Die Chauffeure und Verträger müssen jede Gemeinde und jede Strasse auswendig kennen. Denn es pressiert immer.
Lüthi beklagt sich nicht, obwohl er in der Firma stark eingespannt ist und fast ausschliesslich für sie lebt. «Ich habe seit mehr als zwanzig Jahren keine Ferien gemacht.» Vielleicht später.
Mehr Sorgen macht sich Lüthi über das tägliche Drama, das sich rund um den Güterschuppen abspielt, über Jugendliche, die auf dem Gebäude herumlungern und sich manchmal nicht genieren, ihre Notdurft beim Schuppen zu verrichten.
«Das ärgert mich», sagt der Unternehmer. «Aber was soll man machen?» Hingegen: Mit den SBB als Vermieterin des Güterschuppens ist Lüthi zufrieden. «Der Mietzins ist angemessen.»